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Einleitung

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hundert rückzubeziehen.85 Wie wenig die Regeln der Traktate,
die vornehmlich im Bereich der Säulenordnungen formuliert
sind und damit der Architekturtheorie des 16. Jahrhunderts ver-
pflichtet bleiben, griffen, zeigt der Abstand zur Baupraxis, die
um 1700 in der Privatarchitektur fast ohne Ordnungen aus-
kam.86 Was »bienseant« war, d.h. worin sich die Hierarchie
unter den Maisons de plaisance ausdrückte, muß daher vor-
dringlich aus der Betrachtung der einzelnen Häuser, ihrer
Gebäude und deren Kommentierung durch die Ausstattung
erschlossen werden.

Der Wert der Traktate liegt also weniger in Hinweisen für
die Deutung einzelner Phänomene als in ihrem Angebot, all-
gemeine Normen und Ansprüche, die man an die Architek-
tur eines Landhauses stellte, aufzudecken. Der Primat der
»bienseance« förderte die Emanzipation der Architektur als
darstellender und auf Wirkung bedachter Kunst; sie sollte sich
jedoch nicht nur auf das Verhältnis der einzelnen Maison zu
ihrem Bewohner beziehen, sondern die Landhäuser in der He-
de-France in ihrer Gesamtheit im Paragone mit der literarisch
überlieferten antiken Villeggiatur und deren neuzeitlicher
Nachfolge in der römischen Campagna und im Veneto siegen
lassen. Mehr als die Regeln der Theoretiker hat zeitweilig die
verbessernde Übernahme von Motiven aus italienischen Villen
dazu beigetragen, eine »französische« Architektursprache für
die Landhäuser auszubilden.87 Das Paradoxon des Pavillon ä
Fitalienne, der abgesehen von der Bedachung nichts Italieni-
sches hat, als flachgedecktes, eingeschossiges Gebäude eine
französische Erfindung ist und als solche Modell für die Mai-
son de plaisance in Europa wurde, ist das prominenteste Bei-
spiel für die Verarbeitung von italienischen Anregungen, die in
der Baupraxis erfolgte und nicht durch die Architekturtheorie
abgesichert war.

Die Untersuchung der Landhäuser in der Ile-de-France wird
ihren Ausgang von der Villeggiatur Ludwigs XIV nehmen.
Gerade an den Schlössern des Königs, dem frühen Versailles,
den Trianons de porcelaine und de marbre, an Marly und Cla-
gny, das an der Peripherie der neu entstehenden Stadt Versail-
les für Madame de Montespan erbaut wurde, wird sich die Aus-
einandersetzung mit der italienischen Villenarchitektur und die
selbstbewußte Lösung aus den Zwängen dieses Wettstreits
besonders deutlich aufzeigen lassen. Zugleich wird an den
Inventionen der königlichen Baubehörde das Niveau zu
bestimmen sein, das den Besitzern anderer Maisons de plai-
sance die Grenzen ihres Bauens wies.

Den Regeln der »preseance« einigermaßen folgend, zudem
den chronologischen Ablauf wahrend, schließt sich eine Studie
zu drei ausgewählten Landhäusern im Besitz der Princes du
Sang - St. Cloud, Chantilly und Choisy - an. Die Darstellung
gilt vor allem der Frage, in welcher Weise - ob durch Anpas-
sung oder Verweigerung - die Verwandten Ludwigs XIV in
den Gebäuden, ihrer Präsentation im Garten und in ihrer
Ausstattung auf die Vorgaben aus der Villeggiatur des Königs
reagierten.

Im folgenden Abschnitt werden die Landhäuser von drei
Ministern Ludwigs XIV kommentiert. Auch hier steht die
Frage im Vordergrund, wie Anpassung und Abstand Bau und
Ausstattung der Schlösser in Sceaux, Meudon und Villeneuve-
le-Roi prägten. An den Bauten des Ministers wird sich zeigen
lassen, daß die Zugehörigkeit zu einem Stand oder gar zu einer
kleinen, homogenen Gruppe nicht zwangsläufig zu Unifor-
mität führte. Vielmehr ergaben sich aus den Interessen der
Bauherren Colbert, Louvois und Le Peletier durchaus divergie-
rende Lösungen für die Ausstattung eines Landsitzes. Es läßt
sich jedoch eine Übereinstimmung feststellen, die die Maisons
de campagne der Minister grundlegend von denen der Prinzen
unterscheidet. Die Minister, die ihren Aufstieg dem Königs-
dienst verdankten, bemühten sich unter dem Druck der höfi-
schen Öffentlichkeit oder aus eigenem Pflichtbewußtsein, die
ländliche Muße durch die Ausstattung der Landsitze demon-
strativ in eine rastlose Tätigkeit umzudeuten.

Der Königsdienst prägte als Anreiz und Verpflichtung zu
unermüdlichem Fleiß auch das Landhaus, das der Premier
Peintre du Roi Charles Le Brun in Montmorency erbaute. Im
Gegensatz zu den Ministern vermochte es der Maler, sich von
den traditionellen Schemata des französischen Schloßbaus zu
lösen. An »italianitä« in Architektur, Garten und Wasserkün-
sten konnte sich um 1680 nur Montmorency mit den Maisons
de plaisance Ludwigs XIV messen.

Das geringe Format der Grundstücke und der Bauten, dazu
eine gewisse Monotonie des Entwurfs, kennzeichnet die Land-
sitze, deren Bewohner - u. a. Grands Robins, Bankiers, Mar-
chandsBourgeois de Paris - nur eines gemeinsam hatten: Sie
standen dem Hof recht fern. Für diese keineswegs homogene
Gruppe fanden die Architekten ein einziges Mal zu einem Bau-
typus, dessen formale Eigenheiten, in Anlehnung an oberitalie-
nische Villen, aber in französischem Gewand, in eindeutiger
Weise beschreiben, wie sich die Einfachheit des Landlebens
mit dem Zwang oder der Selbstverpflichtung zum Maßhalten
im Bauen verbinden ließ.

Nach der Wende zum 18. Jahrhundert setzte sich eine Reihe
von Bauherren über die Forderungen nach Bescheidenheit im
Bauen, die mittlerweile auch von den Architekten angeraten
wurde, hinweg. Während die Finanzleute in Bau- und Ausstat-
tungsformen auf die Lösungen ihrer Vorgänger aus der Zeit um
1660 zurückgriffen, bemühte sich die königliche Baubehörde
ein weiteres Mal um Neuerungen, die Schloß Meudon zum
schicklichen Landsitz des Dauphin erheben konnten. Fassaden
und Raumprogramm des Chäteau Neuf in Meudon folgten dabei
den Konventionen, die sich vor 1680 in den Bauten Ludwigs
XIV herausgebildet hatten. Neuartig war dagegen die Ausstat-
tung der Appartements. Es wird zu prüfen sein, ob im Grotes-
kendekor, dem die mythologischen Programme und Gemälde-
sammlungen weichen mußten, eine Bildersprache für die end-
gültige Lösung von oder gar in Opposition zu Versailles gefunden
wurde oder ob hier Entwicklungen ihren adäquaten Platz erhiel-
ten, für die dort neben den offiziellen Räumen wenig Platz war.
 
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