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Zentral-Dombauverein <Köln> [Hrsg.]
Kölner Domblatt: amtliche Mittheilungen des Central-Dombau-Vereins — 1863 (Nr. 215-226)

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https://doi.org/10.11588/diglit.1813#0039
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Es gibt Wahrheiten, die unauSgesetzt wiederholt werden müffen, damit
fie Körper annehmen, fich so zu sagen krhstallifiren. Ganz inSbesonders
ailt dieS von den Grundwahrheiten, auf welchen ein geistiger Gesammt-
OrganiSmuS ruht. ES ist von tiefer Bedeutunq, daß die katholische Kirche
über daS ganze Erdenrund tagtäglich in jeder Meffe daS OrsLo in unum
vsum proclamiren läßt. Jn dec Religion wie in dec Kunst zählen schließ-
lich nur die Thaten, nicht die Reden.

Die Consequenzen sind die Prüfsteine der Principien. Man sehe, wie
eine Zeit baut, meißelt, malt, und man wird am besten ermeffen, welchen
Werth die herrschenden ästhetischen Doctrinen haben. Auch hier gilt daS
Wort: An ihren Früchten sollet ihr ste erkennen.

Man fleht ost Zopf-Architekturen von überraschend schönen Verhältnissen
und bewundernSwerther Technik. ES ifk daS noch ein Nachklang der mittel-
alterlichen Kunstharmonie, welche vormals alle Lebens-Elemente durchdrang,
wie solcheS in jeder wahrhaft schöpferischen Periode dec Fall war und sein
wird. Der unbedingte Bruch mit dem Mittelalter zum Zwccke der Wiederbe-
lebung der Antike — ohne deren Seele, die Religion und ohne deren Mark,
daS Nationalgefühl der Alten — hat endlich AlleS auS einander geworfen
und nur Scheingebilde inS Dasein gerufen, die weder hellenisch oder altrö-
misch, noch auch deutsch oder christlich sind, sondern eben weiter nichtS, alS
modern-akademisch.

Die beste Restauration eineS alten BaudenkmaleS ist diejenige, die äußer-
lich am rvenigsten alS solche hervortritt. Damit ist aber unseren Architekten
in der Regel nicht sonderlich gedient. Sie wollen, daß von ihrer Persönlich-
keit und deren Wirken möglichst viel sich bemerklich macht, mitunter suchen
fie wohl sogar fich und Anderen die Jllufion zu bereiten, daß das alte Werk
ihre eigene Schöpfung sei.

Die Höhe ist dem Jnstincte der kleinen, matten Geister antipatisch; da-
her bestand lange Zeit hindurch eine förmltche Verschwörung gegen die hohen
Giebel, die steilen Dächer und namentlich gegen die Thürme, welche unserer
Vorzeit alS Symbole der Macht und deS AnsehenS galten, so daß zwischen
den Städten ein sörmlicher Wettstreit hinfichtlich der Zahl und der HLHe
ihrer Thürme Etatt fand und ihre Thurmkronen ihr.höchster Stolz tvaren. So-
bald der fteie Bürger in den Philister aufging, hatte es damit ein Ende, und
dje Thürme standen den Leuten allerwärtS im Wege.

Zufolge der bureaukratischen Kunstpflege spiegelt stch in den Architekturen
der Charakter der verschiedenen Landes-Regierungen (nicht der VolkSstämme,
mit deren Eigenthümlichkeiten bekanntlich' die Bureaukratie fich wenig zu
schaffen macht, da sie für AlleS eine fertige Schablone besitzt) so ziemlich getreu
ab. Es gibt einen königlich preußischen, baierischen, hannoverischen, einen
großherzoglich hesfischen, einen herzoglich nassauischen u. s. w. u. s. w. Bau-
styl, auf welchen die Bau-EIeven sich einexerciren lassen müffen, falls fie in
ihren respectiven Staaten „EtwaS werden" wollen. Diese Cvmmiß-Style
schlagen auch wohl einmal mit den Ministerien, jedenfallS immer dann um,
wenn auS irgend einem deutschen Auslande eine Capacität alg Ober-Bau-
Dicector berüfen wird, da derselbe natürlich den Styl seineS MutterlandeS
ganz fertig mitbringt.

