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Der Kreis: Zeitschrift für künstlerische Kultur ; Organ der Hamburger Bühne — 8.1931

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Nr. 7/8 (Juli-August)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43624#0443
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DER KREIS
Zeitschrift für künstlerische Kultur
VIII. Jahrgang

Siebentes und achtes Heft Juli-August 1931

Gemeinsamer Weg
Von Ludwig Benninghoff
Dem aufmerksamen Beobachter bleibt es nicht verborgen, daß
die Völker der alten, ja auch der neuen Welt sich in verstärktem
Maße ihrer Herkunft, ihrer Eigenart bewußt werden und diesem
Volkstum Ausdruck und Geltung zu geben trachten. Man muß darin
ein natürliches und notwendiges Regulativ sehen: die Vielfältigkeit
der Natur, die nicht nur in der Verschiedenheit der Individuen sich
zeigt, sondern in der Individualität der Völker lebt. Dieses Or-
ganische im Menschensein wirkt als Gegenkraft gegen die schemati-
sierende, maschinenähnliche Gleichförmigkeit und Gestaltlosigkeit
der zivilisatorischen Organisation und ihrer an sich schon bedenk-
lich werdenden Weltwirtschaft, Mit diesem natürlichen Trieb aber
verwechsele man nicht kurzerhand den Machtwillen des National-
staates, Unbezweifelbar ruht auch seine Existenz in der gestalt-
wirkenden Kraft des Volkes. Aber, wie alles von Menschen Ge-
staltete, unterliegt auch er der Tragik des ewig Unzulänglichen und
dem Schicksal, daß jedes Gebilde einem Abgrenzen, Abstoßen und
somit einer mehr oder weniger glückhaften Verfestigung unter-
worfen ist, die dem natürlichen Wachstum — ich denke da an die
Sprache — oft widerstrebt. Weit entfernt also davon, aus einer ober-
flächlichen und überheblichen Zweckmäßigkeit den Nationalstaat
zu negieren, muß man ihn doch verfallen sehen an den Zwiespalt
zwischen organischem Wachstum und willensmäßigem Gebilde. Auch
wäre es undankbar, ihm nicht die Förderung und den Schutz des
schönsten und reichsten Ausdrucks jeden Volkstums, der Sprache,
zuzuerkennen, eines Wesens, das ebenfalls unaufhörlich Organisches
mit Willensmäßigem verbindet. Für den Staat aber kommt hinzu,
daß er nicht das Glück der Einmaligkeit und Endgültigkeit von
künstlerischen Gebilden genießt, auf der anderen Seite nicht die
Dehnbarkeit und unmerkliche Wachstumsmöglichkeit der Sprache
hat, sondern, dem Wandel der Zeiten und Zustände unterworfen,
doch in die Verfestigung eines Gebildes gezwängt ist und sich den
Mächten des Zufalls, des Glücks, der Stimmung und menschlichen
Beschränktheit immer von neuem ausgeliefert sieht, Mächten, die

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