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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 3.1892

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Schliepmann, Hans: Mobiliarstil und Architekturstil
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https://doi.org/10.11588/diglit.6760#0244

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November-Heft.

Illustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Innen-Dekoration.

Leite f93-

verwandt — lediglich der Architektur. Gleichzeitig erfordert die Beweglichkeit und
die Benutzung — da auch wir uns zwischen den Möbeln bewegen, die Annäherung
an organischere Formen, und das sind rundlichere. Schon der Meerkiesel deutet
symbolisch an, daß alles Bewegte nach Rundung strebt; je inniger ein Möbel mit
unserem Körper in Berührung kommt, um so mehr muß es die architektonische
Starrheit vermeiden. Auf einem altdeutschen hochlehnigen Ledersessel sitzt man wie
«in ägyptischer Götze; die geistreichen Rokokosessel laden zu behaglichster Ruhe ein.

Nichts ist unsinniger, als die Ausbildung „schöner, scharfer Profile" an Möbeln,
die mit empfindlichen Körperstellen unversehens in Berührung kommen können, und
so schmerzhaft eine Diamantquader an einem Tischbein werden kann, so thöricht
und „möbelstilwidrig" ist sie in jedem Falle. Den „Alten", von denen wir unsere
Formen doch abgeleitet haben, sind solche Thorheiten nie eingefallen. Selbst ihre
marmornen Monumentalsessel an öffentlichen Plätzen und in Theatern zeigen weder
Säulen, noch Gesimse, noch eckige Formen; ja, selbst bei diesen unverrückbaren Sitz-
möbeln deuteten sie die Bewegungsfähigkeit und damit das «Organische häufig da-
durch an, daß sie die Füße als Thierbeine ausbildeten, das sprechendste Symbol für
«inen Möbelfuß, neben der
Kugel.—Die Verwendung
starrer, eckiger Formen
wird um so stilwidriger,
als der Werkstoff der
meisten Möbel gar nicht
Stein ist, aus dessen Eigen-
schaften doch die meisten
Architekturformen zuge-
schuitten sind, sondern
Holz, dessen natürliche Be-
chandlung mit Säge,Hobel
und Messer, nicht mit
Meisel und Hammer er-
folgt. Und oft genug ge-
sellt sich zu dem Holze
noch der weichere Stoff des
Bezuges, der eigentlich
nur im Rokoko eine orga-
nische Verbindung eingeht,
während die Gothik we-
nigstens so viel Stilgefühl
besaß, daß sie ihren starren
Sitzmöbeln das Rissen als
vollständig selbständigen
Theil ohne den versuch
einer Verbindung auflegte.

Gegensätzlich zur Ar-
chitektur verlangt also das
Mobiliar den Ausdruck
des Lebendigen, Leichten,

Bewegten, der durch die
Formenwelt der Archi-
tektur gerüst formen nie-
mals erreicht wird. Die
Säulen, womöglich auf
gequadertem Sockel mit
einer Arkade darüber, die
dann wieder mit einein
Aranzgesims abgeschlossen
wird, mit Konsolen und
Giebeln, sind daher an
einem Schranke nichts als
spielende Uebertragung
von Bauwerken, eineBau-
kastenkunst, Mummen-
schanz, wenn mans genau
nimmt. Als Spielerei
geht es noch hin; bewegt
sich aber solche Arkatur
beim Aufmachen einer Schrankthür plötzlich um eine bisher unsichtbare Achse, so
daß der Säulenban in der Luft schwebt, so erkennt man den Schnickschnack als das,
was er ist — gut deutsch gesagt: Blödsinn!

Die am Mobiliar nothwendigen Stützen können von Rechtswegen niemals
Säulen sein. Ihre Natur verlangt, daß sie der organischen Stütze, dem Beine,
ähnlich gebildet sind, weil dieses auch die Bewegung neben dem Tragen ausdrückt.
Richtig hat daher die Antike direkt die Thierklaue und den Ziegenfuß für ihr Geräth
verwandt. Das Bein wurzelt nicht im Boden, sondern geht als ein Hervorsproßendes
<vrgan vom Aörper aus, muß daher oben den festen Anschluß, unten mehr oder
minder leichtes Aufruhen ohne dauernde Verbindung zeigen, im wesentlichen also
nach unten verjüngt sein. Dies gilt namentlich für Tische und Stühle. Bei größeren
Möbelstücken ist dagegen auch einmal ein architektonischer Stützenaufbau möglich,
wenn die Stützen wirklich etwas tragen und auf einem Unterbau stehen, der ge-
wissermaßen ein Möbel für sich bildet, auf dem man noch weitere Theile aufgebaut hat.

