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26

Einleitung

Bis dahin, in die Zeit um 1710/20, kann die Reihe der Land-
häuser in einer Geschichte schrittweiser Reduktionen geord-
net werden. Sie ermöglichten die Ausbildung von Bau- und
Ausstattungstypen, während die extravaganten Erfindungen
der Villeggiatur Ludwigs XIV. nahezu ohne Resonanz blie-
ben. Bevor in den Bauten Ange-Jacques Gabriels die Renais-
sance des »Siecle de Louis XIV« am Hof ihren Höhepunkt
erreichte, schloß die Entwicklung der Maison de plaisance
in einer Vielfalt von Architekturformen, in denen Neuaufstei-
ger, die berüchtigten Financiers und Angehörige des Hoch-
adels, Ideen aus den Bätiments du Roi aufgriffen. Dabei
übersprang die Lust an der Invention, die sich mit dem An-
spruchsdenken einer Schicht äußerst wohlhabender Bau-
herren vereinte, erneut die Standesgrenzen. Die Architekten
förderten Abweichungen von der radikal vereinfachten, im
allgemeinen ohne Bauzier auskommenden Norm der Land-
häuser, um zu einer größeren Variationsbreite zu gelangen.
Zugleich aber machten sie selbst die ständische Hierarchie zur
Grundlage ihrer Vorschriften über die »bienseance« im
Bauen.

Das Spannungsverhältnis von funktionaler und formaler
Typologie kennzeichnet die Bauaufgabe der Maison de plai-
sance für den gesamten Zeitraum. Jacques-Francjois Blondel
und Charles-Etienne Briseux, die als Baumeister in einer an
Aufträgen armen Zeit Beschäftigung suchten, bereiteten die
Maison de plaisance in ihren verschiedenen Fassungen für die

Provinzen Frankreichs und das Ausland auf, indem sie in ihren
Traktaten die 70jährige Entwicklung in der Ile-de-France fest-
schrieben. Mit Hilfe dieser ersten Ordnungsversuche, in denen
sich eine Typologie der Form aus der der Nutzung zu lösen
beginnt, und mit Hilfe von Schilderungen des Landlebens im
ersten Drittel des 18. Jahrhunderts wird zu zeigen sein, warum
sich letztlich die Petite Maison als Inbegriff der Maison de
plaisance durchsetzte.

»Les sciences demandent des ailes d'aigles et non pas des
pieds des tortues«, schreibt der Abbe Lemoine 1647.88 Die nah-
sichtige Betrachtung der einzelnen Maisons de plaisance läßt
meinen Text oft auf Schildkrötenfüßen dahinkriechen. Zur Ent-
schuldigung sei angeführt, daß die Beschreibung von Ar-
chitektur in Wissenschaft und Poesie stets im Geruch der
Pedanterie stand. Der ungeduldige Leser möge es daher wie
Boileau halten:89

»Un auteur quelquefois trop plein de son objet
Jamais sans l'epuiser n'abandonne un sujet.
S'il rencontre un palais, il m'en depeint la face,
II me promene apres de terrasse en terrasse;
Icy s'offre un perron; lä regne un corridor;
La ce balcon s'enferme en un balustre d'or:
II compte des plafonds les ronds et les ovales.
Ce ne sont que festons, ce ne sont qu'astragales.
Je saute vingt feuillets pour en trouver la fin,
Et je me sauve ä peine au travers du jardin.«
 
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