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Die fliegende Wegierung. 'ViW'
de» letzte» Tagen habe» die Blätter wieder mit Enlschicdenheit auf
die empfindlichen Nachtheile hingewicsen, welche die öftere Abwesenheit
des Kaiser? von der ReichShauPtstadt für einen regelmäßigen Gang der
Regierungsgeschäfte mit sich bringt. Die „Rat.-Ztg." schreibt: „ES ist
Thalsache, das; oft wichtige Personalveränderungen erfolgen und politische
Krisen eintreten, nachdem der Monarch längere Zeit ohne unmitlelbare
Verbindung mit seinen verantwortlichen Rathgebcrn gewesen ist. ES wäre
zu wünschen, das, der Herrfcher während der Entfernung von dem Mittel-
punkte des StaatSlebcnS unmiltclbar auch die Meinung der vcranlwort-
lichen Negierung über die politischen Vorgänge horte, nicht bloS die eines
Hofes aus Neise» oder einer durch den jeweiligen Aufenthaltsort be-
dingten Umgebung."
Aber wie soll das erreicht werden? Den Gedanken, ein Mitglied
des StaalsminisleiiumS zu dcpulircn, daS gewissermaßen als „Reise-
minister" daS Staatsoberhaupt zu begleiten hätte, verwirft die „Nat.-Ztg."
mit Recht, denn eine solche Maßregel hätte nur Sinn bei einer einheit-
lichen, solidarisch eine bestimmte. Politik verlrclcndcn Regierung, und eine
solche Negierung habe» wir leider noch immer nicht. ES ist klar, das,
halbe Massnahme» hier nichts Helsen können: Das ganze Staats-
Manchem Philister mag der Vorschlag befremdlich erscheinen, aber
er lässt sich ohne große Schwierigkeiten auSsühren. Allerdings müssen
die Herren Minister auch ihre Vortragenden Rälhe und ihr Bureaupersonal
bei sich haben, sie werden auch, soweit sie verhcirathet sind, ihr Familien-
leben nicht entbehren wollen, aber in einer Frage, bei der es sich um das
Wohl des Landes handelt, darf es eben aus einige Extrazüge oder einige
Perionendampser mehr nicht ankommen. Was in Berlin und sonst im
Lande Wichtiges Passirt, erfahren sie täglich zu Lande durch de» Telegraphen,
der überall hinreicht, aus dem Meere durch die hin- und hereilenden
Dcpeschenboote. AllcS Wesentliche ersehen sie auch schon aus den Zeitungen,
die ihnen im Reiseabonnement nachgeschickt werden, und so sind' sie über
jede Frage genau so gut informirt, alS ob sie in ihrem Arbeitszimmer
in Berlin säßen.
Und wie anregend würde das Leben unter den verschiedenartigsten
Verhältnissen und der Aufenthalt in schönen Gegenden aus die Minister
wirken! Den Morgen und de» Nachmittag hindurch würden sie fleißig
arbeiten und dann am Abend bei den anregenden Vorträgen und komischen
Producllouen des Grasen P hilipp Eulenbnrg und der Herren v. Hülsen
und v. Kiderlcn-Wächlcr neue Kraft und Frische für die Aufgaben des
kommenden TageS sammeln. Etwaige Perjonalveränderungen könnte Herr
v. Lucanus den Betroffenen gleich mündlich mittheilen, und auch dadurch
würde der regelmäßige Gang der Geschäfte wesentlich erleichtert und ver-
einsacht werden.
Durch das zwanglose abendliche Zusammenleben würde sich bald
zwischen den verantwortlichen Ministern und den Mitgliedern der sog.
Nebenregierung daS erfreulichste Verhältnis! auSbilde». Alle Anordnungen,
die daS Ministeriuni während seiner Abwesenheit von Berlin erließe, wären
zu unterzeichnen: „Das fliegende Königliche Staatsministerium."
wird unS berichtet: Die kaltblütige Ruhe, die Präsident Faure bei dem
jüngsten Attentate bewiesen, hat ihm die Herzen aller Franzosen gewonnen.
Sein Benehmen war aber auch wirklich bewundernswerth und zeigte einige
charakteristische Züge, die man bisher bei keinem angestammten Monarchen,
der in ähnlicher Lage war, gesunden hat. Als ihm während des Rennens
von einem Minister, der seine Gesühle nicht mehr zurückhalten konnte,
mitgetheilt wurde, daß vor einer halben Stunde ein Attentat auf ihn
verübt worden, sühlte er nicht einmal nach, ob er an irgend einem edlen
Theile verwundet sei, sonder» fragte einfach: „Bombe, Revolver oder
Dolch?" Auf die Antwort des Ministers: „Schlüsselbüchse", meinte er
mit kühlem Lächeln: „Kenne ich nicht, ist wohl etwas Ausländisches?"
