Zur Pseliumene des Praxiteles.
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Statuette, deren Schönheit er einem außerhalb des Bildes
stehend Gedachten — zunächst ist damit wohl sein Freund Ti-
tian gemeint — in begeisterten Worten erklärt: wir dürfen wohl
die Vermutung wagen, auf seinen Lippen schwebe der Name
Praxiteles, denn für ein Aphroditebild, das so feine Kenner-
und Künstleraugen so mächtig anzog, kann es damals kaum eine
andere Formel des Lobes gegeben haben. Die Statue ist ge-
wiß mit dem Bilde nach Prag gewandert und dann in dem
Zusammenbruche der Rudolfinischen Kunstsammlung später
verschwunden, doch Titians Reproduktion bietet immerhin
einigen Ersatz. Wir erkennen in ihr sofort eine Replik der
Pseliumene, der Maler hat sich nur die Freiheit genommen,
das linke Bein zum Spielbein zu machen und die Kopfwendung
ebenfalls dahin zu dirigieren, wo der Beschauer Stellung nimmt,
während der Antiquar den abgebrochenen rechten Arm, dessen
Verlust in der Marmorreplik fast vorauszusetzen ist, durch ge-
schicktes Anfassen verdeckt.
Der Mangel des Diadems weist das Exemplar der von
der Londoner Bronze geführten Reihe zu. Diese kleinere,
aber sicher der ursprünglichen Fassung folgende Gruppe wird
jetzt noch durch eine sämtliche acht bisher bekannten Bronze-
exemplare an Größe (0.37) übertreffende, aus Tortosa in Syrien
stammende Bronze verstärkt, die 1896 gefunden und von La-
faye bekannt gemacht wurde. Ein derselben hinzugefügter, zu
ihr aufblickender kleiner Eros erläutert die Bedeutung der
Aktion der Göttin im rechten Sinne, ist jedoch selbstverständ-
lich Zuthat des Kopisten.1 Der größeren Gruppe schließt sich
noch eine arg zugerichtete und geringe Terracotte aus Kertsch
im Museum von Odessa an.2 Seit den wenigen Jahren, die
uns von der monumentalen Wiederentdeckung der ehernen
Aphrodite-Pseliumene des Praxiteles trennen, hat sich die Zahl
der Repliken auf vierzehn erhöht, und wir haben aller Wahr-
scheinlichkeit nach noch eine stattliche Mehrung des Materials
1 Bull. d. L soc. d. Antiquaires 1897, S. 265 f.; darnach Reinacb, Rep. 805,7.
2 Derewitzky-Pavlowsky-Stern, Das Museum d. K. Odess. Ges. f. Gesch. u,
Altertumskunde I, Terracotten, Taf. IV, S. 19.
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Statuette, deren Schönheit er einem außerhalb des Bildes
stehend Gedachten — zunächst ist damit wohl sein Freund Ti-
tian gemeint — in begeisterten Worten erklärt: wir dürfen wohl
die Vermutung wagen, auf seinen Lippen schwebe der Name
Praxiteles, denn für ein Aphroditebild, das so feine Kenner-
und Künstleraugen so mächtig anzog, kann es damals kaum eine
andere Formel des Lobes gegeben haben. Die Statue ist ge-
wiß mit dem Bilde nach Prag gewandert und dann in dem
Zusammenbruche der Rudolfinischen Kunstsammlung später
verschwunden, doch Titians Reproduktion bietet immerhin
einigen Ersatz. Wir erkennen in ihr sofort eine Replik der
Pseliumene, der Maler hat sich nur die Freiheit genommen,
das linke Bein zum Spielbein zu machen und die Kopfwendung
ebenfalls dahin zu dirigieren, wo der Beschauer Stellung nimmt,
während der Antiquar den abgebrochenen rechten Arm, dessen
Verlust in der Marmorreplik fast vorauszusetzen ist, durch ge-
schicktes Anfassen verdeckt.
Der Mangel des Diadems weist das Exemplar der von
der Londoner Bronze geführten Reihe zu. Diese kleinere,
aber sicher der ursprünglichen Fassung folgende Gruppe wird
jetzt noch durch eine sämtliche acht bisher bekannten Bronze-
exemplare an Größe (0.37) übertreffende, aus Tortosa in Syrien
stammende Bronze verstärkt, die 1896 gefunden und von La-
faye bekannt gemacht wurde. Ein derselben hinzugefügter, zu
ihr aufblickender kleiner Eros erläutert die Bedeutung der
Aktion der Göttin im rechten Sinne, ist jedoch selbstverständ-
lich Zuthat des Kopisten.1 Der größeren Gruppe schließt sich
noch eine arg zugerichtete und geringe Terracotte aus Kertsch
im Museum von Odessa an.2 Seit den wenigen Jahren, die
uns von der monumentalen Wiederentdeckung der ehernen
Aphrodite-Pseliumene des Praxiteles trennen, hat sich die Zahl
der Repliken auf vierzehn erhöht, und wir haben aller Wahr-
scheinlichkeit nach noch eine stattliche Mehrung des Materials
1 Bull. d. L soc. d. Antiquaires 1897, S. 265 f.; darnach Reinacb, Rep. 805,7.
2 Derewitzky-Pavlowsky-Stern, Das Museum d. K. Odess. Ges. f. Gesch. u,
Altertumskunde I, Terracotten, Taf. IV, S. 19.