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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 6.1895

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Schulze, Otto: Wege und Ziele der neueren Tapetenfabrikation
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https://doi.org/10.11588/diglit.6759#0114
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Seite 82.

Illustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Innen-Dekoration.

Mai-Heft.

textilen Farben und Mustern, von dem enggeschnürten textilen
Rapport trennen könnten. Daß wir textile Muster kopirten, wäre
an und für sich nicht zu verdammen gewesen, daß wir aber klein-
gemusterte Stoffe, die für Kleider, Kirchengewänder, Paramenten
u. dgl., aber nie für Wandbekleidungen bestimmt gewesen sind,

auf die Tapete über-
tragen — ist so wenig
verständlich als ent-
schuldbar. Derartige
Auswüchse und grobe
Verstöße hatte das Bunt-
papier—welches eigent-
lich der Vorläufer der
Tapete ist — selbst in
seiner Verfallzeit zu
Tnde des s7. Jahrhun-
derts nicht aufzuweisen.
Auch die Stoffdrucke der
früheren Jahrhunderte
wollten nur bedruckte
Stoffe — für Futterstoffe
bestimmt — nicht aber
Gewebe - Imitationen
sein. — Als man zur
Verurtheilung der ge-
dankenlosen papiernen
Gewebe-Imitationen
schritt, wußte man sich
als trefflichsten Ersatz
dafür nichts Besseres ein-
zureden, als daß die
Tapete, weil Wandbekleidung, berechtigt sei, mit der Malerei, dem
Bilde, zu konkurriren. Der krasseste Naturalismus in schablonen-
hafter Uebertragung hebt an, die Wand bleibt nicht mehr die
logische Abschließung des Raumes — sie wird wesenlos, Luft,
in deren schrankenlosen Grenzen eben nur die Natur als solche
denkbar ist, doch aber nur in verzerrtem Abklatsch vegetirt. Muß
ich dies Vorgehen auch als eine Verirrung bezeichnen, ein kleiner
Fortschritt lag doch darin — es führen verschiedene Wege nach
Rom; wo die Natur in die Zimmer geholt wird, lernt man sehr
bald erkennen, daß sie hier nur kümmerlich gedeihen kann — die
Natur läßt sich nicht vergewaltigen. Man kam schließlich so
weit, sich einzureden, man habe ja die Natur gar nicht kopiren
wollen, es solle nur eine schematische Wiedergabe der naturgemäßen
Raumabschließung sein. So entstand der schematische Naturalismus
in seiner Trockenheit und Steifheit, aus dem dann unter andauernden
schweren Wehen ein gewisser Stilismus geboren wurde, der, wenn
auch nicht viel, doch die Artigkeit an sich hatte — bescheiden
aufzutreten. Er war zurückhaltend, nur vereinzelt etwas naseweis,
vorlaut, was sich einigermaßen legte, als man ihn in eine Art —
Uniform zwang. Militärische Schulung, gemessenes Auftreten,
ebenmäßige Linien und wenige Farben — zweierlei Tuch der
Fußtruppen. Mögen wir hierüber denken wie wir wollen, ein
weiterer, kaum genug gewürdigter Fortschritt ist nicht zu verkennen.

Der Wand behagte dieses System ganz gut, nur den Menschen
nicht für die Dauer. Papier war es allerdings, was man da
hatte, aber auch nicht mehr. Aber aus diesen Mustern und Farben
ließe sich doch schließlich etwas Anderes, etwas Besseres machen
— sagte man sich angesichts des großen Apparates der Tapeten-
druckerei. Da kamen von Amerika tapetenartige Buntpapiere zu
uns, vor Allem aber zu den Engländern, die durch ihre Natur-
stilisten Dresser und Hulme in der Flachmusterei bereits auf
neue Bahnen gelenkt wurden. Der Engländer Blick in die Zu-
kunft, in das Lebende der Natur war zugleich ein Rückblick in
die stilistisch abgeschlossene Vergangenheit. Man besann sich auf

Abbildung Nr. 1V8.

