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Zentral-Dombauverein <Köln> [Hrsg.]
Kölner Domblatt: amtliche Mittheilungen des Central-Dombau-Vereins — 1860 (Nr. 179-190)

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https://doi.org/10.11588/diglit.1806#0052
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Kunstschätze deS Mittelatters in der Schloßkirche
zu Quedlinburg.

Wss in jenen Ländern, in denen politische Störins gegen Schluß des
vorigen Jadrhunderts unersetzliche Kirchenschätze spurlos verschlungen baben,
eine große Seltenheit ist, das trifft der Forscher heute n»ch vereinzelt in
jenen Städten DeutschlandS, die den verheersnden StrömunKen deS vorigen
Jahrhunderts durch die Gunst ihrer Lage stch zu entzreben gewuHt häben.
Besonders das mittlere und thetlweife auch das nördliche Deutschland hat rn
jenen Städtrn, die vor der Einführung des ProkestantiSmus Episcopal-,
Stifts- oder Abteikirchen umschlossen, noch eine große Menge von seltenen
lirchlichen Kunstobjecten fich zu bewahren geNPßt, an denen aus Eisenbahnen
in Windesschnelle der gewshnkiche Tonrist, meistens aus Unkenntniß, vor-
übereilt. Welche ungeahnte Schätze an mittelalterlrchen kirchliche» Ornaten
und Stickereien in ausgezeichneter Erhalturrg befitzt heute nsch die Liebfrauen-
^ Kirche zu Danztg! Wie viele Seltenheiten anmittekalterlichen Gewandungen
trifft der erstaunt« Besucher nicht in der Kirche der Kalands'Bräder in dem
ferngelegenen Stralsund! Haben nicht Hslberstadt «nd Braunschweig allein
mehr Prachtornate vom 10. bis 15. Jahrhundert in bewunderungswerther
AuSstattung und Erhaltung aufzuweisen, als man heute noch, aus der Blüthe-
zeit der Weberei und Stickerei des Mittelalters herrührend, in Frankreich
und Jtalien zusammengenommen antrifft? Ueberschaut man ferner noch die
Fundgruben kirchlicher Goldschmied- und älterer Nigello- und Email-Arbeiten
in Deutschland, wovon in Frankrxkch nur noch in alien Schatzverzeichnissen
verschiedener Kathedral-Kirche» zu lesen ist, so bergen wiederum einzelne
Städte DeutschlandS vielfach ungekannte Prachtgefäße in großer Zahl, dte
meistenS noch einer wiffenschaftlichen Beschreibung und Ahzeichnung bis
zur Stunde entdehren. Auch die Gebefreudigksit und Großmuth altdeutscher
Fürsten-Dpnastieen lsßt stch heute noch in den Schätzen verschiedener älterer
Kirchen, besonders was liturgische kostbare Gefäße betrifft, deutlich nach-
weisen. So befitzt, wie früher bereits ntitgetheilt, die Schatzkammer des
königlichen Schloffes zu Hannover in langer Reihe die werthvollsten Gesäße
und Kleinodien au« fernliegenden Kunst-Epochen als Zeugen der Frömmig-
keit und Ovferwilligkeit welfischer Fürsten seit den Tagen Heinrich's des Lswen
bis zum Schluffe des 15. Jahrhunderts.

