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Kohn, Pinchas Jacob
Rabbinischer Humor aus alter und neuer Zeit: eine Sammlung von Anekdoten und "Guten Wörtchen" — Berlin: Lamm, 1915

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https://doi.org/10.11588/diglit.42085#0034
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— 30 —

der Bachur schlafe, liess er ein grossartiges Mahl anrichten,
an dem er und seine Familie sich gütlich taten. Am
nächsten Tage beim Mittagessen sollte der Bachur ein
„Stückchen Thora“ zum Besten geben. „Die Thora er-
zählt uns“, hob er an, „dass Moses während seines
vierzigtägigen Aufenthaltes bei Gott, weder gegessen noch
getrunken habe. Da nun aber der! Talmud die Behauptung
aufstellt, dass es ein Mensch drei Tage wohl ohne Nah-
rung, nicht aber ohne Schlaf aushalten könne, so begreife ich
nicht, warum uns also die Thora nicht das grössere
Wunder erzählt, dass Moses während der 40 Tage auch
nicht geschlafen hat? Dass Moses aber geschlafen haben
sollte, ist nicht anzunehmen. Der Talmud begrün-
det nämlich seine Abstinenz damit, dass er, sich unter
überirdischen Wesen befindend, die weder essen noch
trinken müssen, sich ihren Gebräuchen und Sitten fügen
wollte, wie ja auch die Engel, die zu Abraham kamen,
obgleich sie Engel waren, sich doch den menschlichen
Sitten fügten und das ihnen von Abraham bereitete Mahl
verzehrten. Wollte es Moses nun den Engeln gleichtun,
kann er also auch nicht geschlafen haben und da dies,
wie gesagt, mehr Wunder ist, als das Fasten, so hätte
die Thora es erwähnen müssen. — In Wirklichkeit lässt
sich diese scheinbar sehr schwierige Frage auf ganz ein-
fache Weise lösen. Mit der Mitteilung, dass Moses we-
der gegessen noch getrunken habe, hat uns die *Thora
gleichzeitig den Beweis geliefert, dass er auch nicht ge-
schlafen haben konnte. Denn warum hat er wirklich
nicht gegessen? wird man fragen; und die Amtwort wird
lauten: weil er sich den Sitten der Engel fügen wollte.
Woher aber wusste Moses, dass die Engel nicht auch
essen und trinken? Etwa weil er es nicht sah? Das
wäre nur dann ein Beweis, wenn Moses während der
ganzen Zeit niemals geschlafen und sie unausgesetzt be-
obachtet hätte. Wäre dies aber nicht der Fall und hätte
Moses ja geschlafen, so konnte er daraus, dass er die
Engel nicht essen und trinken sah, noch immer nicht
schliessen, dass sie es in Wirklichkeit nicht tun; denn es
könnte ja leicht möglich sein, dass sie ihre Mahlzeiten
gerade dann hielten, während er schlief. Da nun
Moses, wie die Thora erzählt, weder Speise noch Trank
 
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