Overview
Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 3.1892

DOI Artikel:
Fritzsche, Otto: Gedanken und Vorschläge eines Praktikers über das Lehrlingswesen
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.6760#0059

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Seite

Zllustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Znnen-Dekoration.

Gedanken und Vorschläge eines Praktikers über das
Lehrlingswesen.

Schon geraume Zeit weiß und empfindet man in weiten Kreisen, besonders
aber in Fachkreisen der Möbelindustrie, daß das Lehrlingswesen sehr viel zu wünschen
übrig läßt. Auf die
geschäftliche Leite
will und kann ich
mich nicht einlassen,
nur Lines muß In-
teressenten wieder-
holt gesagt werden,
daß es sich unter allen
Umständen empfiehlt,
einen schriftlichen
Vertrag zu machen,
der die Rechte und
Pflichten beider
Theile klar und be-
stimmt zum Aus-
drucke bringt, insbe-
sondere aber betont,
wie es zu halten ist,
wenn die Lehrzeit
vor Ablauf der ver-
einbarten Frist von
Seiten des Lehrlings
oder Meisters gelöst
wird oder gelöst wer-
den soll. Letzteres ist
bei etwaigen Strei-
tigkeiten vor dein
Richter sehr wichtig.

Hierzu geeignete
mustergiltige Formu-
lare sollen Innungen,

Gewerbevereineusw.
jedein Interessenten
zurVerfügung stellen.

Die Hauptsache er-
scheint mir aber, wie
die Lehrlingsprüfun-
gen zu stellen sind.

Ls ist ganz falsch,
um ein mir zunächst
liegendes Beispiel zu
wählen, den Lehrling
nach Umstuß einer
z jährigen oder gar
noch kürzeren Zeit
große, reiche Buffets
usw. als sogenannte
Gesellenstückemachen
zu lassen. Gb, resx.
wie weit der Lehrling
die betreffende Arbeit
selbst gemacht hat,
kann nie von Anderen
genau festgestellt wer-
den. Viel wichtiger
erscheint mir (außer
gewissen sogenannten
Gesellenstücken, wie
z. B. eine Rahme mit
reicherer Kröpfung
und hübschen Profi-
len , höchstens eine
Kommode mit sauber
gezinkten, gutgehen-
den Schubladen usw.)
eine mündliche Prü-
fung, die ich mir un-
gefähr so denke: Ich _

würde einen solch an-
gehenden Tischlerge-
sellen etwa Folgen-
desfragen: Wiekon-

struirt man eine winkelrechte Linie auf eine wagrechte nur mit Zirkel und Richt-
scheit? — Welche Methoden gibt es, ein Gval am Einfachsten aufzureißen? —
Auf welche Weise prüft man, wie ein Winkel oder Winkelmaß richtig ist?— wenn
dies nicht der Fall, wie macht man es, um selbe genau zu richten? — wie muß
eine Schlitzsäge beschaffen sein, wenn selbe gut gehen soll; Größe und Stellung der
Zähne usw. — wie soll ein eiserner Doppelhobel beschaffen sein? usw. Auch das

Konstruiren einer richtigen Gehrung gehört hierher, z. B. beim Zusammentreffen
eines geraden und geschweiften profiles. — Jedem Gesellenstück müßte eine einfache,
jedoch korrekte Detailzeichnung beigefügt werden. — Alle diese Fragen müßte der
Geselle vor einer geladenen Zuhörerschaft von Fachleuten und Laien genau beant-
worten, resp. in Praxis vornehmen können. Die nöthigen Werkzeuge, ein großes

Reißbrett mit Zu-
behör, auch eine
schwarze Tafel müß-
ten vorhanden sein.
Diese und ähnliche
Fragen lassen sich
nach Lage der Dinge
und Umständen belie-
big vornehmen und
variiren, aber ich
glaube, die ange-
führten Fragen wä-
ren ungefähr die
hauptsächlichsten,
welche ein gelernter
Schreiner beantwor-
ten können müßte.
— Je nach Ausfall
dieser Prüfung erhält
der angehende Ge-
selle ein Reifezeugniß
mit etwa den Noten
„sehr gut", „gut",
„genügend", „unge-
nügend". — Ferner,
wie wäre es, wenn
einmal bezüglich der
Prämiirung der Stiel
, umgedreht würde.
Den Meister statt den
Lehrling zu prä-
miren, dies erscheint
mir viel richtiger und
logischer. Jedenfalls
wäre auch besonderes
Gewicht darauf zu
legen, daß die Lehr-
zeit, wenn irgend
möglich, in einer
kleineren Werk-
statt durchgemacht
wird, in welcher der
Meister selbst den
ganzen Tag dabei
steht, was naturge-
mäß für den Lehr-
ling eine strengere,
dafür aber auch eine
viel ersprießlichere
Lehrzeit bedeutet.
Auch sind da die Ar-
beiten viel mannig-
facherer Art. Solche
Meister, welche alle
3 bis-x Jahre einen,
höchstens zwei tüch-
tige, brave Ge-
sellen heranziehen,
verdienen höchstes
Lob und Anerken-
nung. — In Baden
bestehen meines Wis-
sens seit Kurzem sei-
tens der Regierung
bereits Bestimmun-
gen im obigen Sinne.

Ich mache mit
vorstehenden Auslas-
sungen und Vorschlä-
gen nicht im Ent-
ferntesten Anspruch
auf Vollständigkeit,

dazu fehlt mir augenblicklich die Zeit und genügendes Unterlagsmaterial, aber ich
hoffe, mit diesem Gedanken wieder einmal Anstoß gegeben zu haben zu Betrach-
tungen darüber, wie dringend nothwendig es ist, Reformen zu schaffen und Maß-
nahmen zu treffen, welche dem jungen, strebsamen Handwerksgesellen auch den Erhalt
einer Grundlage von theoretischen und praktischen Kenntnissen gewährleisten, die
ihn zu weiterem Fortschritt in seinem Kunsthandwerk befähigen. Gttd Fritzsche.

Abbildung Nr. 307. Pt'eilrrwxrANk mit Kuppel im Renaissance-Stil.
 
Annotationen