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Der Kreis: Zeitschrift für künstlerische Kultur ; Organ der Hamburger Bühne — 8.1931

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Nr. 3 (März)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43624#0164
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den sonderbaren Erscheinungen Gestorbener und unerklärlichen
Begegnungen mit einer Welt, die jenseits unserer Sinneswelt zu
liegen scheint. Vieles darin ist unmittelbar okkultistischen Berichten
nacherzählt , . ,, und da sind die „Liebesgeschichten“, über die man
dann wegen allgemeiner Bekanntheit und Beliebtheit dieses Themas
nichts Weiteres zu sagen braucht. Um zu sehen, daß auch im deut-
schen Milieu die Kunst der Ernstschen Novelle edle Blüten zu
treiben vermag, braucht man endlich nur die „Geschichten von
deutscher Art“ in die Hand zu nehmen.
Die Lebendigkeit und Unzerstörbarkeit dieser Novellen ist nicht
durch anziehende Aufmachung oder durch irgendwelche Effekte er-
reicht, sondern durch eine schlichte Sachlichkeit, die heute kaum
ihresgleichen hat, Ernst verschmäht das behäbige Plaudern eines
Gottfried Keller ebenso wie die geistreiche Schärfe eines Fontane
oder die gemütvolle Breite eines Raabe, denen die heutigen Er-
zähler am meisten zu danken haben, Ernsts Meisterschaft ist Be-
schränkung, Verdichtung, oft geradezu Abstraktion. Er schildert
nur das, was zur Begründung der Handlung unbedingt nötig ist, und
löst den Konflikt dann so, daß einer höheren Sittlichkeit Genüge
getan ist. Seine Novellen entbehren oft des Reizes der Pointe, der
Überraschung und der kunstvollen Enthüllung von Geheimnissen, Sie
haben einen ganz andern, künstlerisch reineren Reiz: in ihnen wird
ein Konflikt, ein scheinbar auswegloser Zwiespalt im Sinne einer
höheren Sittlichkeit gelöst. Und es ist dem Leser, als werde er
selber aus den Verwirrungen des Lebens emporgehoben zu einer
Lösung und Erlösung in der gereinigten Welt des befreiten Geistes,
der Kunst, In jeder Novelle vollzieht sich solch ein Akt der Be-
freiung, Paul Ernst ist Erzieher und Führer, mehr: ein großer
Künstler, der nicht nur seine Gestalten, sondern im höchsten Sinne
der Kunst auch seine Leser formt.

Erwin Bossanyi

oder

die mythische Überlieferung in der Kunst

Von Heinrich Ehl

„Der Bereich des Individuellen ist verhältnis-
mäßig eng, enger, als eine sentimentale Auffas-
sung vom Künstlertum wahrhaben möchte.“

Josef Nadler, „Das Problem der Stilgeschichte“,

ie Kunst ist ein Mythos, (Weswegen sie dem auf Reportage


hereingefallenen Menschen der Gegenwart so unerklärbar wie
überflüssig vorkommt.) Wir sehen den Gestaltwandel dieses Mythos
und nennen ihn — zweideutig wie die Zeit ist — geschichtliche Ent-
wicklung. Auch die Kunstgeschichte, die fast immer vergißt, daß

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