Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
werden variabel kombiniert, so daß das Individuum
zum Typus mutiert.

Mehrfach spiegeln sich auch in den Gesichtern der
liberti die vorbildlichen Züge eines der Großen der
Republik, wie z. B. Caesars oder später des Agrippa.
Der Einzelne wird nicht abgebildet oder nachgeahmt,
sondern in seinem gesellschaftlichen und familiären
Koordinatensystem dargestellt. Das zeigt sich zum
einen in der stets klar herausgearbeiteten Generatio-
nenfolge, die gleichzeitig als Nachweis der Herkunft
und als Hinweis auf die Zukunft einer Familie verstan-
den werden muß. Das erweist sich gleichermaßen in
der Andeutung von Familienähnlichkeit oder - umge-
kehrt - in der Absetzung unterschiedlicher Familien
voneinander auf einem Relief, die nur durch ihre ge-
meinsame Freilassung miteinander verbunden sind.
Die größeren und etwas qualitätvolleren Stücke mit
ihrer Vielzahl nebeneinander angeordneter Bildnisse
machen deutlich, daß auch mittelmäßige Bildhauer
mit recht einfachen Mitteln ein differenziertes Bezugs-
system hersteilen konnten, in der die Rolle des Einzel-
nen innerhalb der Familie Vorrang vor seiner Indivi-
dualität hatte.

Diese Annäherungen und Unterscheidungen lassen
sich bis in die Details verfolgen. Aus ihrer Beobach-
tung ergibt sich, daß die meisten ikonographischen
und auch manche »stilistischem Merkmale das einzelne
Porträt in zwei verschiedene Bezugssysteme einbin-
den, von denen das eine über das Relief hinausgreift,
das andere dagegen immanent bleibt. So ist das ange-
spannt ernste Gesicht eines Alten einerseits im Werte-
system der römischen Gesellschaft nach dem Vorbild
der Nobilität als firmitas oder auctoritas zu lesen;
innerhalb des Reliefs bedeutet es aber auch einen Hin-
weis auf den Beginn von zwei oder drei aufeinander
folgenden Generationen. Desgleichen dient die Toga
einerseits zur Kennzeichnung des sozialen Status; wird
sie aber im Verhältnis zur aktuellen Mode >zu eng<
getragen, so macht sie darüber hinaus auch den Alters-
unterschied zwischen zwei Generationen augenfällig.
Jedes einzelne Porträt gewinnt also durch seine »Ver-
netzung< innerhalb dieser Bezugssysteme eine Fülle
zusätzlicher Aussagen, die ohne den bei unserem
Material vorliegenden Kontext nicht verständlich
wären.

Diese Arbeitsweise der Steinmetzen, mit Nuancen zu
differenzieren und eine Vielfalt von Bedeutungen
anzusprechen und, demgegenüber, die Fähigkeit der
Rezipienten, solche Unterschiede auch zu >lesen<, setzt
ein entwickeltes Bewußtsein für den Wandel von
Mode oder - allgemeiner - von Form voraus. Daß die-
ses Bewußtsein tatsächlich bestand, kann vielleicht am
deutlichsten an den Togen nachgewiesen werden.
Sowohl die Schriftquellen wie die Denkmäler belegen,
daß die Zunahme der Stoffülle und Veränderungen

in der Drapierung immer wahrgenommen wurden.
Besonders scheint sich das Interesse am »Altern als
Gegensatz zum »Neuem in augusteischer Zeit ausge-
prägt zu haben. Damals muß der Bruch mit der Ver-
gangenheit verstärkt spürbar geworden sein. Das zeigt
sich in dem hier behandelten Bereich nicht nur
kostümgeschichtlich in einem einschneidenden Wan-
del der Togaform, sondern auch in der neuen Konzep-
tion, die zu diesem Zeitpunkt das Augustusbildnis
prägte. Sein durch klassizistische Formen verklärtes
und niemals alterndes Gesicht wird einerseits vorbild-
lich, andererseits scheint es geradezu eine Renaissance
des extrem formulierten Altersporträts zur Generatio-
nendifferenzierung provoziert zu haben. Man muß
sich fragen, ob auch die Entdeckung des realistischen
Altersgesichts der Frau, das erst zu diesem Zeitpunkt
entsteht, in den gleichen Zusammenhang gehört.

Auf den Reliefs können >republikanische< und »augu-
steisch-klassizistische< Bildformen in einigen Fällen
direkt einander gegenübergestellt werden. Dabei
nimmt natürlich der neue Stil des Augustusbildnisses
auf die alte Formel des >Greisenbildnisses< Einfluß
und macht sie erkenn- und datierbar. Diese Porträts
der Alten verdeutlichen die Radikalität des Wandels
besonders und erklären die >Rückständigkeit< des
privaten gegenüber dem offiziellen Bildnis, die einmal
als Inkubationszeit bezeichnet wurde. Die neue Form
war eben, um im Bild zu bleiben, keineswegs viru-
lent.

Im Text wurden solche Phänomene als >Rückgriffe<
bezeichnet. Methodisch ist das nur unter der Prämisse
einer stets fortschreitenden Kunstentwicklung richtig.
Die oben erwähnten stilistischen >Rückgriffe< sind
aber auch ein Zeichen für das Nebeneinander von For-
men, das nicht nur durch >konservative< und »fort-
schrittliche« Ateliers bedingt war, sondern ganz be-
wußt erlebt und als Reflex der sich wandelnden Werte-
welt auch in Skulptur umgesetzt wurde. Daraus ergibt
sich, daß eine Datierung der Reliefs anhand von stili-
stischen Überlegungen nicht zu kleinteilig vorgenom-
men werden darf.

Auch unter ikonographischen Gesichtspunkten ver-
ändern sich die Grabdenkmäler nur geringfügig. Die
steife, statuarische Repräsentation beherrscht die
Reliefs bis in spätaugusteische Zeit. Zunächst ver-
knüpfte man nur mit bescheidenen Mitteln die Figu-
ren eines Reliefs miteinander: Paare deuteten eine
Kopfwendung an oder reichten sich die Hand. Doch
schon diese Geste, deren Sinnfälligkeit als Zeichen der
Vertrautheit selbstverständlich erscheint, muß wieder
als ein Hinweis auf den legitimen Charakter der Ver-
bindung verstanden werden, die durch ein wirkliches,
den Sklaven nicht mögliches matrimonium besiegelt
wird. In spätaugusteischer Zeit setzt sich dann in eini-
gen Fällen das zweite Thema durch, das die Reliefs

78
 
Annotationen