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Zentral-Dombauverein <Köln> [Hrsg.]
Kölner Domblatt: amtliche Mittheilungen des Central-Dombau-Vereins — 1865 (Nr. 239-250)

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https://doi.org/10.11588/diglit.1815#0042
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Aphorismen über Kunst.

Ls, vr. S. Reiche,«perger.

Sob«ld die Llinstöbmig sich nicht mehr anf eine feste Tradition stützt,
gehen Theorie uad Prari« au« eioander und hat e< mit der gedeihlichen Lut-
«ickelung de« betreffenden «unstjweige« ein Lnde. Jnsbesondere läßt fich
die Technik usd die»enutniß deS NaterialS nicht auS Büchern oder Latheder.
Borträgeu erlernen, sonderu nur in den Werkstätten, auS welchen allein
denn auch die Wiedergeburt der echten Sunst wieder hervorgehen kanu.

Weun Jemand etwaS drucken läßt, so untersuchen die Sritiker vor Allem,
ob nicht derselbe oder ei« anderer Autor schon einmal etwa« AehnlicheS ge-
sagt hat, ob eS, mit Sinem Worte, nen ift. Glauben sie diese Frage ver-
neine» zu sollen, so wird kurzer Haud öber die betreffende Pnblication der
Stab gebrocheu E« mag da« angehen, wo eS fich um Mode-Lecture hau-
delt, da ha« einzigr Berdieost der Mode eben darin besteht, uen zu seia oder
doch pr scheineu. Ser datziugegen ein praktische« Resultat trzielen «ill, muß
so lange in der Begröndnng seineS StrebenS nicht ermöden, alS jene-
Skesultat uoch auf fich warten läßt. Richt um de« LampfeS, sondera u« deS
SiegeS willen soll «an kämpfen.

Währeud bei un- in Deutschlaud die »ationale Archltektur deS Mlitel»
alter- tn Betreff der eigeutlichen Coostructiou schou vielfach mit Geschick «nd
Erfolg geübt wird, stehen wtr hinfichtlich der Decoration hinter Fraukreich
uud namentlich hinter England noch weit zurück. Ganz besonderS gilt dieS
von der MaSmalerei, auf deren Eeblet mao fast immer noch höchk unficher
umhertappt, weil man «ber die Tcundprincipieo nicht im Reinen ist, welche
fich au« de« Zwecke der Farbenfenster uud der Ratur der verschiedeuen dazu
erforderlichen Materialien ergeben. Sogar da- falscheste Genre vo» alleu,
«elche denkbar find, die Uebertragung naturalistischer PortraitS im Staffelei»
Maler-Stpl aof GlaS wird prakticirt und — findet seine Bewunderer. Die
gewebten Lupferstiche fiud noch weit erträglicher uud stplgerechter.

Bei eioer tm Mai 186t zur Sntscheidung gekommenen Concurrenz für
die Errichtung eineS UniverfitätS-GebäudeS in Kiel haben, ZeitungSnachrichten
zufolge, die Berliner PreiSrichter (die Herreu Strack und Hitzig)grundsätzlich
aofgestellt, daß der deutsche Baustpl fich nicht für ein in Deutschland zu errich-
tende« UatverfitätS.Gebäude eigene und wurden demgemäß »ier im s. g.
gothischea Etple auSgeführte Entwürfe ohne WeitereS bei Sette geschoben.
Dieser Beschluß ist scharf getadelt worden, aber wohl mtt Uarecht. Der Stpl
soll den Zweck deS BauwerkeS reffectiren; demgemäß erscheint eS ganz in der
Ordnung, daß z. B. die englischen Univerfitäte», welche ihren nationalen
Ursprung und Charakter nicht verläugnen wolle», ia gothischeu Prachtgebäu-
den refidireu, in welchen deren Bewohner, nebenbei bemerkt, ganz behaglich
oder comfortable leben. Uasere Untverfitäten dahingegen befiaden fich zwar
geographisch in Deutschland, ihrem innersten Wesen aber und ihrem Wirken
nach find fie durchweg weniger deutsche, als koSmopolitisch-humauistische
Anstalten, Repräsentantinnen der „reinen Wiffenschaft", weß)alb denn auch
da« Briechen- und RLmerthum bei ihnen die Hauptrolle spielt und alle der
Philologie Befliffenen schlechthin .Philosophen", zu dentsch: Weltweise,
genannt werden. Bei solcher Sachlage ist eS durchaus angemeffen, wenn die
den Zweckeu unserer Univerfitäten dienenden Gebäude so auSsehen, daß fie
ebea so gut am Cap der guten Hoffaung Platz nehmen kLnnten, alS a» den
Ufern deS RheineS, der Clbe oder der Donau uud HLchstenS nur Borsorge
für einige ReminiScenzen an die Bauweise der gedachten vorchristlichen
Bölkerschafteu getroffen wird. Von diesem GefichtSpuncte aus die Sachs be-
trachtet, eigenen fich denn auch weiter zur kunstlerischen AuSstattung solcher
Bauwerke die srüher allsin üblich gewesenen naturwüchfigen, störrischen Ma-
terialien, wie z. B. Haustetn und Holz, nicht tn dem Maße, wie die mo-
dernen Surrogate, alS da fiad: GppS, Cement, Zink, Gußeise», Stein- und
SSphalt-Papp«, da fich aas denselbeu auf da« leichteste und mit den geringsten
Geldmitteln die Formen aller VLlker und Zeiten nachmacheu laffen.