Er nahm einen Schluck Limonade — der Tag war sehr heiß — und
wandte, als ob nichts vorgcsallen wäre, seine Aufmerksanikeit wieder dem
Rennen zu, das unterdessen leider beendet war. Die Pserdc und die
Ereignisse liefen an diesem denkwürdigen Tage in Frankreich ungewöhn-
lich schnell.
Die Simon Blad'sche Erbschasissache kann nicht zur Ruhe kommen.
Für den Berliner Magistrat ist und bleibt cS eine peinliche Sache, daß
er im Fall der Annahme der Erbjchast verpflichtet ist, dem Erblasser, der
keinen seine» Ruf hinterlassen hat, ein Denkmal in ganzer Figur zu er-
Es gibt, meinen wir, einen guten Ausweg aus dieser Verlegenheit,
lim das Denkmal in ganzer.FIgur kommt der Magistrat der Stadt Berlin
nicht herum, das muß er dem Simon Blad setze», wenn er sein Geld
haben will. Er ist aber nicht gezwungen, den Erblaffer allein abbilde»
zu lassen. Nun denn, so möge er ihm eine allegorische Figur zugesellen,
welche die Wollust darstellt. Dadurch wird ausgeschlossen, daß das Denk-
mal lediglich als eine Ehrung des Verewigten erscheint; dem Künstler aber,
dem das Aushancn des Blad vielleicht kein besonderes Vergnügen macht,
wird dadurch Gelegenheit gegeben, zugleich eine weibliche Jdealgestalt zu
sonnen, die er mit den sinnbcrückendsten Reizen ausstattcn kann.
Viele Leute wünschen den Grunewald »mzutause» und wollen ihn
zum Andenken- an jene Sitzung des preußischen Herrenhauses, die ihn
zum Urwald hat stempeln wollen, Herrenbusch oder Herrenhaus-
heid e'oder sonstwie nennen. Di« vorgeschlagenen Namen finden aber
bisher in weiteren Volkskreisen keinen Anklang. Wir schlagen vor, den
Grunewald in Zukunst kurz, und gut »Urwald" zu heißen, den Mitgliedern
deS Herrenhauses aber in Anerkennung ihrer Verdienste um die Er-
haltung dieses „Urwaldes" den Namen „Urwäldler" bcizulegcn.
Wie wir hören, ist Herr v. Miguel telegraphisch aus seiner Svmmcr-
srische nach Berlin berusen worden. Das Telegramm oder die „Drahtung",
wie Stephany sagt, soll einfach gelautet haben:
„Lamiel, hilf!"
Das neue Staatswappen.
Bei den Berathungcn, die in den letzten Tagen zwischen dem Reichs-
kanzler und einzelnen Ministern stattgesunden haben, hat es sich, wie wir
aus bester Quelle erfahren, vor allem um eine Aenderung des preußischen
Staatswappens gehandelt.
-Die beiden wilden Männer, die bisher als Wappenhaltcr sigiirirt
haben, sind längst veraltet. Ihre rohe und wüste Erscheinung beleidigt
unser Auge, und der fast vollständige Mangel an Bekleidung verletzt das
empsindliche Schamgesühl unserer Zeit. Die Regierung hat daher be-
schlossen, die widerwärtigen Gestalten, die besser als Symbole des Um-
sturzes zu verwenden wären, durch zwei ebenso anständige wie sympathische
Figuren zu ersetzen, in denen sich die stärkste Stütze der Staats-
DaS ist die richtige Antwort ans die frivole Behandlung, die die
Novelle zum Vercinsgesetz im Hause der Abgeordneten ersahren hat! Zum
Glück braucht zu dieser Aenderung nicht die Genehmigung der Herren
Volksvertreter nachgesucht zu werden, die Staatsregierung ordnet sie aus
unbestrittener eigener Machtvollkommenheit an.
In Forst hat, wie die Blätter berichten, die Stadtpolizei einer Schul-
klasse die Erlaubniß, anläßlich eines Ausfluges unter Trommelklang durch
die Straßen zu marschire», nur unter der Bedingung gewährt, daß 1,50 M.
Lustbarkcitssteucr von dem Klassenlehrer gezahlt würde. Wie verlautet,
hat 'eine Versammlung von Förster Bürgern eine. Eingabe an den
Magistrat gerichtet, dahin lautend, daß auch die heileren Einsälle der
Polizei einer entsprechenden Lustbarkeitsstcuer unterlicgen sollen; denn —
heißt es in dem Schriststückc — wenn die Polizei sich einen Extraspaß
machen will, soll sie auch im Interesse der öffentlichen Wohlfahrt so gut
wie die Schulknaben dasür zahlen. Der Magistrat wird sich diesem
gerechten Wunsche der Bürger kaum entziehen können.
