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Der Kreis: Zeitschrift für künstlerische Kultur ; Organ der Hamburger Bühne — 8.1931

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Nr. 4 (April)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43624#0233
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in die Schanzen schlagen müsse. Ein Selbsttäuschung, die das phan-
tastische Ergebnis der Ungeduld ist — einer Ungeduld, die aus der
Erschütterung der Menschheit im Weltkrieg, die noch lange nach-
beben wird, begreiflich und entschuldbar ist.
Unbewußt, sagte ich, schafft die junge Generation selbst mit an
dem neuen Ideal, Und unbewußt schwebt ihr auch vor, wie es
beschaffen sein könnte, Thomas Mann sprach von der „Wendung
zum irrationalen Lebensbegriff“ zu den „Kräften des Unbewußten,
Dynamischen, Dunkel-Schöpferischen“, die diese Jugend fordere.
Eine gewiß treffende Formulierung. Wo er sie jedoch negativ
wendet als „Abkehr vom Vernunftglauben, von der mechanistischen
und ideologischen Weltanschauung der Väterzeit“, läßt er doch
wohl außer acht, daß diese Abkehr bereits die Kriegsgeneration
vollzogen hat. Dies wird am deutlichsten in den Zeugnissen der
Kriegsgefallenen, der namenlosen, die Philipp Witkop in den
„Kriegsbriefen gefallener Studenten“, und der von jungem Ruhm
gekrönten, die Edwin Redslob im „Vermächtnis“ gesammelt hat.
Hier schon in dieser „Hölderlin-Generation“, wie Ernst Heilborn sie
nennt, lebt die Hingabe ans Allgewaltige, der hohe Opfer-Glaube
auf, hier auch, bei Franz Marc und vielen anderen, klingen zum
erstenmal wieder, in einer ganz reinen und der Sentiments un-
verdächtigen Region, Grundthemen der Romantik auf, — Die Über-
lebenden, dezimiert und seelisch aufs äußerste geschwächt, lebten
scheinbar in dieser Region zunächst nicht weiter, in Wirklichkeit
ließen sie sie nur unberührt, um erst gestärkt in sie einzutreten.
So ist auch der Hunger nach dem „Dynamischen, Dunkel-Schöpfe-
rischen“ nicht primär ein Gefühl der jungen Generation, sie nimmt
damit nur vorweg, was in der Kriegsgeneration schon vorgebildet,
aber noch nicht ausgeprägt ist. Die ausprägende Reife indes kündet
sich jetzt allenthalben an. Es ist Herbst der Kriegsgeneration, Eine
Wandlung zeigt sich schon in der radikalen Abwendung gerade der
entschiedensten Liberalen vom Liberalismus an, die oft genug die
haltlose Ungerechtigkeit des Renegaten erzeugt. Auffallend, wie das
Werk manches Vierzigers oder Fünfzigers plötzlich noch wieder ein
neues Gesicht bekommt, durch das die rätselhafte Ferne des Un-
erkennbaren schaut. Wertvoller aber sind die Männer der Kriegs*
generation, deren ganzes Schaffen und Meinen auf die Wieder-
erweckung des irrationalen Lebensgefühls, auf die Entdeckung und
die spielerisch-bunte, tief-künstlerische Besiedlung jener sagenhaften
Räume, aus denen das Ideal wächst, von jeher eindeutig gerichtet
war. Diese Dichter etwa, die man bisher als abseitig, völkisch-
„romantisch“, als Heimatdichter und „provinzielle Idylliker“ ein
wenig übersah, treten jetzt stark in den Vordergrund, Namen wie
Hans Fr, Blunck, Max Mell, Hans Carossa, Joseph Wittig, Friedrich
Schnack und Wilhelm Schmidtbonn mögen in etwa die verschiede-
nen Richtungen aufzeigen.

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