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Der Kreis: Zeitschrift für künstlerische Kultur ; Organ der Hamburger Bühne — 8.1931

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Nr. 3 (März)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43624#0159
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DER KREIS
Zeitschrift für künstlerische Kultur
VIII. Jahrgang

Drilles Heft

März 1931

Paul Ernst (zum 65, Geburtstag)
Von Hans Nessel
Seit vier Jahren erscheint bei Georg Müller in München das ge-
sammelte Werk von Paul Ernst. Acht Bände liegen vor; fünf
davon enthalten Novellen, zwei theoretische Schriften, einer den
Roman „Saat auf Hoffnung“. Außerhalb dieser Reihe erschien der
Band „Jugenderinnerungen“.
Mit dieser Ausgabe ist uns Paul Ernst von neuem und ein neuer
Paul Ernst geschenkt, und es ist Pflicht und Vergnügen, von ihm
Kenntnis zu nehmen. Denn es wird mit der neuen Gesamtausgabe,
die sein vergriffenes, unzugängliches und weithin verstreutes Werk
übersichtlich sammelt, erst deutlich, daß wir in Paul Ernst nicht
einen der rasch im Moder der Geschichte versinkenden Dichter be-
sitzen, die eine „Bewegung“ hervorrufen, sondern einen unserer
bedeutendsten Köpfe, der durchaus jenseits einer bloß zeitlichen
Bewertung steht.
Paul Ernsts „Bewegung“, das weiß jeder Gebildete, war der
„Neuklassizismus“. Mit Wilhelm von Scholz und Samuel Lublinski
zusammen nahm er viele Gedanken des nahenden Expressionismus
vorweg, ohne doch dessen Ausschweifungen zu wollen, und Ernst
war es eigentlich, der dem Naturalismus wie der Neuromantik eines
Gerhart Hauptmann den letzten Stoß versetzte.
In den 25 Jahren aber, die seit der Herausgabe seines „Weges
zur Form“ verstrichen sind, ist es um Paul Ernst immer einsamer
geworden.
Heute steht Paul Ernst nicht mehr im Getriebe der literarischen
Bewegungen; fernab auf wenig beschrittenen Pfaden muß man ihn
suchen. Und nicht jeder wird ihn nun auch finden: das zeigen die
seltsamen Mißverständnisse, denen der Dichter von Seiten der zünf-
tigen Forschung und der Kritik ausgesetzt war. Man traktierte
ihn mit Ausdrücken, die an gemeinen Hohn grenzen, und ganz all-
mählich erst scheint die Einsicht durchzudringen, daß die einzig an-
gebrachte Empfindung Ehrfurcht und Hochachtung vor diesem
seltenen Menschen und Dichter ist.
Freilich ist Paul Ernst wohl nicht ganz unschuldig an diesen Miß-
verständnissen und an seiner gegenwärtigen Isolierung. Allzuviel

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