Die fliegende Wegierung. 'ViW'
de» letzte» Tagen habe» die Blätter wieder mit Enlschicdenheit auf
die empfindlichen Nachtheile hingewicsen, welche die öftere Abwesenheit
des Kaiser? von der ReichShauPtstadt für einen regelmäßigen Gang der
Regierungsgeschäfte mit sich bringt. Die „Rat.-Ztg." schreibt: „ES ist
Thalsache, das; oft wichtige Personalveränderungen erfolgen und politische
Krisen eintreten, nachdem der Monarch längere Zeit ohne unmitlelbare
Verbindung mit seinen verantwortlichen Rathgebcrn gewesen ist. ES wäre
zu wünschen, das, der Herrfcher während der Entfernung von dem Mittel-
punkte des StaatSlebcnS unmiltclbar auch die Meinung der vcranlwort-
lichen Negierung über die politischen Vorgänge horte, nicht bloS die eines
Hofes aus Neise» oder einer durch den jeweiligen Aufenthaltsort be-
dingten Umgebung."
Aber wie soll das erreicht werden? Den Gedanken, ein Mitglied
des StaalsminisleiiumS zu dcpulircn, daS gewissermaßen als „Reise-
minister" daS Staatsoberhaupt zu begleiten hätte, verwirft die „Nat.-Ztg."
mit Recht, denn eine solche Maßregel hätte nur Sinn bei einer einheit-
lichen, solidarisch eine bestimmte. Politik verlrclcndcn Regierung, und eine
solche Negierung habe» wir leider noch immer nicht. ES ist klar, das,
halbe Massnahme» hier nichts Helsen können: Das ganze Staats-
Manchem Philister mag der Vorschlag befremdlich erscheinen, aber
er lässt sich ohne große Schwierigkeiten auSsühren. Allerdings müssen
die Herren Minister auch ihre Vortragenden Rälhe und ihr Bureaupersonal
bei sich haben, sie werden auch, soweit sie verhcirathet sind, ihr Familien-
leben nicht entbehren wollen, aber in einer Frage, bei der es sich um das
Wohl des Landes handelt, darf es eben aus einige Extrazüge oder einige
Perionendampser mehr nicht ankommen. Was in Berlin und sonst im
Lande Wichtiges Passirt, erfahren sie täglich zu Lande durch de» Telegraphen,
der überall hinreicht, aus dem Meere durch die hin- und hereilenden
Dcpeschenboote. AllcS Wesentliche ersehen sie auch schon aus den Zeitungen,
die ihnen im Reiseabonnement nachgeschickt werden, und so sind' sie über
jede Frage genau so gut informirt, alS ob sie in ihrem Arbeitszimmer
in Berlin säßen.
Und wie anregend würde das Leben unter den verschiedenartigsten
Verhältnissen und der Aufenthalt in schönen Gegenden aus die Minister
wirken! Den Morgen und de» Nachmittag hindurch würden sie fleißig
arbeiten und dann am Abend bei den anregenden Vorträgen und komischen
Producllouen des Grasen P hilipp Eulenbnrg und der Herren v. Hülsen
und v. Kiderlcn-Wächlcr neue Kraft und Frische für die Aufgaben des
kommenden TageS sammeln. Etwaige Perjonalveränderungen könnte Herr
v. Lucanus den Betroffenen gleich mündlich mittheilen, und auch dadurch
würde der regelmäßige Gang der Geschäfte wesentlich erleichtert und ver-
einsacht werden.
Durch das zwanglose abendliche Zusammenleben würde sich bald
zwischen den verantwortlichen Ministern und den Mitgliedern der sog.
Nebenregierung daS erfreulichste Verhältnis! auSbilde». Alle Anordnungen,
die daS Ministeriuni während seiner Abwesenheit von Berlin erließe, wären
zu unterzeichnen: „Das fliegende Königliche Staatsministerium."
wird unS berichtet: Die kaltblütige Ruhe, die Präsident Faure bei dem
jüngsten Attentate bewiesen, hat ihm die Herzen aller Franzosen gewonnen.
Sein Benehmen war aber auch wirklich bewundernswerth und zeigte einige
charakteristische Züge, die man bisher bei keinem angestammten Monarchen,
der in ähnlicher Lage war, gesunden hat. Als ihm während des Rennens
von einem Minister, der seine Gesühle nicht mehr zurückhalten konnte,
mitgetheilt wurde, daß vor einer halben Stunde ein Attentat auf ihn
verübt worden, sühlte er nicht einmal nach, ob er an irgend einem edlen
Theile verwundet sei, sonder» fragte einfach: „Bombe, Revolver oder
Dolch?" Auf die Antwort des Ministers: „Schlüsselbüchse", meinte er
mit kühlem Lächeln: „Kenne ich nicht, ist wohl etwas Ausländisches?"