Die gehobene Kunstliebe der Kaiser aus dem Stamme der Hohenstaufen
findet man noch im Schatze zu Aachen und anderswo in reichen Kleinodien
hinlänglich vertreten. Zwei ehemalige rerchsfreiherrliche Stifter legen heute
noch bcredtes Zeugniß ab von dem geläuterten Kunstfinne und der Freige-
bigkeit der Ottonen. Es find das die vielen stofflichen und metallischen Kunst-
schätze in der sogenannten Zitter zu Quedlinburg und im Schatzgewölbe der
ehemaligen Stiftskirche zu Effen. Gleichwie im Schatze zu Effen am Nieder-
rhein die kirchlichen Kleinodien aus den Tagen des dritten Otto und seiner
Mutter Theophania noch in großer Anzahl vollständkg vertreten find und
durch arrthentische Jnschriften als solche deglaubigt werden, so rühmt fich die
Schatzkammer des altberühmten Stiftes Quedlinbnrg, einer Gründung Kaiser
Heinrich's I., noch des Befitzes von werthvsllen und seltenen Amrstwerken
«us den Tagen seines ebengenannten kaiserkichen Gründers und der nach-
folgenden Ottonen. Schon bri der ersten flüchtigen Befichtigung der noch
restirenden Kunstwerke zu Quedlinburg überzeugt man fich sofort durch die
merkwürdige äußere Form, die Pracht uud den Reichthum des Materials,
daß dieses Werthstückevon hohem Alter find und vonkaiserlichen Geschenkgebern
herrühren müssen- Sollten wtr, auf der Durchreise von Quedlinburg begrif-
fen, es versuchen, die »ielen Prschtwerke der srühmittelalterlichen Gold-
schmiedekunst eingehend zu beschreiben? Dazu fehlt uns jetzt Zeit un's Ge-
legenheit.

Borliegende Zeilen haben bloß den Zweck, Leute vom Fach auf diese
heute noch wenig beachteten Schätze in einem von dem Schierrenwege noch
nicht direct berührten Winkel Deutschlands aufmerksam zu machen. Zu den
intereffanten Gegenständen der quedlrnburger Zitter gehören unstreittg drei
verschieden gestaltete Krystallgefäße, die offenbar, wie das dieim harten Berg-
krpstall en 18118? geschnittenen Pflanzen- und grotesken Thiergebilde deutlich
bessgen, spätestenS dem 10. Jahrhundert zuzuschreiben sein dürften. VssoulL
erMallliiL, dte in dieser Art heute zur großen Seltenheit geworden find,
scheiuen, der Form der eingeschnittenen Thierbilder nach zu urtheilen, größten-
theils dem Orient anzugehoren und früher dnrch Handelsverbindungen, später
jedoch in Folge der Kreuzzüge häufiger den Weg in den Occident gesunden
zu haben.

Noch auf eine zweite Seltenheit machen wir sufmerksam, die der Schatz
zu Quedlinburg befitzt und welche ihreS Gleichen in den Kunstkammern des
OccidentS heute kaum noch finden dürfte; es ist das ein prachtvoller, reich
mit Pflanzen-Ornamenten sculptirter Kamm in Elfenbein, deffe» äußerer
Rand in Goldfiligran und mit gefaßten Edelsteinen verziert und abgeschloffen
ist. Dieser merkwürdig geschnitzte Elfenbeinkamm mitseinen reichen goldenen
Fassungen hat nach oben hin fast die Gestalt einer Lpra. Eine unverbürgte
Tradition, wie das auch anderswo häufig der Fall ist, nimmt keinen Nnstand,
dieses intereffante Stück mit der Person des Gründers des guedlrnburger
Stiftes, Kaiser Heinrich I., dem Bogler, in Berbindung zu bringen, und
nennt ihn deßwegen kurzweg den Bartkarnm Heinrich's 1-, obgleich geschicht-
lich feststeht und auch durch Münzen erhärtet werden kann, daß Heiurich der
Bogler keinen Bart getragen hat. War der in Rede stehende „xeotsn sbur-
rrsum^, dessen sculptirte Pflanzen-Ornamente und Fassungen der Edelsteine
dem Schluffe des II. Jahrhunderts angehören, ursprünglich ein kirchliches
oder prosanes GebrauchsgerLth? Jn Hinblick auf mehrere heute noch vor-
findliche bischöfliche Elfenbeinkämme des II. und 12. Jahrhunderts, unter
welchen besonderS der Kamm des heiligen Heribert im Museum zu Köln,der
Elfenbeinkamm des Erzbtschoss Anno zu Siegburg und der des Bischofs
Benno zu Jburg (bei Osnabröck) fich auszeichnen, glauben wir mit erniger
Wahrscheinlichkeit behaupten zu könnsn, daß der i» Rede stehende kunstreich
gearbettete ^xsstsn^ ehemals ein btschöflicher Lonsecrationskamm gewesen
ist, mit welchem nach der Salbung das Haupthaar des neugeweihten BkschofS
wieder geordnet «nd gekämmt wurde, und der alS Erinnerung an diese feier-
liche Consecration von den Bischöfen des frühen MttelalterS ehrfurchtSvoll
aufbewahrt und in der Regel nach dem Ahsterben als integrirendes Pontifical-
Ornament dem verstorbenen Kirchenfürsten mit ins Grab gegeben wurde.
Mit diesem bischöflichen Kamme zu Quedlinburg dürfte auch in Verbindung