AuS Borstehendem ergibt fich, daß die Gothiker mit ibrem unauSgesetzten
Drängen auf Wiederaufnahme unseres nationalen BaustpleS, auf Echtheit
und Solidität der Arbeit wie der Materialien, jedenfalls mitunter den
ihnen so oft gemachten Vorwurf »erdienen, daß fie fich nicht auf „die HLhe
deS ZeitbewußtsetnS" empor zu schwingen wiffen.

Da« Eiuzige, wa« man den TingangS gedachten PreiSrichtern, wohl
nicht ohne Grund, eutgegenhalten kann, find die Gabenverzeichniffe unsereS
Domblrttet, welche darthun, daß auch selbst auf unsere« Univerfitäten dieLiebe
zur Kunst unserer deutschen Borfahren fich vielsach zu regen begonnen hat,
daß die Zeit vtelleicht nicht mehr so gar fern ist, tn welcher die akademischen
Dürger der deutschen Hochschulcn fich nicht minder -eimisch in einem gothi-
sche« Bauwerke fühlen werden, wie es zur Zeit schon bei den engltschen
Profefforea und Studenten der Fall ist.

Der bpzanttnische Stpl wußte au« unschöne« Elementen ein schöue«
GanzeS zu bilden; der gothische Stpl ist vom kleinsten Keime auf schön und
gesetzmäßig; die moderuen Tklektiker oder Stplvermenger wiffen auS den
schönstea Elementen »ur UnschöneS zusammenzufügen, weil ihnen der Sinn
för Einheit, die bildende Kraft uud das Schmelzfeuer der Begeisterung fehlt.

Die Architektur tst ekn Aggregat von verschiedenen schönen Künsten, die
von der Coustruction da« Gesetz zu empfangen -aben. Ein jeder Baustpl
aber hat und gtbt scine eigenthümlichen Gesetze, die bis in alleS Einzelne
hinein ihre Herrschaft übeu müffen, in Bezug auf Proportion, Aaordaung
und Berzierung. Etu bestimmter Grundtoa muß überall durchklingen.

Die Wirkung der Größe wird durch den Maßstab bedtagt, welchen
daS Auge unwiükürlich anlegt und durch die Haltepuncte, welche demselben
g-boten werden. AuS ersterem Grunde haben denn auch die mittelalterlichen
«aumeister thre BerzierungS-Statuen durchweg »icht koloffal gebildet.

/ Di« meisten oruameatalen Slieder dürfen an einem Bauwerke sehlen,
ohae daß der Echöaheit deSselben dadurch wes»ntltch Eiatrag geschieht; nie
aber darf eia solcheS Glied au dte onrechte Stelle zu steheu kommen.

^tzc. 'w.ha tjM—W—RsstG'

T« ist schon seit Zahrhmcheiteu fast zonr Ariom geworbech daß die ita-
lientsche Malerkunst »es sechszehnten JahrhundertS den HLHepunct alleS Knnst-
schönen bezeicheae, so zu sagen, den Maßstab für die Beurtheilung eiue«
jeden KönstlerS darstelle. Ew eben so unrtchtiger, alS für dte Kunstübnug
verderblicher Satz! Zede Nation hat thren besouderen TppuS, desondere
Naturanlagea, welche zu entwickeln fie vor Sllem berufen tst. Hätte Rem-
brandt fich nach den Jtalienern, die er sehr wohl gekannt und fleißig studirt
hatte, i» seinen Arbeiten rtchten wollen, so wäre er, wie so mancher Maler
neben und nach ihm.zu Grunde gegangen, jedenfalls kein Stern erster Größe
gcwordea. Die germanische Künstlernatur muß die Natur anderS auffaffen
und fie iu anderer Weise darstellea, al« die romanische, wenn fie nicht von
fich selbst abfallen, ihre Jndividualität etnbüßen will. Jn gleicher Art ver«
hält eS fich mit der Bildhauer- und der Baukunst. Uaser deutscheS Kanst-
leben fing zu schwindeu an uad gtng seiaem Ende entgege», al« eö seine
Wurzeln auS der vaterläadtschea Erde zog uud i» fremde etnseukte. Lor
Allem thut e» daher Roth, unS wieder auf unS selbst zu befinnen.

Der Eagländer Murphp und mkt rhm noch manch« Audere, die von der
Gothik mehr fühlten, alS verstanden, habea den Ursprung derselbcn auS der
Lonfiguratiorr der germanischen Eichenwälder hergeleitet. Mit mehr Fug
könute man da« ibeale Borbtld de« modern-akademischeu BaustpleS tn den
Pappel-Alleen suchea, wenri nur letztere etwaS weatgrr mannlgfaltig und
deledt wären.

