DOI Heft:
Nr. 9 (September)
DOI Seite / Zitierlink: https://doi.org/10.11588/diglit.43624#0533
DER KREIS
Zeitschrift für künstlerische
VIII. Jahrgang
Kultur
Neuntes Heft
September 1931
Kirche, Kunst und Künstler
Von Heinrich Ehl
,.Unter allen Umständen ist das, was um seiner
selbst willen und nicht aus einem
außerhalb der Kunst liegenden
Grunde dargestellt wird, der höchsten Be-
achtung wert."
Jacob Burckhardt
Die Kunst besteht ausschließlich aus Form und Gestalt. Diese
sind ihre beiden großen Geheimnisse. Sie können weder
wissenschaftlich erklärt, noch praktisch erlernt werden. Der Irr-
tum jeder Ästhethik beruht darauf, Formen als Formeln mißzu-
verstehen, Gestalt als Inhalt oder Gegenstand. Der Irrtum
jeder Kunstpolitik ist es, die Künste in irgend-
einen Dienst stellen zu können oder wollen, sei
es Bildung, Vaterlandsliebe, Religion oder Mo-
ral, Ein Stuhl von van Gogh, ein Apfel von Cezanne — die be-
rühmte Kohlrübe von Liebermann — sind Kunstwerke, weil sie
Gestalt gewordener Gegenstand sind, Formausdruck eines die Welt
völlig erlebenden und sie neu schöpfenden Gefühls. Der Inhalt
ist an sich nichts. Erst durch den Künstler kann er etwas
werden. Niemals durch irgendeine Institution, Idee oder Absicht,
Durch Rafael wurde die Madonna zum Kunstwerk, durch Rem-
brandt die biblische Erzählung zum Bild und zum menschlichen
und religiösen Dokument. Geschichte, Literatur, das sogenannte
Gedankliche bedeuten an sich für die Kunst gar nichts. Durch
lizian, Rubens, Delacroix werden diese Inhalte Kunstwerke. Durch
Piloty, Kaulbach, Makart werden sie gemalte Journalistik, sen-
sationelle Reportage, Was die Journalistik besser leistet, braucht
die Kunst nicht zu tun. Was Philosophie, Ethik oder Dichtung
klarer zu künden haben, geht die darstellende Kunst nichts an. Sie
macht sich damit überflüssig, wie sich das Theater überflüssig macht,
wenn es das Kino nachahmt.
Die Kunst braucht auch nicht die Religion und
gar nicht die Kirche, Die Religion braucht noch weniger
die Kunst. Die Kirche könnte Kunst sehr wohl brauchen und hat
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Zeitschrift für künstlerische
VIII. Jahrgang
Kultur
Neuntes Heft
September 1931
Kirche, Kunst und Künstler
Von Heinrich Ehl
,.Unter allen Umständen ist das, was um seiner
selbst willen und nicht aus einem
außerhalb der Kunst liegenden
Grunde dargestellt wird, der höchsten Be-
achtung wert."
Jacob Burckhardt
Die Kunst besteht ausschließlich aus Form und Gestalt. Diese
sind ihre beiden großen Geheimnisse. Sie können weder
wissenschaftlich erklärt, noch praktisch erlernt werden. Der Irr-
tum jeder Ästhethik beruht darauf, Formen als Formeln mißzu-
verstehen, Gestalt als Inhalt oder Gegenstand. Der Irrtum
jeder Kunstpolitik ist es, die Künste in irgend-
einen Dienst stellen zu können oder wollen, sei
es Bildung, Vaterlandsliebe, Religion oder Mo-
ral, Ein Stuhl von van Gogh, ein Apfel von Cezanne — die be-
rühmte Kohlrübe von Liebermann — sind Kunstwerke, weil sie
Gestalt gewordener Gegenstand sind, Formausdruck eines die Welt
völlig erlebenden und sie neu schöpfenden Gefühls. Der Inhalt
ist an sich nichts. Erst durch den Künstler kann er etwas
werden. Niemals durch irgendeine Institution, Idee oder Absicht,
Durch Rafael wurde die Madonna zum Kunstwerk, durch Rem-
brandt die biblische Erzählung zum Bild und zum menschlichen
und religiösen Dokument. Geschichte, Literatur, das sogenannte
Gedankliche bedeuten an sich für die Kunst gar nichts. Durch
lizian, Rubens, Delacroix werden diese Inhalte Kunstwerke. Durch
Piloty, Kaulbach, Makart werden sie gemalte Journalistik, sen-
sationelle Reportage, Was die Journalistik besser leistet, braucht
die Kunst nicht zu tun. Was Philosophie, Ethik oder Dichtung
klarer zu künden haben, geht die darstellende Kunst nichts an. Sie
macht sich damit überflüssig, wie sich das Theater überflüssig macht,
wenn es das Kino nachahmt.
Die Kunst braucht auch nicht die Religion und
gar nicht die Kirche, Die Religion braucht noch weniger
die Kunst. Die Kirche könnte Kunst sehr wohl brauchen und hat
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