Ltz Z T I PW

zu setzen sein ein sehr interessanter Krummstab, der als Pedum nsch die ein-
fache Form der bischöfliche» Hirtenstäbe des frühen Mittelalters zeigt, ähn«
lich jenen profanen Hirtenstäben, die oben bloß eine einfache Krümmung fast
im Halbkreis haben, eine Forur dcr survaturn, wie man fie an älteren Bi-
schofsstäben noch im 10. und II. Jahrhundert häufiger antrifft.

Die obere Krümmung, so wie auch der mittlere Langstab ist mit Gold-
blechen reich überzsgen, die mit zierlichen Filigran-Arbeiten ornamentirt find.
Die Goldbleche in der gsnzen Länge des Stabes zeigen regelmäßigeDurch-
brechungen im Rundbogen, und läßt fich hinter diesen Dorchbrechungen ein
schwerer Seidencendel als seltenes bpzantinisches Purpurgewebe erkennen.
Die^untere Sprtze drefts merkwürdigen bischöflrchen Stabes zeigt eine Sprtze
von Erft». Auf diese drei ebengenannten Theile dieser „-stiA-r", die anSdem
Schlusse des 10. JshrhundertS herrühren dürfte, läßt fich jener Spruch an-
wenden, worrn dte spmbolische und mpstische Bsdeutrmg dreses krrchlichen
Geräthes niedergelegt rst, nämlich: ^Xtrsds xsr xrimum, xsr rusälwm rsxs,
xsrs ultimn xuvFlt.-

Nnter anderen hervorragenden Kunstschätzen befißt das noch wenig be-
kannte Schatzgewölbe zu Quedlinburg vier prachtvolle Evangelistarien in
Pergament, wovsn zwer zu jeue» seltenen Ooäios, zu rechnejr find, die, au«
dem 10. und 11. Jahrhundert hcrrührend, erne goldene Buchstabenschrift auf
Purpurgeröthetem Pergamente »ufzuwetsen haben, und überdieS mtt großen
'vtelfarbigen Jnttralen und Miniatur-Bildern geschmückt find. Das größte
und merkwürdigste di ftr Evangelistarien tn eincr HZHe von 1 Fuß 2j Zoll
ist auf seinem vorderen Frontaldeckel mrt schweren Goldblechen bekleidet, die
mit Filigran-Arberten und gefaßten «ngeschliffenen Edelstetnen, quadratrsch
geordnet, rn acht größere und kleinere Flächen abgetheilt werden. Abgefthen
von der interessanten Sculptur in Elfenbein, womit als Basrelref die mitt-
lere Fläche deS Einbandes arrsgefüllt ist, wird der Werth dteftr Hülle auch
nsch dadurch bedeutend erhoht, daß an den vier Ecken des tn Rede stehende»
EinbandeS die Spmbole der vrer Evangelisten in dem heute seltener vor-
findlrchen Zellen-Email dargestellt find. Ueberdies find auf demselben Pracht-
Deckel in klerneren Medaillon« noch in derselben Techuik dic Brußbilder des
Salvators «Nd der Madonna mrt daber befindlichen griechischen Jnschriften
tn Gold angebracht, wodurch das Herkommen dieser Kunfiwerke, die wir
nndedingt dsn Tagen der Ottonen zuschreiben, hrnlängltch gekennzeichnet ist.