Das Landvolk hat noch am meisten den guten Geschmack übec-
wintert, indem eS sich seine Lust an der Farbe, seinen Sinn füc daS
Malerische und Natürliche nicht nehmen ließ. AlS schon in allen Städten und
Palästen das Roeoco grassicte, fuhren die bäuerlichen Zimmermeister ruhig
sort, in althergebrachter Weise ihre Holzbauten abzuzirkeln und aufzuschlagen.
Eben so wenig wollten eS sich unsere Bauern einreden laffen, daß die
akademischen Modell-Kirchen, trotz der so vornehm und gelehrt klingenden
Bezeichnung „Bastlika", einen hohercn ästhetischen Rang einnähmen, alS die
Scheunen und die Spritzenhäuser, wie fie denn auch erfahrungSmäßig, zum
größten Leidwesen der Regierungs- und Communal-Baumeister, sofort wieder
nach der Gothik nebst allem Zubehör griffen, alS die ersten Lebensäußerungen
der wieder auflebenden christlichen Kunst tn ihren GesichtSkreiS kamen. Die
Leute sind eben gesund geblieben währenv der Periode der Zöpfe und
Tröpfe.

Dem Zerfahrenen und Prätentiösen unserer Zeit muß man mit auS-
dauerndster Zähigkeit daS Bleibende, Große und Schöne entgegensetzen.

Unsere Renaiffanciste'n und eklektischen Kunstverjünger wollen eS — ähn-
lich den StaatSverjüngern — anfangen wie die Medea mit den Töchtern
deS PeliaS, und ergibt fich denn auch durchweg daS gleiche Resultat.

DaS Ueberhandnehmen der Kunstschreiberei, und inSbesondere der ästhe-
tischen Speculation, ist ein KrankheitS-Symptom. DaS Aroma verfliegt von
der Kunst wie überhaupt von allem Höheren, sobald man es durch Destillir-
Kolben treiben und abgesondert darstellen will. Zum Glück werden die Maffen
unter der Luftpumpe der Philosophen bald von einem Lorror ^aoiu, der
Scheu vor dem Leeren, befallen und sehen sich nach Substantiellem um.
Die Kunstübung stand am höchsten, alS sehr wenig darüber geschrieben und
aar nichtS darüber gedruckt war; weder daS Hellenenthum, noch auch das
Mittelalter hat einen eigentlichen Kunstschriftsteller aufzuweisen. Nur als
Arzneimittel mag die Kunstschriststellerei hingehen, um nämlich dag bereitS
vorhandene Uebel durch ein ähnliches zu curiren, wie daS homöopatische
Axiom lautet.

Auch die Kreiheit muß ocganisirt werden, und zwar noch kräftiger
und zugleich feiner, alS der AbsolutiSmuS, wenn fie nicht alSbald in Willkür
auSarten soll. DaS haben sich auch die Künstler zu merken, welche so gern
auf die Freiheit der Kunst pochen. Vor Allem aber handelt eS fich darum, den
richtigen Begriff von Freiheit wieder einzubürgern in der Kunst, wie über-
haupt im Leben, und zu erkennen, daß derselbe untrennbar ist von der Ein-
heit. Die Einheit in der Verschiedenheit bildet eben daS Wesen aller Har«
monie, wie die Harmonie daS Wesen der Kunst bildet.

Die ethische Bedeutung der echten Kunst fällt nicht minder inS Gewicht,
als die ästhetische; ste ist nicht bloß ein VolkSbildungS-, sondern auch ein
VolkSecziehungS-Mittel.

DaS s. g. Reale ist der Urstoff, welchen der Künstler idealistisch zu ge-
stalten hat. DaS bloße Nachahrnen des in der Natur Gegebenen bleibt im
Vergleich zu letzterer immer Stümperei und hat mit der Kunst so wenig ge-
mein, wie der Schatten, den die Dinge werfen. An natürlichen Men-
sch en namentlich ist ohnedieS schon Ueberfluß, so daß die Künstler keinerlei
Veranlassung haben, noch gemalte in die Welt zu setzen. Hätten die Giotto
und Fra Angelico ihre Gestalten auf dem Marktplatze von Florenz gesucht, so
würde gewiß Niemand mehr ihre Namen kennen. Sie aber, und mit ihnen alle
die großen Meister, welche durch die Zahrhunderte leuchtsn, suchten die Wirk-
lichkeit nicht an den zufälligen Erscheinungen, sondecn fie schöpften fie aus
der ewig fließenden, göttlichen Quelle der Wahrheit, auS welcher alle diese
Erscheinungen Leben und Nahrung ziehen.

Der Künstler muß sich davor hüten, bei seinen Hervorbringungen bloß
das Publicum der Gegenwart oder gar die eben herrschende „öffentliche
Meinung" inS Auge zu faffen, überhaupl auf die Claque zu speculiren, fallS
ihm überhaupt seine Kunst etwaS mehr ist, als ein bloßes Ecwerbgeschäft.
Von allen Sorten der Tendenzmacherei ist die der Künstler eine der un-
würdigsten.