Salon-Tapete non Kerm. Sirauvea in Kann.

gewisse Zeitabschnitte, in denen verschiedene Völker, vor die gleiche
Nothwendigkeit gestellt, sich an die Brust der Natur geworfen
hatten. Also zurück oder auch vorwärts in die Natur. Das
Kaiserreich Indien ist nicht umsonst ein Edelstein in der Krone
Englands; aus dessen alt-indopersischen Motivenquellen konnte
also mit Behaglichkeit geschöpft werden. Besonders werthvoll
hierfür wurden die alten Perserteppiche befunden, deren Natur-
poesie sich auch Walter Trane nicht entziehen konnte, was in
manchem seiner Werke, nicht zuletzt in seinen Tapeten nachweisbar
ist. Doch das eigentlich „englische" der modernen Tapete ist nicht
so weit hergeholt worden. Haben wir an den Konstruktionen der
englischen Gothik gelernt, so haben wir dafür manches orna-
mentale Motiv in Zahlung gegeben, denen man selbst in der
Umgestaltung die Herkunft sehr gut ansieht. Die Musterzeichner
verrathen ja aus naheliegenden Gründen ungern oder überhaupt
nicht, woher sie ihre Anregungen empfangen. Eine Anregung,
ein Hinweis, das Versenken in den Grundgedanken eines dekora-
tiven Prinzips genügt ihnen zur Schaffung zahlloser neuzeitlicher
Kompositionen. Da ist Tirol und Süddeutschland mit seiner
naturalistischen Spätgothik in den reizvollen flachornamentalen
Schöpfungen. Die tiroler Schlösser haben breit und wuchtig an-
gelegte ornamental-figürliche Wandmalereien in wenigen Farben
auf Kalkputz. Zwei bis drei Grundmotive wiederholen sich in
großen Zügen, einem Verwachsen, Verflechten oder Verschmelzen
nicht unähnlich. Es ist ein Ueberspinnen, kein Mustern der
Wände; es ist ein Wachsen von unten nach oben, kein Fallen von
oben nach unten wie bei Behängen aus Geweben und Teppichen.
Nur wenige englische Tapeten haben in der Bewegtheit der Blätter
Anlehnung an die gothischen Helmdecken der deutschen Heraldik
genommen; es liegt eine Straffheit im Flattern der wie Tuch-
zaddeln behandelten lappigen Blätter, die ein Wind vom Erdboden
zu heben scheint, zu rhythmischen Linien einigend. Und nicht
weit von diesen Schatzkammern, in Gber-Italien, webte man fast
zu gleicher Zeit herrliche Sammte, die ein ganz eigenartiges, dem
Orient entliehenes Motiv, das des schrägwachsenden Stammes,
als Einheitsgedanken hatten — in unseren Museen finden wir meh-
rere derartige Sammte,
auch das Kunstgewerbe-
Museum zu Köln besitzt
solche. — Stellen wir
die technischen Gepflo-
genheiten der textilen
Kunst in ihrer großen
Gruppe „Gewebe" mit
den streng gesetzmäßig,
in ziemlich engem Rah-
men wiederkehrenden
Mustern — nur wenige
Ausnahmen können hier
gemacht werden — zu
den vorstehend beschrie-
benen dekorativen Ele-
menten in Vergleich, er-
weitert durch die neueren
englischen Tapeten, so
gewinnen wir die Grund-
züge, nach welchen die
Tapete überhaupt einzig
und allein ihren künf-
tigen Dekor erhalten

sollte. Wir haben gesehen, daß ein Gewebemuster auf eine Bahn
Papier übertragen, noch keine Tapete macht; auch ein natura-
listisches oder stilistisches Muster in der bisherigen, aus der We-
berei entnommenen Anordnung zu gleichem Zweck verwendet,
konnte keine dauernde Befriedigung erzielen. Es blieb ein Fehler

Abbildung Nr. Ipy.

Schlafsimmer-Taxctc non L. Kämmerer in Karlsruhe.
 
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