Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 23.1907-1908

DOI Artikel:
Scheffler, Karl: Das Bild im Zimmer
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.12504#0130
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
-*-4^> DAS BILD IM ZIMMER <ö^~

zarten Oelbilder sehr gut. Der kontinentale,
vor allem der deutsche Maler aber konnte
sich jahrzehntelang ein sicheres Interieurbild
nicht vorstellen, und in dem Zweifel, in wel-
che Umgebung sein Werk einst geraten würde,
mußte er notwendig von der wichtigen Rück-
sicht auf die Einordnung absehen und das
Bild als einen Organismus behandeln, der nur
sich selbst berücksichtigt.

Hinzu kam die spezifische Entwicklung der
Malerei. In der Periode, die zu überwinden
erst jetzt begründete Aussicht vorhanden ist,
in der Zeit des berufsdilettantischen photo-
graphischen Naturalismus, der froh war, wenn
er die Objekte mit dem Schein einer profanen
Treue, einer automatischen Täuschung wieder-
geben konnte, war von einem Streben nach
höherer ästhetischer Harmonie nicht die Rede.
Im besten Falle störten die Bilder an der
großblumigen Goldtapete nicht; zur Erhöhung
der Stimmung aber trugen sie nicht bei und
noch weniger konnten sie die ästhetischen
Reize des Interieurs in sich, als in natür-
lichen Brennpunkten, vereinigen. Die dann

MAX LEVI DAS ALTER DER SEHNSUCHT

Deutsche Kunstausstellung, Köln

folgende Periode der neuen Entdeckungen
konnte auch reife und schöne Bilder nicht
zeitigen. An das Zimmer dachten die jungen
Maler zuletzt; das war ihnen viel zu profan.
Ihnen handelte es sich um „Wahrheiten",
und davor mußte alles zurückstehen. Man
entdeckte, daß Wiesen wirklich grün, Schatten
blau und Ziegeldächer rot sind, und diese
Entdeckungen mußten natürlich zu Bildern
verarbeitet werden. Es sind in dieser Periode
sehr tüchtige und ehrliche Bilder entstanden;
aber zur geklärten Schönheit ist damals kaum
einer schon gelangt. In dieser Kampfzeit
fiel das Wort — und es war als höchstes Lob
gemeint —, daß die neuen Bilder nicht mehr
süß und künstlich als Dekorationen an der
Wand hingen, sondern daß sie „die Wand
durchbrächen". Das aber soll ein Bild nun
doch nicht. Und es ist sehr bezeichnend,
daß nicht ein einziges Werk solcher Maler,
die über die Entwicklung des Wahrheitsfana-
tismus hinaus und durch das Wahre in ehr-
licher Selbsterziehung zu einer persönlichen
Schönheit gelangt sind, die Harmonie eines
Raumes stört. Im Gegenteil, die reifsten
Werke der modernen Malerei sind immer
auch die im Raum harmonischen. Denn es
ist eine stets eintretende natürliche Folge,
daß, wenn eine tief empfundene Wahrheit
reif und klar wird, sie sich ganz von selbst
in Schönheit wandelt. Und eine Schönheit,
auf eine quadratmetergroße oder noch kleinere
Fläche gebannt, muß aus Gründen der künst-
lerischen Oekonomie den stärksten Wirkungen,
den krassen Farbigkeiten und Valeurentwick-
lungen nach oben und unten fern bleiben.
Darum braucht der reife moderne Künstler
an ein bestimmtes Milieu für seine Bilder
nicht zu denken; sie werden um so besser
in den Raum passen, oder die Wand wird
um so wirkungsvoller nach ihnen gestimmt
werden können, je mehr sie das Ideal des
Künstlers verwirklichen. Man betrachte Land-
schaften guter moderner Franzosen, Werke
von Liebermann, oder Leibi, Trübner, oder
auch einen japanischereFarbendruck: sie alle
sind wie für das Zimmer gemacht und sind
doch auch die starken Aeußerungen eines
Prinzips, das gegen seinen Willen in einen
lauten Kampf gedrängt worden ist.

Aber solcher Bilder sind verhältnismäßig
wenige. Denn die meisten Werke der Malerei,
worum sich das Interesse unserer Tage dreht,
werden mit mehr oder weniger Bewußtsein
für die Ausstellung gemalt. Auch das ist
eine natürliche Folge des Umstandes, daß
ein Mäcenatentum, daß feste Besteller fehlen
und daß der Künstler sich dem Markte an-

110
 
Annotationen