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Der Kreis: Zeitschrift für künstlerische Kultur ; Organ der Hamburger Bühne — 8.1931

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Nr. 2 (Februar)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43624#0149
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Um die Jugend
Man läßt der Jugend keine Ruhe mehr, man zieht sie in die Öffentlichkeit,
beschnüffelt ihre Gefühle und Nöte und zerstört dabei den Sinn ihres Zu-
standes: das verborgene Wachstum. In der Literatur ist die Jugend so zur
Sensation geworden. Solange sie sich noch auf den Schulbänken tummelt, gibt
man ihr gern die Würde des Märtyrertums. In seinem Roman „D er Schüler
Gerber hat absolviert" (Zsolnay-Verlag) läßt Friedr, T o r b e r g eine
solche von verkalkten Paukern und Schultyrannen gehetzte Kreatur verenden.
Schüler- und Lehrer-„Material“ einer vorsintflutlichen Schule quält sich hier
gegenseitig zu Tode. Waschechte Pennäler mit Stundenschwänzen und Zi->
garettenrauchen auf den Anstaltsaborten, Büffelbrüder und Prüfungsgespenster
bevölkern eine pädagogische Folteranstalt, Dazwischen ein Kapitel Pennäler-
liebe mit last not least Gedankensplitter über den Coitus vulgaris, dessen Un-
wesentlichkeit im Verhältnis zur Liebe mit „frenetischem Applaus" von den
jungen Menschen begrüßt wird. Sollten in einem Winkel deutschen Landes die
dargestellten Verhältnisse noch möglich sein, dann hätte der Roman seine Be-
rechtigung. Die intellektuelle Sprachgebung jedoch lehnen wir ab. Wenn der
Verfasser gleichsam als rechtfertigendes Motto auf zehn Schülerselbstmorde
hinweist, die ihm binnen einer Woche zur Kenntnis kamen, so sagt das gar
nichts aus über den Zustand der Schulverhältnisse, es erweist nur, daß gerade
die scheinbar so robuste Jugend unseres technischen Zeitalters innerlich
verarmt und geschwächt den unvermeidlichen Kampf um ihre Lebensform
auskämpft oder vielmehr nicht auskämpft.
Um vieles aktueller erscheint da eine Jugend, wie sie Karl Blitz in
„Studienrat Haneke" (Enoch-Verlag, Hamburg) schildert. Der Ver-
fasser, der allerdings einen völlig unzulänglichen Stil schreibt (z, B, H. nahm
auf dem Katheder lebhaften Platz . . . Ah, wer da hätte bei sein dürfen . . .
u. a. m.), kennt die modernen Schulverhältnisse ausgezeichnet. Den Schülern
stellt er in Dr. Bolln den reformierten Lehrer an die Seite, den Sportsmann,
Kameraden und Helfer, Als Gegenspieler tritt Studienrat Haneke auf, der alte
Typ. Zwischen beiden steht die Jugend, sportlich tüchtig, in der Gesinnung
anständig, sich einig darüber: Die Autorität der Erwachsenen ist dahin; denn
sie haben selbst keine geschlossene Lebensanschauung mehr, sie sind ja die
Gemeinheit ringsum, „Rein bleiben? Zwischen diesen Erwachsenen? Die es
selbst nicht können! Hahaha!" Auch diese Jugend rettet sich in das Be-
kenntnis: „Das Geschlechtliche ist eine Nebensache, wie vieles andere." Sie
denkt rational und spottet: „Wenn es die Erwachsenen tun, ist es eheliche
Pflicht, wenn wir es tun, ist es Unzucht," Reinheit wird so ein unberechtigtes
Werturteil; denn das Sexuelle an sich ist indifferent. Im übrigen werden zahl-
reiche Reden gehalten über alle Schulprobleme der Gegenwart, Aber bei
aller berechtigten Kritik: nur Abbau, nur Beseitigung von Hemmungen be-
deutet uns nichts mehr. Wir verlangen Formen des Wachstums. Der nega-
tive Freiheitstaumel ist uns verhaßter als der alte Drill; sein Ergebnis ist Zer-
setzung der Gemeinschaftsformen und Sieg des triebhaften Individualismus.
Wie solche Jugend im Studentenalter aussieht, davon gibt der Roman einer
Weltstadtjugend „Begierde" von Otto Zarek (Zsolnay-Verlag) eine allzu
deutliche Vorstellung. Stefan Zweig meint wohl zu diesem Buch: „Selten ist
so kühn in die unsichtbarsten Bezirke der Großstadt, in die Schattenreiche
des Eros hineingeleuchtet worden," Herr Zweig propagiert natürlich den Irrtum
seiner verehrlichen Zeitgenossen, daß Eros nichts sei als brutaler Sexus.
Moderne, sportliche Jugend ergeht sich in widerlichen Orgien des Trieb-
lebens und „bedient" sich dabei einander. Was sagt man von Tommy, dem
Boxer, nach erledigtem Geschäft? „Liebesspiel, das war für ihn eine Trainings-
aufgabe, die man erledigt, sachlich, schnell und gut." Ein guter Schauspieler

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