Auch noch ernen zweiten Evangetien-Coder rn der Höhe vsn 10z Zsll
bewundert der überraschte Besucher des SchatzgewölbeS zu Quedlrnburg, -
dessen vorderer Deckel ebensalls mit Goldblechen überzogen und mit dem
Schmucke des FrligranS und der gefaßten Edelsterne rn seincn Etnfaffungs-
rändern belegt ist. Dre mittlere Füllung dtefts goldenen Deckels zeigt vrer
äußerst fein in Elfenbein geschnttzte Darstellungen als Basrelief, die dem
Leben des Herlandes entlehnt find und rn erner vortrefflichen technischen
Ausführung dis Teburt, die Taufe, die Kreuzigung uud die Kreuzabnahme
desselben »eranfchanlichen. Ntcht nur die suffallend charakteristische Duich-
führung der srelen kunstreichen Figuren, sondern auch die dabei befindlichen
griechischen Jnschristeu fttzen es außer Zweifel, daß diese seltenen Sculp-
turen, die heute noch Spuren ehcmaliger Vergoldnng und Bemalung zeigen,
der Blüthezeit der griechischen Elfenbeinschneider angehören.

Die heute Bielen geläufige Annahme, daß die hierarische, nach strengen
Gesttzen geregelte Kunst der Byzantiner schon stühzeitig einern einseitige»
Stcrestpptsmus verfallen und in monotonen Formendienst ausgeartet sei,
dsrfte am besten durch die ebengedachten Relrefs und durch andere griechrsche
Sculpturen in Elfenbein im Schatzgewölbe zu Quedlinburg entkräftet werden.
Als von hohem Jntereffe för archäologische Kunstforschungen aus der fcrnlie-
genden Pertode deS 10. und II. Jahrhmrderts dürfte» femer drei kostbare,
meistens in gediegenem Goldbleche ornamentirte Reliquien-Kästchen betrachtet
werden, did uns dre Kunstfertigkert der Goldschmiede und Elftnbeinschneider
in den Tagen der Kaiserin Theophania und ihres SohneS Otto III. auf der
Höhe ihrer Eniwrcklung zeigen.

Die erste »reuln in einer Länge von II Zoll, einer Breite von 6 Zsll
mrd einer Höhe von 6^ Zoll soll, der Tradition nach, arrs dcr Zeit Kaiser
Heinrich's I. herrühren, und stehen wirklich die auS Silberblech getriebenen
und vergsldeten Pflanzen-Ornamente, so wie auch die Darstellungen der
vielen Halbfiguren in derselben Technik hinfichtlich ihrer stplistischen Aus»
prägung durchaus mit der ebengedachten Ueberlieferung im Einklang. Auch
die vielen Sculpturen in Elsenbein, welche die mittlere Füllung der Langseite,
so wie der Kopstheile und den oberen Deckel tn quadratisch-Isnglicher Ver-
tiefmig ausfüllen, reden ebenfalls der obigen Annahme das Wort. Dieselben
scheinen in Rückflcht auf rhre gedrungene, noch zremlich unbeholfene Com-
pofition und technrsche Ausführrmg von einem ahendländischen Elfenbein-
schneider, vielleicht in den ehemals Lpzantinischen Thematis Mr'ttel-Jtalrens
wohnend, angefertigt zu sein. Einen ungleich höherenKmrstwerth, deßgleichen
auch einen bedeutend größeren Fortschritt in der technischen Arrsführung be-
ansprucht die zweite ,,-rr«»!» oblvugn" tn dem -ftgedachten Schatzgewölbe.
Erne Menge intereffanter Details, die an diesem prachtvollen Lsllgulnrirrm
vorkommen, mrd ein Bergleich mit ähnlichen documenttrten Kunfiwerke» der-
selben Epoche nöthigt zur Aonahme, daß dreses ftltene Meisterstück der Gold-
schmtede- und Emailkmrst, deßgleichen der Bildnerei in Elfenbein, den glanz-
vollen Tagen Otto's.IH. angehört, der deu Srnn und die Liebe für Kmrst
von seinem Bater, mehr aber noch von setner Mutter, der griechischen
Theophania, geerbr zu yaben scheiut.

(Schluß folgt.)

Ertra-Abonnement anf das Kölner Domblatt.

Die Besiellungen auf das Extra-Abonnement für den
Jahrgang 1861, welche auswärts bei allen Königl. Preuß.
Post-Anstalten entgegengenonnnen werden, wolle man baldigst
machen. — Der Pränumerationspreis, desten Brutto-
Ertrag in die Dombau-Bereins-Caffe fließt, beträgt hier
wie auswärts IO Sgr. für den Jahrgang.
 
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