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Kohn, Pinchas Jacob
Rabbinischer Humor aus alter und neuer Zeit: eine Sammlung von Anekdoten und "Guten Wörtchen" — Berlin: Lamm, 1915

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https://doi.org/10.11588/diglit.42085#0021
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— 17 —

Zum Prager Rabbiner R. Jecheskel Landau kam ein
„Balbos“, um über seinen neuen „Bocher“ Klage zu füh-
ren, weil er keinen „Derech-Erez“ übrig liess. (Die Ba-
churim, welche Freitische geniessen, pflegen bei der Mahl-
zeit einen Rest auf dem Teller zu lassen, den man De-
rech-Erez = Anstandsrest oder Schirajim=Rest nennt. Mit
dem Derech-Erez will dei Bachur zum Ausdruck brin-
gen, dass er genügend vorgelegt erhalten, so dass er
sich sättigen und sogar noch übrig lassen konnte. From-
me „Balebatim“ pflegten diese Reste, weil von Talmud-
gelehrten stammend, zu essen.) Der Rabbi merkte so-
fort, dass der Bocher seinen Grund haben dürfte, von
der Regel abzuweichen und sagte darum zu dem Klage-
führenden: „Wenn der Bocher das nächste Mal zum
Essen kommt, geben Sie ihm folgende „Kasche“
(Frage) auf: Vom Esel des R. Pinchas b. Jair erzählen
unsere Weisen im Talmud, dass man ihm Gerste vor-
legte, und dass er sie nicht essen wollte, weil man den
„Maasser“ (Zehnt) nicht davon gegeben hatte. Nun fragen
Sie den Bocher, was das eigentlich für ein Esel war.
War er unwissend, woher die Kenntnis, dass man un-
verzehntete Gerste nicht essen darf, war es aber ein ge-
setzeskundiger Esel, dann hätte er auch wissen müssen,
dass man sich in einem solchen Falle helfen kann, in-
dem man — nach Vorschrift der Weisen — „naussen
enau bezad su, weauchel bezad acher“ (durch den Blick
einen Teil als Zehnt bestimmt und den andern Teil dann
essen darf)?“ — Hocherfreut ging der Balbos nachhau-
se und verfehlte nicht, gleich bei der ersten Gelegenheit
seinem Bocher die Frage vorzulegen. Soviel dieser sich
auch anstrengte, er konnte keine befriedigende Antwort
finden, und er musste schliesslich den Fragesteller auf
die nächste Gelegenheit vertrösten, weil er, wie er sich
entschuldigte, im Talmud nachlemen müsse. Aber alles
Lernen und Nachdenken nützte ihm nichts, und er muss-
te zum Rabbi gehen und ihn um eine Antwort auf diese
schwierige Frage bitten. „Die Sache ist doch ganz ein-
fach,“ belehrte ihn dieser. „Sage deinem Kostgeber, der
Esel wäre natürlich gelehrt genug gewesen, um den von
den Weisen vorgeschriebenen Ausweg zu kennen, aber da
hätte er einen Teil (nämlich den als Zehnt bestimmten)
 
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