Ei» «eit verbreitete« Vorurtheil geht dahtn, daß, um gothisch bauen
zu köunen, uuverhältaißmäßig viel Gclo erforderlich set. Ader habea denu
etwa währeud der Zahrhunderte, tn derrn Berlauf AlleS und JedeS n u r tn
gothischem Stple gebaut ward, die Baumeister stet« au« vollen Säckelu
schöpsen gekonnt? Uud doch ist d,s mit den geringste» Mitteln in jeuer
Pertode errichtete Werk schöner und malerischer, al« so mancheS LuruSge-
bäude der Gegenwart. An Geld fehlt eS übrigens gerade am wenigsten tn
unsererZeit; auch wird für Kanstzwecke deffen so viel a«S-egeben wie jemalS
fcüher (man braucht nur die Honorare zusammen zu rechnen, welche eiae
Mlle. Patti uad ähuliche Theater- oder Concert-Virtuosen rc. etnstreichen);
eS fehlt eben nur amSinne für dte erhabenfte und bleibendste aller Künste,
durch welche die BLlker und die Jndividueu fich Ehren-Denkmäler auf Jahr-
hunderte hinauS setzen. Für die edeln, wahrhaft könstlerischen Werke der
Architektur fing eS immer an ia demselben Maße an Mitteln zu fehlen, tn
welchem dte Zdeen und das Selbstbewußtsein auS den Nationeu schwande»
und der momentane Sinnenretz alleS anderö überwog.

Man soll unauSgesetzt zurückbltcken, zurückgehen nur, wenn man fich
auf dem Zrrwege befindet. Keine Zeit glaubt aber letztereS gerne von fich.
AlS während der Blüthezeit deS Zopfes die prachtvollen, altehrwürdigen
Dome vsn OSnabrück, Würzburg, Paffau u. s. w., ja selbst dte Aachener
Palastcapelle deS GründerS deS Retches germanischer Nation, ihreS echten
KunstschmuckeS beraubt wurden, und GppSschnörkelwerk in Rococo-Manier,
L la 1-onis LV., an die Stelle trat, erachtete alle Welt solche Wandelung
für den erfreulichsten Fortschritt, deSgleichen als in der ersten Hälfte unsereS
JahrhundertS Caricaturen deSGriechen- und Römer-, ja selbst deS Aegypter-
thums fich allerwärtS auf unserem deutschen Boden breit machten. Sollte
auch aus solchen Wegen immer welter fortgeschritten werden, oder tst et
nicht eiu Fortschritt uach dem rechten Wege hin zu nennen, wenn man lene
Verirrungen alS solche erksnnt und daS früher Dagewescue nach MLglichkeit
wieder herzustellen sucht? _ _

Da« Moment der Standfestigkeit und Dauerhaftigkeit ist ein wesentlicher
Factor der bildenden Kunst, eine Bedingung deS ästhetischen EffecteS der-
selben. Die phantastischsten, farbenreichsten Wolkengebilde, so wenig wie die
im Sonnenlicht glänzenden, mit Thauperlen nnd — Diamariten behängten,
wett aaSgespannteu Spinneugewebe oder ein Feuerwerk vermögen nicht
einen ästhetischen Genuß zu gewähre», weil eben der Geist gedachte«
Moment in diesen Bildungen vermißt. Man denks sich daS vollendetste
Schnitz- oder Steinmetz-Kunstwerk in GypS oder Dragant übertrazen und
ein Hauptreiz deSselben wird sofort schwinden, wenngleich die Formen gena«
dieselben bleiben.

Die in Betreff deS BaustyleS so häufig aufgestellte Unterscheidung
zwischen kirchlichen und profanen Gebäikoen beruht auf keinem hallbarem
Grunde, viclmehr auf einem abgeschmackten Vorurtheil. Es versteht fich von
selbst, daß dieForm einer Kirche eine andere sein muß, alS die eineS Rath-
oder WohnhauseS; diese Verschiedenartigkeit hat aber auf den Styl ketnen
Einfluß zu üben. Auch bei den alten Völkern, deren Kunstwerke wir „clasfisch"
nennen, und nicht minder im Mittelalter, sahen die Tempel ganz andcrs
aoS, <tl« die sonstigen öffentlichen Gebäude; eS ist aber Niemanden einge-
fallen, um deßwillea fär die Einen und für die Anderen etnen verschteden-
artigen Stpl zu verlangen oder zu wählen.

Die Schetdung zwischen der Religion und der sogenannten Welt ist tn
derKunsteben so unzuläsfig, wie imLeben; daS religiöseLeben eine«Christen kann
und soll eben nicht^ als etwaS von seinem gewöhnlichen Lebeu GetrennteS
erscheiuen. So verläuznete denn auch der altgriechische uud der altrömische
Architekt sowohl, al« der mittelalterliche in allen seinen Werken eben so
wenig, welchem Glauben, alS welchec Natioualität er angehöce. ES liegt
hterin ein Hauptgrund, weßhalb dte Monumente auS diesen Perioden daS
Gepräge der innereu Wahrhastigkeit an fich tragen, während dermalen unS
durchweg nur gemachteS Scheinwesen ohne eigentlkchen Eristeuzgrund cnt-
gegentrttt.
 
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