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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 3.1892

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Falke, Jacob von: Die Moderne Möbelindustrie nach ihren nationalen Unterschieden, [1]
DOI Artikel:
Röttger, R.: Kunstkenner, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.6760#0057

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Seite q2.

Illustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Innen-Dekoration.

März-Heft.

in all diesem Wandel ist sie französisch geblieben. Das will sagen, sie I
hat stets eine freie, mehr willkürliche Gestaltung der strengen Regel,
den Konsequenzen der Konstruktion vorgezogen. Ohne Zweifel liegt
darin eine große Willkür, aber die Willkür war durch
Geschmack gemäßigt, durch Geist, Phantasie und
Erfindungsgabe belebt und fast immer in den Schranken
einer gewissen Grazie gehalten. Die französische De-
koration und Möbelfabrikation hat sich z.B. nie auf
die Neberschwänglichkeiten und Auswüchse des Rokoko
eingelassen, welche in Deutschland um die Mitte des
achtzehnten Jahrhunderts grassirten. — Die gleichen
Eigenschaften find der französischen Industrie von
heute geblieben, aber es ist doch ein wesentlicher Un-
terschied zwischen derjenigen von heute und derjenigen
von ehedem, früher, seit dem siebzehnten Jahr-
hundert, folgte rasch Stil aus Stil; einer löste den
anderen ab und antiquirte seine Vorgänger binnen
wenigen Jahren, heute werden alle
diese Stilarten neben einander be-
trieben, ein Zeichen, daß der fran-
zösische Geschmack von heute im
Grunde nichts Eigenes hat, d. h.
nichts Eigenes, was die Arbeiten
der Gegenwart in karakteristischer
Weise kennzeichnet. Dafür aber wer-
den jene Stilarten alle mit großer
Virtuosität geübt; der französische
Künstler fühlt sich in ihnen zu Hause;
sie entsprechen alle dem französischen
Karakter; sie werden traditionell ge-
übt und das künstlerische Bedürsniß
der Nation hält sie neben einander
aufrecht. — Allerdings nicht in glei-
chem Maße. Lange Zeit und wohl
zum Theil auch heute noch standen
sich zwei Richtungen einander gegen-
über, diejenige, welche das Speisezimmer auszustatten hatte, und die-
jenige des Salons. Jene schloß sich an die französische Art der Re-
naissance an und nahm insbesondere die letzten Ausläufer derselben,

die Möbel, welche man nach Ludwig dem dreizehnten benennt, zum
Muster. Zu ihnen gesellten sich südsranzösische Möbel der Renaissance-
zeit von sehr eigenthümlichen, mit Intarsien, flachem Relief und über-
schlanken Säulen geschmückten formen. Nach diesen
Mustern hat die französische Ebenisterei in den letzten
Jahrzehnten zahlreiche ausgezeichnete Möbelstücke ge-
schaffen, welche — es sei nur an die Arbeiten von
Vorircklnois erinnert — als wahre Kunstwerke zu
gelten haben, ja wegen ihrer überfeinen Durcharbei-
tung nur allzusehr Kunstwerke sind. Die Kunst soll
aber dem Gebrauche kein hinderniß sein. — heute,
in jüngster Gegenwart, hat diese Richtung im Sinne
der späten oder französischen Renaissance wohl etwas
nachgelassen, zumal deßhalb, weil der jüngste und
vornehmste Geschmack — wir sagen sicherlich nicht,
daß es der beste ist — das Speisezimmer ganz licht,
ja weiß verlangt, weiß an den Wänden, weiß an
den lackirten Möbeln. Immerhin
ist diese Art der Ebenisterei nicht
ausgestorben. An Menge des Be-
darfs und der Fabrikation steht sie
aber weit zurück hinter der zweiten
Richtung, welche die Stilarten von
Ludwig XIV. bis hin zum Empire
einschließt. Sie sorgt für den großen
und kleinen Salon, für das Boudoir
und das Schlafzimmer. Diese Stil-
arten aber, wenn sie auch neben
einander geübt werden, stehen doch
heute nicht alle in gleicher Gunst der
Mode. Die Stilarten Nouis XV.
und Noriis XVI. sind bevorzugt
vor Noriis XIV. und dem Stil der
Regentschaft oder dem Rokoko. Der
Stil Empire, der lange vernach-
lässigt war, arbeitete sich nunmehr
auch wieder in die Mode hinein und machte Fortschritte in der Gunst
der vornehmen Gesellschaft. Er muß aber mit einer gewissen Zier-
lichkeit behandelt werden, sein Bronzebeschlag, welcher die Kanten be-

