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<^G ®ffenes SpiuMrcilipn an ta ifMea Dismati, Kanzler itps ifruffifmi Keiliies.

Hochgeborener Herr Fürst!

Endlich, endlich komme ich dazu, Ew. Durchlaucht im Namen der
ganzen Faniilie unsere Gratulation abzustatten. Es hat sich damit ein
bischen hingezogen, einerseits des MädchcnwechselS wegen, den ja Ew.
Durchlaucht leider immer ausgerechnet gerade an Ihrem Geburtstage haben,
und denn auch, weil wir dachte», den Tag selbst könnte es Ihnen zu viel
werden. Mein Gott, ich kann mir ja denken, wie den ganzen Tag über bei
Ihnen die Klingel gegangen ist. Anstrengend ist sowas, daS weist ich von
unserer silbernen Hochzeit her. Schon das ewige Flaschcnaufziehen! Und
cs muh doch jedem was vorgcsetzt werden, besonders, wenn er was bringt.

Nein, die Masie Geschenke, die Ew. Durchlaucht bekommen haben! DaS
viele Bier! sagte mein Mann — wenn man blos das Verzeichnitz der Sorten
liest, kriegt man schon Durst. — Und die viele» Schlummerrollen, die doch
gewist nicht fehle» werden! sagte Tante Riekchen. Ob es wohl mehr wie
tausend sind V — Und die Pscifcnschnüre und die Albunis und die Aschbecher,
sagte ich. - Und die Stammseidel! sagte mein Mann — Cigarren doch
auch gewist! fügte unser Herniami hinzu. Schwere Tage für Schwe -
ninger! schloß Tante Riekchen.

ES soll mich nur wundern, wo Ew. Durchlaucht die Sachen alle hin-
stellen werden. Aber freilich in FriedrichSruh und in Varzin ist ja auch noch
Platz, und was von de» Geschenken Lebensmittel sind, das tritt ja allmählich
wieder aus der Erscheinung.

Wir haben uns die Tage vorher sehr'gut amüsirt, indem wir uns in
den Schaufenstern alles angesehen habe», was Ew. Durchlaucht verstellen
sollte in Photographien und Lithographien, in Holz und Oel, in Gips und
ungegipst und sogar in Chocolade. Jetzt, sagte mein Mann, würde es der
geeignete Augenblick sein, eine Bismarck-Kopfsteuer zu erheben. Es würde
eine nette Summe einkommen, und so 'ne gute Gelegenheit dafür kommt so
leicht nicht wieder. Ich mnstte ihm darin recht geben. Uebrigens fand ich,
daß Ew. Durchlaucht aus manchem Kopf ziemlich schwer hcrauszuerkenncn
war. Aber Sie möge» ja früher auch, als wir uns »och nicht kannten,
anders ausgesehcn habe».

Am Vorabend, wo der Fackclzug war, verliest mich mein Mann und
unser Hermann mit dem Bemerken, dah sie sich die Sache ansehen wollten.
Mich in das Gedränge mitzunehmen, würde lebensgefährlich für sie sein,
weshalb sie es lieber nicht thäten. Ich habe niemals mehr bedauert, daß
wir nicht 'ne Wohnung nach vorn 'raus unter den Linden oder in der
Wilhelmstraße haben. Aber nun war es ja viel zu spät, etwas daran zu
ändern, da wir eine» Miethscontract mit halbjähriger Kündigung haben,
mein Mann also spätestens vorigen Michaelis hätte daran denken müsien.

Also blieb ich mit der andern Faniilie in der Köpnickcrstraste, wo beim besten
Willen vom Fackclzug nichts zu sehn war, während mein Mann >md Her.
mann sich in die Brandung stürzten, von der sie, wie ich nachher hörte, bald
getrennt und nach allen Richtungen der Windrose hin verschlagen wurden.
Hermann kam am andern Morgen um halb sieben nach Hause, weil, wie er
behauptete, cs nicht eher aus gewesen sei. Wann mein Mann nach Hause
gekommen ist, weist ich nicht genau, glaube aber ihn nicht lange vor Her-
mann die Treppe hinauffallcn gehört zu haben. Ich drückte ei» Auge zu,
weil es sich um die Feier eines TageS gehandelt hatte, der ja doch im
großen und ganzen nicht sehr oft vorkommt.

Zn etwas stillerer Weise feierten wir unterdessen in der Familie den
großen Abend. Die Hauptnummer deS Festprogramms bestand darin, das,
wir alle zusammen (Tante Riekchen, die den Abend bei unS war, mit
eingeschlossen) ein Gedicht auf Ew. Durchlaucht machten. Dasselbe lautet
folgendermaßen:

So viel Fackeln heut sie schwingen,

So viel Lieder heut sie singe»,

So viel Gläser heut erklingen,

Während du gefeiert wirst,

So viel Jahr noch leb', o Fürst!