Er nahm einen Schluck Limonade — der Tag war sehr heiß — und
wandte, als ob nichts vorgcsallen wäre, seine Aufmerksanikeit wieder dem
Rennen zu, das unterdessen leider beendet war. Die Pserdc und die
Ereignisse liefen an diesem denkwürdigen Tage in Frankreich ungewöhn-
lich schnell.
Die Simon Blad'sche Erbschasissache kann nicht zur Ruhe kommen.
Für den Berliner Magistrat ist und bleibt cS eine peinliche Sache, daß
er im Fall der Annahme der Erbjchast verpflichtet ist, dem Erblasser, der
keinen seine» Ruf hinterlassen hat, ein Denkmal in ganzer Figur zu er-
Es gibt, meinen wir, einen guten Ausweg aus dieser Verlegenheit,
lim das Denkmal in ganzer.FIgur kommt der Magistrat der Stadt Berlin
nicht herum, das muß er dem Simon Blad setze», wenn er sein Geld
haben will. Er ist aber nicht gezwungen, den Erblaffer allein abbilde»
zu lassen. Nun denn, so möge er ihm eine allegorische Figur zugesellen,
welche die Wollust darstellt. Dadurch wird ausgeschlossen, daß das Denk-
mal lediglich als eine Ehrung des Verewigten erscheint; dem Künstler aber,
dem das Aushancn des Blad vielleicht kein besonderes Vergnügen macht,
wird dadurch Gelegenheit gegeben, zugleich eine weibliche Jdealgestalt zu
sonnen, die er mit den sinnbcrückendsten Reizen ausstattcn kann.
Viele Leute wünschen den Grunewald »mzutause» und wollen ihn
zum Andenken- an jene Sitzung des preußischen Herrenhauses, die ihn
zum Urwald hat stempeln wollen, Herrenbusch oder Herrenhaus-
heid e'oder sonstwie nennen. Di« vorgeschlagenen Namen finden aber
bisher in weiteren Volkskreisen keinen Anklang. Wir schlagen vor, den
Grunewald in Zukunst kurz, und gut »Urwald" zu heißen, den Mitgliedern
deS Herrenhauses aber in Anerkennung ihrer Verdienste um die Er-
haltung dieses „Urwaldes" den Namen „Urwäldler" bcizulegcn.
Wie wir hören, ist Herr v. Miguel telegraphisch aus seiner Svmmcr-
srische nach Berlin berusen worden. Das Telegramm oder die „Drahtung",
wie Stephany sagt, soll einfach gelautet haben:
„Lamiel, hilf!"
Das neue Staatswappen.
Bei den Berathungcn, die in den letzten Tagen zwischen dem Reichs-
kanzler und einzelnen Ministern stattgesunden haben, hat es sich, wie wir
aus bester Quelle erfahren, vor allem um eine Aenderung des preußischen
Staatswappens gehandelt.
-Die beiden wilden Männer, die bisher als Wappenhaltcr sigiirirt
haben, sind längst veraltet. Ihre rohe und wüste Erscheinung beleidigt
unser Auge, und der fast vollständige Mangel an Bekleidung verletzt das
empsindliche Schamgesühl unserer Zeit. Die Regierung hat daher be-
schlossen, die widerwärtigen Gestalten, die besser als Symbole des Um-
sturzes zu verwenden wären, durch zwei ebenso anständige wie sympathische
Figuren zu ersetzen, in denen sich die stärkste Stütze der Staats-
DaS ist die richtige Antwort ans die frivole Behandlung, die die
Novelle zum Vercinsgesetz im Hause der Abgeordneten ersahren hat! Zum
Glück braucht zu dieser Aenderung nicht die Genehmigung der Herren
Volksvertreter nachgesucht zu werden, die Staatsregierung ordnet sie aus
unbestrittener eigener Machtvollkommenheit an.
In Forst hat, wie die Blätter berichten, die Stadtpolizei einer Schul-
klasse die Erlaubniß, anläßlich eines Ausfluges unter Trommelklang durch
die Straßen zu marschire», nur unter der Bedingung gewährt, daß 1,50 M.
Lustbarkcitssteucr von dem Klassenlehrer gezahlt würde. Wie verlautet,
hat 'eine Versammlung von Förster Bürgern eine. Eingabe an den
Magistrat gerichtet, dahin lautend, daß auch die heileren Einsälle der
Polizei einer entsprechenden Lustbarkeitsstcuer unterlicgen sollen; denn —
heißt es in dem Schriststückc — wenn die Polizei sich einen Extraspaß
machen will, soll sie auch im Interesse der öffentlichen Wohlfahrt so gut
wie die Schulknaben dasür zahlen. Der Magistrat wird sich diesem
gerechten Wunsche der Bürger kaum entziehen können.