Hmrstkemlvr.

von R. Nötiger.

harmlosen Rentner, der mit dein Opfer von einigen
hundert Mark und so und so viel Geviertmeter bemalter
Leinewand nicht blos seine Behausung auf die höhe der
Zeit gebracht, sondern sich auch zum Kunstverständigen erhoben hat,
diesem gegenüber steht der Professor der Kunstgeschichte an der Hoch-
schule in Dingsda, den man ob seiner hervorragenden Leistungen den
Namen Kunsthuber gegeben hat. Die Hochschule, an welcher er unter-
richtet, ist nicht sehr hoch, und hat auch nicht den Zweck, Künstler aus-
zubilden. Desto höher steht aber Kunsthuber und seine Einbildung. Er
ist ein geborner Herrscher, dem nur die Macht der Verhältnisse das
Rückgrat geschmeidigt hat. Ist unser kunstsinniger Rentner ein Mit-
glied der großen Heerde, die sich selbst, ohne es zu wollen, ganz auf
ihre Leithammel verläßt, so ist Kunsthuber dem gegenüber der Tiger,
der keine Schonung kennt, wenn ihm etwas in den Weg tritt. Er scheut
das Kind im Mutterleibe nicht, wenn es sich um die Kunst handelt,
und Diejenigen, welche ihm entgegen zu treten wagen, werden es bald
— meistens von hinten spüren. Dasselbe widerfährt auch Denen, die
ohne ihn zu befragen, ohne seinen Rath einzuholen, zu schaffen und zu
wirken suchen. Friedliebende Leute vermeiden es daher, mit ihm sich
einzulassen, wenn sie nicht ganz und gar in seinem Fahrwasser schwimmen
können. Die große Masse aber, die Geräusch und Lärm für Ruhmes-
sansaren oder das Echo der Thaten hält, blickt ehrfurchtsvoll auf Kunst-
huber und seine großen Bewegungen, Pantomimen oder Gesten. Die
friedliebenden Leute lassen es gern zu, daß Kunsthuber in alle Kom-
missionen gewählt wird, wo künstlerische Entscheidungen getroffen werden

sollen, ja sie wählen ihn selbst, weil sie ihn dann beschäftigt und eine
Zeitlang befriedigt wissen.

Man kann über Kunsthubers Leistungen getheilter Ansicht sein;
man kann aufrecht halten, daß seine kunstgeschichtlichen Forschungen,
soweit sie seine eigenen, von zweifelhaftem Werthe sind. Das geht uns hier
nichts weiter an; für unsere Zwecke ist sein künstlerisches Wirken, dort,
wo er die Gedanken in die That übersetzte, von Wichtigkeit und Interesse.

In der Nähe von Kunsthubers Wohnsitz wohnte der unvermeidliche
Engländer, der reiche gelangweilte, der, um sich nicht aus Melancholie
oder Spleen todt zu schießen, mit seinem Geld allerhand Possen treiben
läßt, die, je nachdem sie ausfallen, auch theilweis nützlich für Einige
sein können. Dieser Engländer hatte Sinn für Kunst, oder vielmehr
man hatte denselben dazu ausgenutzt, daß man ihn bewog, eine Kirche
in seinem Aufenthaltsorte neu Herstellen und weiter ausbauen zu lassen.

Als Kunsthuber davon hörte — man hatte ihn nicht dabei gefragt,
obschon seine Kunstinteressensphäre sich auch über den Wohnsitz des
Engländers erstreckte — da war er erst empört und wild wie ein Tiger.
Aber er bezwang sich, und seine „bessere" Natur kam zum Durchbruch.
Er näherte sich als Freund und Bewunderer dem reichen Engländer,
und ehe einige Monate vergangen waren, hörte man in Dingsda, theil-
weis mit Freude und Erleichterung, Kunsthuber sei aus einer großen
Studienreise begriffen, die ihn voraussichtlich längere Zeit entfernt halten
werde. In künstlerischen Kreisen waren die Ansichten über die Reise
und ihr Ergebniß getheilt. Die Einen meinten, daß dieselbe nur dienen
könne, um bei Kunsthuber den Läuterungsprozeß in den Begriffen zu
vollziehen, der zu einem umfassenden Kunstverständniß nothwendig ist.
Die Andern erklärten das aber für unmöglich, und diese behielten Recht.

Kunsthuber kehrte verkeilter als je in seine positiven Ansichten, daß
es nur eine Zeit gegeben habe, wo man Kunstverständniß besaß, und
 
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