Seite j26.
Illustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Innen-Dekoration.
Juli-Heft.
einstehen, daß man nicht im Jahre jß20 dem Stil von j860
fo schön finden wird, wie wir heute denjenigen von j830. Die
öffentliche Meinung ist unberechenbar, also olli Io 8a? — Seit
Abbildung Nr. s-w- Wohn-Zimmer mit Erker-Einbau. Entworfen von L. Gudenrath, Bamberg.
dem Jahre j870 hat die öffentliche Meinung die Ueberzeugung
gewonnen, daß eine Einrichtung Stil haben muß. Sie hat sich
ihren Begriff von Stil auf ihre eigene Art gebildet; sie erkennt
ihn nur an, wenn er ihr aä oonlos demonstrirt wird. Herren-
zimmer und Borsaal gothisch, Eß-
zimmer Renaissance, Salon Rokoko
oder Empire, Schlafzimmer englisch
usw. lautet ihr Programm. Mder
auch das ganze Haus Renaissance,
das ganze Haus romanisch usw. Die
Hauptsache ist eine wohllautende
Theorie. Im Uebrigen gibt es große
Dekorations-Bazare, die keinen Augen-
blick zögern, einer reichen Kundin etwa
einen persischen Teppich für romanisch
anzupreisen, wenn der Verkäufer merkt,
daß gerade dieser Teppich der Dame
gefällt. Ein Nußbaumschrank mit
Muschelaufsatz wird unter Umständen
für Rokoko ausgegeben usw. Schließ-
lich verdient es die Käuferin ja auch
gar nicht besser und das Bischen
Illusion bleibt am Ende doch das
Beste im Leben. So wenigstens lautet
die Erklärung der praktischen Auf-
klärungstheoretiker von heute, die
sich über allen Aberglauben erhaben
dünken. Man könnte sie ja auch mit-
sammt der öffentlichen Meinung ge-
währen lassen, wenn nicht bei dem Treiben die deutsche Volks-
wohlfahrt und die deutsche Geistesfreiheit auf dem Spiel stände.
Das deutsche Kunstgewerbe hat zweifellos gewaltige Fort-
schritte gemacht. Die Fortschritte aber werden stocken, wenn nicht
die ganze Nation sich an ihnen mit Bewußtsein betheiligt. Das
ist noch immer nicht annähernd genug der Fall. Die öffentliche
Meinung hat ihre Meinung geändert, nicht aber ihre Natur.
Eben deshalb ist sie mächtiger als
je, unausgesetzt geschäftig, das Recht
des Einzelnen zu unterdrücken. Es
ist den Frauen erlaubt, sich schäbig,
nachlässig und geschmacklos zu kleiden.
Das nennt man lobenswerthe Ein-
fachheit. Auch große Verschwendung
wird erlaubt und gutgeheißen. Es
ist hier der Industrie damit gebient.
Sobald aber das Kleid mit geringen
Mitteln durch wahrhaft künstlerischen
Geist verschönt ist, fühlt sich die
öffentliche Meinung im Absolutismus
ihrer Rechtsbegriffe beeinträchtigt.
Ebenso mit den Mahnungs-Einrich-
tungen. Das Geschmacklose, sei es
nun nüchtern oder sei es protzenhaft,
wird geduldet. Nur das Selbsterdachte,
für den Einzelfall sorgfältig Aus-
gewählte wird, besonders in bürger-
lichen Kreisen, für anspruchsvoll er-
scheinen. Die Dekorationskunft leidet
schwer unter diesem Nebel. Fachleute
wie Dilettanten werden an der Aus-
gestaltung ihrer eigensten Gedanken
gehindert. Und doch kann nur im
Gedankenreichthum der Fortschritt des
Kunstgewerbes gefördert werden. —
Zweierlei Mittel stehen dem Kunst-
gewerbe zur Verfügung, um aus dem Kampfe gegen die Ein-
seitigkeit der schablonenhaften Meinung siegreich hervorzugehen.
Typus und Symbol heißen die Mittel. Sie werden sich wirksamer
erweisen, als das Individuelle und das überzeugend Zweckmäßige.
Abbildung Nr. s^;. bferren-Zimmer mit Erker-Ausbau. Entworfen von L. Gudenrath, Bamberg.
Nicht als ob letzteres werthlos wäre. Es bedarf aber der inneren
Festigung. Diese wird gefördert durch zielbewußte Benutzung des
Typischen und des Symbolischen. Die Mittel sind gewissermaßen
homöopathisch, indem sie Gleiches dem Gleichen entgegensetzen.
Illustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Innen-Dekoration.
Juli-Heft.
einstehen, daß man nicht im Jahre jß20 dem Stil von j860
fo schön finden wird, wie wir heute denjenigen von j830. Die
öffentliche Meinung ist unberechenbar, also olli Io 8a? — Seit
Abbildung Nr. s-w- Wohn-Zimmer mit Erker-Einbau. Entworfen von L. Gudenrath, Bamberg.
dem Jahre j870 hat die öffentliche Meinung die Ueberzeugung
gewonnen, daß eine Einrichtung Stil haben muß. Sie hat sich
ihren Begriff von Stil auf ihre eigene Art gebildet; sie erkennt
ihn nur an, wenn er ihr aä oonlos demonstrirt wird. Herren-
zimmer und Borsaal gothisch, Eß-
zimmer Renaissance, Salon Rokoko
oder Empire, Schlafzimmer englisch
usw. lautet ihr Programm. Mder
auch das ganze Haus Renaissance,
das ganze Haus romanisch usw. Die
Hauptsache ist eine wohllautende
Theorie. Im Uebrigen gibt es große
Dekorations-Bazare, die keinen Augen-
blick zögern, einer reichen Kundin etwa
einen persischen Teppich für romanisch
anzupreisen, wenn der Verkäufer merkt,
daß gerade dieser Teppich der Dame
gefällt. Ein Nußbaumschrank mit
Muschelaufsatz wird unter Umständen
für Rokoko ausgegeben usw. Schließ-
lich verdient es die Käuferin ja auch
gar nicht besser und das Bischen
Illusion bleibt am Ende doch das
Beste im Leben. So wenigstens lautet
die Erklärung der praktischen Auf-
klärungstheoretiker von heute, die
sich über allen Aberglauben erhaben
dünken. Man könnte sie ja auch mit-
sammt der öffentlichen Meinung ge-
währen lassen, wenn nicht bei dem Treiben die deutsche Volks-
wohlfahrt und die deutsche Geistesfreiheit auf dem Spiel stände.
Das deutsche Kunstgewerbe hat zweifellos gewaltige Fort-
schritte gemacht. Die Fortschritte aber werden stocken, wenn nicht
die ganze Nation sich an ihnen mit Bewußtsein betheiligt. Das
ist noch immer nicht annähernd genug der Fall. Die öffentliche
Meinung hat ihre Meinung geändert, nicht aber ihre Natur.
Eben deshalb ist sie mächtiger als
je, unausgesetzt geschäftig, das Recht
des Einzelnen zu unterdrücken. Es
ist den Frauen erlaubt, sich schäbig,
nachlässig und geschmacklos zu kleiden.
Das nennt man lobenswerthe Ein-
fachheit. Auch große Verschwendung
wird erlaubt und gutgeheißen. Es
ist hier der Industrie damit gebient.
Sobald aber das Kleid mit geringen
Mitteln durch wahrhaft künstlerischen
Geist verschönt ist, fühlt sich die
öffentliche Meinung im Absolutismus
ihrer Rechtsbegriffe beeinträchtigt.
Ebenso mit den Mahnungs-Einrich-
tungen. Das Geschmacklose, sei es
nun nüchtern oder sei es protzenhaft,
wird geduldet. Nur das Selbsterdachte,
für den Einzelfall sorgfältig Aus-
gewählte wird, besonders in bürger-
lichen Kreisen, für anspruchsvoll er-
scheinen. Die Dekorationskunft leidet
schwer unter diesem Nebel. Fachleute
wie Dilettanten werden an der Aus-
gestaltung ihrer eigensten Gedanken
gehindert. Und doch kann nur im
Gedankenreichthum der Fortschritt des
Kunstgewerbes gefördert werden. —
Zweierlei Mittel stehen dem Kunst-
gewerbe zur Verfügung, um aus dem Kampfe gegen die Ein-
seitigkeit der schablonenhaften Meinung siegreich hervorzugehen.
Typus und Symbol heißen die Mittel. Sie werden sich wirksamer
erweisen, als das Individuelle und das überzeugend Zweckmäßige.
Abbildung Nr. s^;. bferren-Zimmer mit Erker-Ausbau. Entworfen von L. Gudenrath, Bamberg.
Nicht als ob letzteres werthlos wäre. Es bedarf aber der inneren
Festigung. Diese wird gefördert durch zielbewußte Benutzung des
Typischen und des Symbolischen. Die Mittel sind gewissermaßen
homöopathisch, indem sie Gleiches dem Gleichen entgegensetzen.