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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 11.1895-1896

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Fuchs, Georg: Friedrich Nietzsche und die bildende Kunst, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.12003#0058

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Friedrich Nietzsche und die bildende Aunst. von Georg Fuchs.

welches Ältere „Kolorit" nannten, Jüngere meinen, es hieße eigentlich „Lichtbehandlung": sollte dieses Gespenst
in der großen Kunst, in der Kunst der Erfüllung etwa gar nicht schleichen oder auf Stelzen gehen, sondern
am Ende tanzen: Walzer, Galopp und Reigen? Man hat die Bilder zu selten mit den Ohren betrachtet!
Man höre hinein in die Landschaften, man schärfe seine Sinne, um zu hören, was die menschlichen Antlitze
singen und sagen, man wolle diese Sphärenmusik nicht bespötteln: denn sie ist ebenso wenig erlogen, wie jene
pythagoreische Traumwahrhcit vom Tanze der Gestirne. Unsere Astronomie hat Rhythmus, Takt und melodische
Figur des Sphärentanzes allbereits ausgerechnet, warum sollten wir nicht, wie schon seit Winckelmann in der
Plastik, wie in der Baukunst, Musik, Rhetorik und Poesie, auch in der Malerei den Rhythmus zur Grund-
lage wühlen, statt wie bisher fast durchweg die technisch-handwerksmäßigen Probleme und Rezepte? Ohne
Zweifel! Wir werden dann die bisherige Betrachtungsweise der Malerei für Astrologie und Afterwissenschaft
erklären! Vielleicht sehen wir dann auch ein, daß das, was wir als „Komposition" in unseren ästhetischen
Fibeln abhandeln oder leugnen, nichts ist, als das unwillkürliche Gesamtergebnis aller Rhythmen, oder um-
gekehrt — das Gegenteil ist fast immer genau so richtig — die Grundmelodie, das „Thema", die unbewußte
Grundstimmung, aus welcher alle übrigen Rhythmen sich organisch herausgliedern zur sichtbaren Harmonie
des Werkes, daß sie mithin da am vollkommensten ist, wo sie gar nicht zu sein scheint, weil sie hier am selbst-
verständlichsten wirkt? — Für die Landschaftsmalerei konnte deshalb Nietzsche bereits, obwohl er, der
immer an kranken Augen litt, kaum noch Bilder sehen konnte, moderne fast überhaupt nicht gesehen hat, den
bedeutsamen 205. Aphorismus im ersten Buche „Menschliches, Allznmenschliches" (S. 185) schreiben, in welchem
es heißt: „Einen bedeutenden Gegenstand wird man am besten darstellen, wenn man die Farben zum Ge-
mälde aus dem Gegenstände selber, wie ein Chemiker, nimmt und sie dann wie ein Artist verbraucht: so daß
man die Zeichnung aus den Grenzen und Übergängen der Farben erwachsen läßt. So bekommt
das Gemälde etwas von dem hinreißenden Naturelement, welches den Gegenstand selber bedeutend macht".
Das heißt: die „Komposition" der Landschaft ergiebt sich von selbst aus einer wahrhaft rhythmischen Licht-
behandlung. Der „bedeutende Gegenstand" oder die „gewählte Wirklichkeit", welche hier vorausgesetzt wird,
unterscheidet sich prinzipiell von dem, was die Popularästhetik der guten alten Zeit, was heute noch das
künstlerische Krähwinkel stillvergnügt unter seinen Beifalls- und Ankaussbedingungen hegt und pflegt. An
sich entbehrt kein Ding dieser Bcdentnng und „Gewähltheit": vor Gott und dem Künstler sind alle Dinge
gleich. Allein der Winkel, unter dem sie gesehen werden, die Macht, welche sie zu einer gewissen seelischen
Stimmung des Schassenden heranzieht und zu deren Symbol gewinnt: die unterscheidet, wählt, macht „be-
deutend". (Schluß folgt.)

Bonus Anadyomrne. Nach einer Griginal-Radierung von Alexander Frenz.
 
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