Aehnlich unverstanden wird die Verdachung angewendet. Sie soll einfach das ^
freie Ausklingen nach oben veranschaulichen. Hierzu bedarf es aber keiner weit I
ausladenden Formen, die an einen, beim Möbel ganz unnöthigen Schutz gegen die

Witterung erinnern (das antike Aranzgesims ist Träger einer Dachrinne!); die
ästhetischen Formen der freien Endigung sind vielmehr unter Berücksichtigung des
Holzkarakters zu wählen, vom einfach ausgezackten Brett bis zu reich geschnitzten
figürlichen Bildungen, wie sie etwa das Rokoko in Vollkommenheit erfunden hat.
Dagegen verdienen diejenigen Architekturformen, die ursprünglich dem Holzbau ent-
stammen, in zweckmäßig abgewandelter Form beim Mobiliar berücksichtigt zu werden,
z. B. Konsolen (bis zur Knagge absteigend), Zahnschnitte, Abkantungen, Leisten,
namentlich aber das Rahmenwerk. Rahmen und Füllung sind recht eigentlich ge-
borene Holz- und somit Mobiliarstrukturformen, hervorgegangen aus der natur-
gemäßen Technik des Materials. Bei allem Thüren- und Kastenwerk ergeben sie
sich auch aus der Zweckbestimmung von selbst. Es ist daher eine ästhetische For-
derung, daß dieses gegebene Grundmotiv ausgesprochen und durchgebildet wird,
wie dies Gothik und Rokoko stets, die Frührenaissance in guten Mustern meist
gethan haben.

Aus dieser Forderung ist auch das Gesetz für eine der wichtigsten Techniken
der Möbelherstellung abzuleiten: das Fourniren, des Weiteren jede Bekleidung

des Holzwerkes. Unsere
Schwindelindustriehat das
Fourniren, weil es ein
schönes Mäntelchen über
elenden Schund und Be-
trug breitet, derart ins
Herz geschlossen, daß man
sich versucht fühlt, jede
Verkleidung als Lüge an
den Pranger zu stellen
und das Fourniren für
eine verwerfliche Technik
zu erklären. Dies gilt
aber eben nur für den
Schwindel, der täuschen
will, der uns die Fournitur
als gediegenes Vollholz
aufreden möchte, wie etwa
bei unseren „gut bürger-
lichen Stühlen und Schrän-
ken. Sobald das Fournir
aber offen als Zierrath
äuftritt, ist es durchaus
berechtigt, wie jede andere
ehrlich als solche auftre-
tende Bekleidung über-
haupt. Die vorzüglichen
Boulemöbel sind das spre-
chendste Beispiel. Hier
wird eben nicht blos ver-
sucht, einen Stoff scheinbar
in einen anderen zu ver-
wandeln, sondern die Be-
kleidung ergibt sogleich
ihr ganz spezifisch ange-
hörige Dekorationsmotive,
vor Allem ist das Fournir
auf den Schmuck der Fül-
lung angewiesen, wäh-
rend ein ausgebildetes
Rahmcnwerk körperhaft
erscheinen und deßhalb in
solidem Holzwerk — das
durch Einlagen, aufgeleg-
tes oder vertieftes (Orna-
ment noch immer genug
verzierbar ist — in mög-
lichst ausgesprochenem Ge-
gensatz zur Füllung aus-
zugestalten ist. — ver-
gegenwärtigt man sich den außerordentlich großen Kreis von Zier-Formen und
-Techniken, die gerade dem Gebiete der Bekleidungskunst augehören, von der ein-
fachen Verbretterung bis zu Intarsien, Metalleinlagen in Linien und Flächen,
Stoffbekloidung mit allen dessen Zierweisen, Schildpatt und Schnitzereien, so wird
es klar, daß das Mobiliar nicht nöthig hat, seinen Formenschatz der Architektur
abzusehen, sondern daß es sich in reicher Eigenart und dann eben in echtem Mobiliarstil
entwickeln kann. Man muß ihn nur fordern, um ihn bald zu besitzen!

In England ist kürzlich eine SrlberbrtMsv patentirt worden, welche dazu
bestimmt ist, das Neusilber bei Möbelmontirungen zu ersetzen, und die man sowohl
in Stangen und Blechen, als auch als Draht fabriziren kann. Die Komposition
ist folgende: Mangan (8 Gewichtstheile, Aluminium ;s, Silicium 5, Zink (Z und
Kupfer 67,5 Gewichtstheile. Die Reduktion des Mangans, welche auf dem gewöhn-
lichen Wege sehr schwierig ist, würde hierbei mit dem elektrischen (Ofen vollbracht
werden, das Hinzuthun einer kleinen Menge Aluminium beseitigt die Schwierig-
keiten, welche das Schmelzen reiner Manganbronze mit sich bringt, und außerdem
wird die Legirung dadurch viel dauerhafter als Neusilber und Kupfernickel (Nickelin).
 
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