Die Kirchenmusik ist die Stimme der Kathedralen; deßhalb muß fle auch
dem OrganiSmus derselben entsprechen. Dermalen abec wünscht man vielfach
den Domchor lieber in den Concertsälen und dafür die Concertmusik in den
Chören der Kathedralen executict zu seheu, in welchem letzteren Falle dann
nalüclich der Musikdirector die Hauptrolle und der Priester am Altare den
Statisten zu spielen hat.

ES ist die Mission der Kirche, alle untec den Völkern vertheilte Wahr-
heit fick, anzueignen, so wie den Abglanz derselben, das Schöne, zu pflegen
und zu heiligen. Dcßhalb hat sie denn auch von Anbeginn an einen Bund
mit den Künsten gefchloffen, nicht um sie zu unterjochen, sondern um ihnen
alS Centrum zu dienen, nach welchem hin sie zu gravitiren haben, fallS sie
nicht bloß alS flüchtige Meteoce glänzen und verschwinden wollen.

Unsere Kunstliteraten machen sich durchweg «inen ganz falschen Begriff
von dem Wirken der großen Meister des MittelalterS, und zwar wohl haupt-
sächlich um dcßwillen, weil sie eS für unmöglich erachten, daß man zugleich
ein freier, fester, ktarer, mit Einem Wort, ein ganzer Mann und ein demü-
thig-gläubiger Christ sein kann, indem ste selbst durchschnittlich weder dag eine
noch dag andere zu sein pflegen. Jn jener Zeit hatte der Verstand noch nicht
von der Einbildungskrast sich getrennt und in der gegenwärtig so vulgären
Zweifelsucht seine Spannkraft eingebüßt; die verschieoenen Seelenkräfte un-
terstützten sich vielmehr wechselseitig und hielten sich unter einander in einem
gewiffen Gleichgewichte. Ein tüchtigeS, nach einem bestimmten Ziele gerich-
teteS, auf dem Boden der Tradition erwachseneS Wissen und Können, geho-
ben durch den sesten Glauben an Gott und seine Verheißungen, ermöglichte
eg auch dem Minderbegabten, Werke zu schaffen, welche die Probe der Zshr-
hunderte bestehen, und zwar in solcher Külle, daß der VanoaliSmuS vielsr
Generationen nicht damit aufzuräumen vermocht hat. — Man erachtet eS in
der Regel für unmöglich, auf den damaligen Standpunct wieder zurückm-
kommen; allein, warum sollten wir unS denn nicht den falschen Dünkel
eben so gut abgewöhnen können, wie jede andere Untugend? Und damiz
wäre schon gar VieleS gewonnen. Wenn aber nur ein Jeder in stch gehen,
einfach ftine Schuldigkeit thun will, so ist die Zukunft sogar völlig gesichert

Auch die Kunst sokl biS zu einem gewiffen Grade PatriotiSmuS hegen,
eine Cocarde tragen.

Die Rückkehr zur Wahrheit ist immer ein Fortschritt.

Auch in dem ästhetischen HauShaltgebieie gibt eS gar Viele, die Geist
der Kochkunst treiben, statt gul zu kochen.

NichtS ist bedenklicher füc die Kunstinteressen, alS die Wahrung dersel-
ben und die Leitung deS darauf Bezüglichen in die Hände der StaatS-
Regierungen, namentlich der stark centralifirenden, zu legen. Unter dem Suße-
ren Scheine der Ocdnung und Regelmäßigkeit tritt da nur all zu leicht unmo-
tivirte Bevorzugung, Willkür und Verwirrung ein. Die Begünstigung einer«
seits und das Almosen andererseitS werden allmählich die Nährmütter der
officiellen Kunst, die darum nie zur wahren Freiheit sich erheben kann. Und
wer ist es, dem alSbann in der Regel die .schwarzen und die heiteren Loose"
zu ziehen der Beruf obliegt? Man kann ein trefflicher Ministerialrath sein
und dennoch welleicht nicht einmal ein Oelbild von einem Farbendruck zu
unterscheiden wissen.

Dle meisten Kämpse in allen geistigen Sphären sind Gränzstreitig-
keiten. Nirgendwo anders find aber zur Zeit die Gränzen dermaßen m
Verwirrung gerathen, wie in der Kunstsphäre. AlleS fließt in einander über;
die GlaSmalerei in die Staffeleimalerei, der Holzschnitt in den Kupferstich,
die Photographie in die Zeichnung, die Architektur in die Maschinen-Lon-
 
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