Ich mallste mir Gedanken darüber, ob cS wohl ganz passend sei, daß
Ew. Durchlaucht in diesem Gedicht aus unserem Munde mit Du angercdet
werde. Du lieber Himmel! sagte ich — den Himmel redet man- ja mit
Du an — selbst die Mädchen lassen sich das Du nicht mehr gefalle», nun
sott man so etwas einem so hochstehenden Mann gegenüber sich heraus-
nehmen? Aber Tante Riekchen beruhigte mich. Das ist, sagte sie, eine
poetische Freiheit, welche dem Dichter, beziehungsweise der Dichterin gestattet
ist, w il sie beide so zu sagen auf den Höhen der Menschheit stehen.

Ein Herr Oe. Müller, der nachher das Gedicht sah, weinte, eS sei
noch lange nicht das schlechteste von allen, die für den I. April angcfertigt
und gedruckt worden wären.

So wage ich den», es nachträglich Ew. Durchlaucht zu unterbreiten nebst
de» herzlichsten Glückwünschen unser aller, eingeschlossen den Jüngste»,
Gottlieb, für den sich vielleicht eine kleine Stelle bei der Verwaltung deS
stillcn Meeres oder als Registrator in Angra Pequena finden möchte.
Nicht wahr?

Ew. Hochfürstlichen Durchlaucht alleruntergebenste

Friederike Bohmhainmel,
geb. Nottcbohm.

P. 8. Unsere Adresse ist auch nach dem I. die alte.

Hins bns TUurfljinjjicr erzählt.

Franz war Steinträger. Mil Lust trug er die schwersten Lasten in die
höchsten Etagen. Aber seine Ambition ging noch höher. Er fühlte, daß ei»
schöneres Loos für ihn bestimmt sei.

Eines Abends hatte er eine Frankfurter Wurst gekauft und verzehrte sic
erwartungsvoll in seinem Dachstübchen. Er liest seine Blicke gedankenlos
über die benachbarten Dächer schweifen, dann irrten sie in seinem Kämmerlein
umher und fielen dabei auch auf das Papier, i» welches die Wurst gewickelt
war, das ihm zugleich als Tischtuch und Teller diente.

Es wllr die letzte Seite eines Briefes. Mechanisch laö er die wenigen
Worte, welche er enthielt. Plötzlich begriff er den Sin» und las aufmerksam
noch einnial. „Ach, Du kennst mich nicht, sonst würdest Du in meine Arme
eilen und das Glück geniesten, das ich Dir bieten kann. Aber Du hältst eS
nicht der Mühe werth, mich kennen zu lernen."

Die Unterschrift war durchaus unleserlich gemacht.

Franz fühlte, daß dieser Brief den Wendepunkt seines Schicksals
bedeute. Aber, wer war und wie hieß sie, und wo sollte er sie aufsuchcn?

Nach einer unruhigen Nacht hatte er seinen Entschluß gefaßt. Sofort
lief er zum Schlächter und kaufte wieder eine Wurst. Ach, vergeblich, acht
Tage lebte er nur von Wurst, ohne eine fernere Nachricht durch die Um
hüllung derselben zu erhalten. Da, endlich, lag sic wieder in eineni Briefe,
der richtig auch von derselben Hand war.

In einem Sprunge war er in seiner Dachkammer und las in furchtbarer
Aufregung.

„Acht Tage habe ich vergebens auf Dich gewartet. Ich sehe, daß alles
zwischen uns aus ist. Lebe wohl! Mich siehst Du nie wieder!' Die Unter-
schrist war sauber unleserlich gemacht.

In Verzweiflung rannte Franz zum Schlächter zurück. „Haben Sie
; noch mehr vpn diesem Papier, und woher beziehen Sie es?"

Der Schlächter wies auf einen ganzen Haufen und erklärte, daß er
wöchentlich von einem Bureaudiencr aus dem gegenüber liegenden Mimiteriuin
mehrere Pfund davon bekäme.

In fieberhafter Hast durchflog Franz die Papiere. Ach, cs waren nur
dienstliche Angelegenheiten. Stellengesuche, Bitten um Gehaltserhöhungen
und Unterstützung, Dcnunciationen, allerlei Anzeige» und ab und zu Ver-
fügungen.

Franz war geknickt. Er hatte alles gethan, was in seinen Kräften
stand. Ihn traf kein Vorwurf. Wie würde er sie geliebt haben, wenn sie
nur ihre Adresse angegeben hätte.- Geld schien sie auch zu haben.

Franz trägt nach wie vor Steine, aber Wurst istt er nicht mehr.

TTT i d) (i ij e -Le sch küsse.

In der italienischen Kammer wurde Mancini darüber interpellirt,
welche Ziele eigentlich die Anwesenheit der italienischen Truppen in Afrika
verfolge. Der Minister erklärte, das Interesse des Landes verbiete ihm,
darüber Auskunft zu geben. Nach langer Discusfion wurde der Antrag des
Präsidenten Bianchcri angenommen, dem ExpeditionscorpS die Grüße des
Vaterlands zu sende».

Da sich die Kammer darauf für fünf Wochen vertagte, wurde eine
Coinmission von dreißig Mitglieder» ernannt, welche während dieser Zeit
versammelt bleiben und die regelmäßige Absenkung von Grüßen an die
Truppen besorgen soll.
 
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