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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 3.1892

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Vom neuen Reichstags-Gebäude
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https://doi.org/10.11588/diglit.6760#0245
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Illustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Znnen-Dekoration.

November-Heft.

5eite

neuen "Meichstags-Gebäude. ^

dem allgemeinen Interesse, welches der Bau des neuen Deutschen
Reichstags-Gebäudes in allen gebildeten Kreisen erregt, glauben wir
unseren Lesern mit nachstehender der „Kölnischen Zeitung" entnommenen
kleinen Schilderung ebenfalls eine angenehme und beachtenswerthe
Lektüre zu bieten. — Der gewaltigste Neubau Berlins, das Reichstagshaus, ist seit
Kurzem in das dritte Stadium eingetreten: sämmtliche Rohmauern mit allen Stützen
und Dächern und Kuppeln sind beendet und der innere Ausbau hat begonnen.
Ein Gang durch den Gerüstenwald dieses Kolossalgebäudes bietet darum
zur Zeit ein ungemeines Interesse. Die Architektur, als nothwendige und
praktische Arbeiterin, hat die Werkzeuge niedergelegt; die Architektur, als
verschönernde und erhebende Künstlerin, hat die ihren ausgenommen,
wer durch die tausendfachen Stämme, Balken, Bretter, Treppen und
Leitern des Riesengerüstes
hindurch zu blicken vermag,
dem liegt der Grund- und
Aufriß bereits in voller
Klarheit vor Augen. Je
ein Eingang führt von jeder
der vier Seiten in das In-
nere, je nach Bedarf durch
großartige Trexxenanlagen
mit dem mittleren Haupt-
geschoß in Verbindung ge-
setzt, in welchem sich die
wichtigsten Räume befinden.

Lin jeder dieser Eingänge
ist sozusagen individuell ge-
staltet. Demjenigen von der
Spree her — nur für wagen
bestimmt — entspricht auf
der Seite des Thiergartens
ein nur für Fußgänger be-
nutzbares Portal. Und dem-
jenigen von der Seite des
Brandenburger Thores mit
einem gewaltigen Säulen-
vestibül — für den Hof und
den Bundesrath gedacht —
entspricht entgegengesetzt der
allgemeine offizielle Ein-
gang, in einem mächtigen
Säulenvorbau mit breiter
Freitreppe bestehend, der die
Hauxtsront des Gebäudes
markirt, welche nach dem
Königsplatz orientirt ist. In
derAchse dieser beiden Hauxt-
eingänge stoßen wir auch
auf die Hauxträume des
ganzen Baues, Kolossalsäle
von wahrhaft grandiosen
Abmessungen. An den of-
fiziellen westlichen Eingang
schließt sich der Mittelsaal
der großen Wandelhalle, an
den östlichen der Sitzungs-
saal des Plenums. Jener
ist mit einer an das Pantheon
erinnernden fiachen Kuppel
gedeckt, die einen weiten,
von einem Sandsteingesimse
eingefaßten Lichtring besitzt.

Dieser dagegen trägt über
seinem eigentlichen horizon-
talen Dache die aus Kupfer
und Glas über einem Viereck sich hoch aufbauende Kuppel, die mit der Kaiserkrone
auf der Spitze die Physiognomie Berlins von nun an beherrschen wird.

Der Mittelsaal der Wandelhalle aber streckt nach beiden Seiten zwei große
Flügel aus, säuleugezierte Langsäle von mächtigster Wirkung, die sich in der ganzen
Ouerlinie des Baues von der Spree bis zum Thiergarten hiniiberziehen und somit
diese Wandelhalle zu einem einheitlichen Komplex von Sälen machen, der einen
der schönsten Innenräume aller Baukunst bedeuten wird.

Um diese Hauptsäle gruppiren sich in leicht übersichtlicher, ziemlich symmetrischer
Anordnung sowohl im Hauptgeschoß, wie im kreuzgewölbten Erdgeschoß darunter
und im Obergeschoß darüber, die übrigen, zum Theil noch verfügbaren Räume,
unter denen die wichtigsten den Arbeitszimmern der Regierung, den Bibliothek-
und Lesesälen und den Restaurationslokalitäten gewidmet sind.

