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Der Kreis: Zeitschrift für künstlerische Kultur ; Organ der Hamburger Bühne — 8.1931

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Nr. 1 (Januar)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43624#0050
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du kannst doch nicht einfach dabei sitzen, du hast doch ein Herz
im Leibe, und ein Mensch ist doch schließlich ein Mensch: hilf mir,
hilf mir!“ Es riß mir die Brust auf, wie Wulf dalag und sein Gesicht
in die Decke wühlte und so unsäglich sich quälte, aber, was sollte
ich denn tun, die Tränen stiegen mir heiß in die Augen, und ich
weinte und streichelte sein Haar. Nun wurde Wulf ruhiger, er
richtete sich auf und sah mich an, er preßte sein knochiges, heißes
Gesicht an meines, und beide schluchzten wir, und unsere Tränen
tropften aufs Bett. ,,Ich wage nicht, im Zimmer zu bleiben“,
flüsterte Wulf großäugig, „Laß uns noch etwas raus, draußen ist
die Nacht, da ist es besser, nur allein wag ich auch das nicht.“
Ich nickte und huschte einfach aus dem Bett und zog mich schnell
an (aber Wulf guckte gar nicht hin).
Wir gingen am Fluß entlang; das Wasser rauschte schön unter
den schweigenden Büschen des Ufers, Wulf hatte es eilig, er lief
beinah und zerrte mich förmlich mit. Nur einmal, als wir wohl
schon eine Stunde so gelaufen waren, machte er plötzlich Halt und
sah mich an mit seinen so sehr großen Augen und sagte mit einem
Kopfschütteln: „Thora, du kleiner Mensch,“ Und er lächelte. Ich
warf meine Arme um seinen Hals und küßte ihn auf den Mund, ich
hatte gar kein Bedürfnis mehr da zu sein, ich war nur glücklich
oder nicht einmal das, ich küßte Wulf. Wir gingen weiter, Wulf
hielt meine Hand, und nun rannte er nicht mehr so. Vor uns der
Himmel war schon ockergelb, und Wulf sprach leise und nach-
denklich: „Thora, du bist wahrhaft eine Gnade unter den Men-
schen. Ich habe die Frauen immer geliebt, und — und ich habe
dafür bezahlt, das darf ich wohl sagen; aber begriffen, weißt du,
begriffen hab ich's eigentlich nie. Jetzt, ja, jetzt begreif ich’s. Ich
bin so ruhig, Thora. Mein ganzes Herz ist voll Liebe, und mein
Atem geht leicht und frei.“ Ich ging auf den Zehen, so schön war,
was Wulf sprach, „Ich weiß auch“, sprach Wulf, und seine Stirne
schimmerte verzückt, „daß man einander nicht versteht. Wie ver-
stünde ich dich wohl, du Geschöpfchen, wie du da bei mir gehst.
Aber es ist wunderbar vorhanden, und eine große Gnade unter den
Menschen, wenn man es einmal zu fühlen bekommt. Kleine Thora,
es tut so gut, an deiner Hand zu gehen. Ich bin noch niemals so ge-
gangen, Ich geh auch nie wieder so, nie wieder.“ Er schüttelte den
Kopf, schnupfte auf und drückte meine Hand, Mir wurde zaghaft,
„Doch“, bat ich, „Bitte: doch,“ „Nie wieder, Thora“, sagte er und
schüttelte wieder den Kopf und sah mich mit einem ganz unbesieg-
baren, sanften Lächeln an. Als wir umkehrten, um heimzuwandern,
war vor uns noch ein Streifen Himmel blaue Nacht, tiefblau, und in
dem Tiefblauen stand ein dicker Stern und flimmerte. Und nun fing
Wulf wieder so zu laufen an, ich konnte kaum mit. „Oh“, sagte ich
und blickte seitlich zu ihm auf, „Es geht aber schnell,“ Wulf lachte
und küßte mich. Und dann ging er, wie es sich gehört.

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