Die Aufgabe, große Parlameutshäuser zu bauen, wird dem Architekten nicht
oft gestellt und es hat sich auf diesem Felde noch nicht eine bewährte Tradition
herausbilden können, wie es etwa beim Kirchenbau der Fall ist. Man versteht die

Schwierigkeiten, wenn man sich die Wandlungen besieht, welche der wallot'sche
Entwurf zum Reichstagsbau, seit er in der Z88 2er Konkurrenz den ersten Preis
davongetragen, hat erfahren müssen. Mit dem ursprünglichen Grundriß hat der
jetzt in Ausführung begriffene kaum etwas gemeinsam. Erst nach langwierigen
Arbeiten ist es gelungen, denselben bis auf die jetzige schöne Einfachheit zurückzu-
führen, die schließlich den verdienten Lohn mühsamen Hin- und Herstudirens bildet.
Die mittlere Lage des Sitzungssaales mit der Kuppel darüber und die freie Aus-
dehnung der Prachtwandelhalle, Anlagen, die sich nun in dem fertigen Plan so
selbstverständlich und natürlich ausnehmen, sie sind das Produkt einer quälenden,
langen Arbeit, welche außerdem in diesem Falle durch die eigenthümliche, wenn
auch äußerst glückliche Lage des Gebäudes sich noch mit einem komplizirten
System von Eingängen abzufinden hatte. — An der originellsten Stelle
des Baues ist zur Zeit auch die originellste künstlerische Zuthat wallots,
seine Ornamentik, am weitesten vorgerückt. Er hatte die glückliche Idee,
aus die vier Ecken des Gebäudes je einen xavillonartigen, wie eine halb-
offene Loggia gestalteten
Thurmbau zu setzen, dessen
Bestimmung eine rein ästhe-
tische war. Er sollte gleich-
zeitig die Dachlinie etwas
heben, damit die Umgebung
derriesengroßemxorwachsen-
den Kuppel von ihr nicht
zu flach niedergedrückt und
anderseits dem ganzen Bau
eine gewisse heitere Eigen-
artigkeit verliehen würde,
die sich in seinen Umrissen
gleich von der Ferne zu er-
kennen gebe. Die anmuthigen
Loggiaausbauten des Lessing-
Theaters erfüllen ja einen
ähnlichen Zweck. — Liner
dieser Eckpavillons, gerade
der, welcher über dem Sitz-
ungssaal des Bundesraths
zu liegen kommt, ist seit
einigen Tagen bereits voll-
ständig abgerüstet und bietet
dem Untenstehenden, sofern
er über ein gutes Auge ver-
fügt, im Verein mit den
ebenfalls frei liegenden Ge-
sims- und Giebeltheilen an
der Süd- und Westfront ge-
nügend Beispiele der ganz
merkwürdigen, ja man kann
sagen epochemachenden Gr-
namentirungsweise Wallots,
von den herkömmlichen
Musterbüchern der Verzie-
rungsmethoden völlig ab-
sehend, hat er sich für seine
Ornamentik einen Aus-
gangspunkt genommen, der
an einem Reichstagsgebäude
sehr nahe lag: die Heraldik,
wer in die tiefen Geheim-
nisse der Wappenkunde ein-
gedrungen ist, der entdeckt
da eine wahre Fülle von
dankbaren Verzierungsmo-
tiven, die durch den trägen
Usus der Jahrhunderte zwar
in einem todteu Schematis-
mus erstarrt sind, aber sich
danach sehnen, wieder frisches
Leben einzusaugcn und Kraft
und Beweglichkeit in ihre Glieder zu bekommen. Die springenden Thiere, die ver>
schlungenen Pflanzen, die abwechslungsreichen Schilde, die übereinandergelegten
Fahnen, die aufgehäuften Trophäen, die visirhelmartigen Masken, die weitgefiügelten
Adler, die kronentragenden Genien, die langwallenden Schleifen, ja selbst die geo-
metrisch eckigen alten Buchstaben — sie alle besinnen sich unter der künstlerischen
Hand Wallots ihres eigentlichen Organismus, sie werden zu lebenden Existenzen
und vereinigen sich zu hundertfältiger kaleidoskopischer Abwechslung zu neuen und
interessanten ornamentalen Motiven. Der moderne Realismus hat sich auch hier
als ein unleugbarer wohlthäter erwiesen.

An allen Ecken und Enden des Außen- und Innenbaues springen dem Be-
sucher schon Beispiele dieser originellen verzierungsweise in die Augen. Da erhebt
sich ein mächtiger Thürsturz mit liegenden weiblichen Genien, die eine Krone tragen.
Dort schmücken mächtige ornamental behandelte Wappen die Wände der beiden
großen Binnenhöfe. Da wieder springt uns mitten in einem Gewirr von Gerüsten
ein Hirsch entgegen, von ganz naturalistischem Buschwerk umrahmt. Hier auf den


* Abbildung Nr. -my. Zimmerkhürq im RrnaiMnrestil, in gebeiztem Eichenholz.
 
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