muß empfunden haben, daß mehr dahinter steht. Er erschrak nicht
darüber, daß Diebold es sagte, sondern darüber, daß etwas Wahres
daran sein könnte. Er entsann sich verwandter Äußerungen in ver-
wandtem Tone und fühlte sich als Einsamer in einer entfremdeten,
neuen Welt, in einer Welt, die augenscheinlich ohne Beethoven zu
leben gewillt war. Und er setzte dieser neuen Welt sein altes Bild
entgegen, das Bildnis Beethovens, wie es seine gläubige Begeisterung
sah und wie er es erhalten wissen wollte. Kaum je in neuerer Zeit
ist eine Musikerbiographie so eindeutig und so bewußt gegen den
Zeitgeschmack (den vermeintlichen) geschrieben worden. Gewiß,
Forkels „Bach“ und Chrysanders „Händel“ sprachen zu einem
Publikum, dem ihre Meister so gut wie unbekannt waren; sie mußten
den Boden bereiten (und haben ihn bereitet). Hier aber ist es um-
gekehrt: nicht um das Anbahnen des Verständnisses handelt es sich,
sondern darum, daß es nicht verloren geht. Und so ist es nicht mit
Spechts Beethoven-Buch allein. Von den vier bedeutenden Beet-
hovenbüchern des letzten Jahrfünfts sind es drei, die der neuen
Problematik ihren Ursprung verdanken: die Beethoven-Bücher von
August Hahn*), von Romain Rolland (von dem bisher erst ein Band**)
vorliegt) und von Richard Specht, Die beiden letzten bezeugen
ausdrücklich, daß sie den Beethoven ihrer Generation gegen den
Beethoven der Gegenwart schützen wollen, dieser kraft der Em-
pörung, jener kraft der Entsagung gegenüber dem fremden Neuen;
und der erste von ihnen, August Halm, ist es ja eigentlich gewesen,
der die Problematik Beethovens am frühesten und am kühnsten
(damals war es eine Kühnheit) bezeichnet und der in dem Werke,
das sein letztes werden sollte, sie noch einmal mit einsichtiger und
abgewogener Ruhe, fern den frühen Härten, durchleuchtet hat. Er
ist zugleich der einzige unter den Neueren, der sich einen eigenen
Weg durch den Stoff bahnt, der nicht etwa den Triumphzug der
Symphonien entwickelt, sondern der sich irgendwo am Kleinsten
festbeißt und von hier aus sich zur Tiefe einbohrt, der von den
großen Werken, die die anderen beschreiben, kaum zu sprechen sich
gestattet und der den Diabelli-Variationen, die die anderen über-
gehen, ein Fünftel seines Buches widmet. Wenn diese drei, Halm,
Rolland und Specht, die sonst durch nichts verbunden sind, gemein-
sam aussprechen, daß das Bild Beethovens sich wandelt, so muß
etwas daran sein. Drei bedeutende Arbeiten, ausdrücklich aus Sorge
um ihren Helden geschrieben (denn auch Halm, der zwar das Problem
ursprünglich am gründlichsten aufgerollt hat, bangt nun um die
weitere Rolle Beethovens), verraten, daß etwas geschehen ist. Also
dämmert Beethoven doch?
Ja und nein. Nicht er selbst, nicht sein Werk dämmert. Aber es
dämmert das Bild, das sich das späte 19, Jahrhundert von diesem
*) Siehe Der Kreis, Jahrgang 6, Heft 3. Seite 183 f,
**) Siehe Der Kreis, Jahrgang 7. Heft 2, Seite 115 f.
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darüber, daß Diebold es sagte, sondern darüber, daß etwas Wahres
daran sein könnte. Er entsann sich verwandter Äußerungen in ver-
wandtem Tone und fühlte sich als Einsamer in einer entfremdeten,
neuen Welt, in einer Welt, die augenscheinlich ohne Beethoven zu
leben gewillt war. Und er setzte dieser neuen Welt sein altes Bild
entgegen, das Bildnis Beethovens, wie es seine gläubige Begeisterung
sah und wie er es erhalten wissen wollte. Kaum je in neuerer Zeit
ist eine Musikerbiographie so eindeutig und so bewußt gegen den
Zeitgeschmack (den vermeintlichen) geschrieben worden. Gewiß,
Forkels „Bach“ und Chrysanders „Händel“ sprachen zu einem
Publikum, dem ihre Meister so gut wie unbekannt waren; sie mußten
den Boden bereiten (und haben ihn bereitet). Hier aber ist es um-
gekehrt: nicht um das Anbahnen des Verständnisses handelt es sich,
sondern darum, daß es nicht verloren geht. Und so ist es nicht mit
Spechts Beethoven-Buch allein. Von den vier bedeutenden Beet-
hovenbüchern des letzten Jahrfünfts sind es drei, die der neuen
Problematik ihren Ursprung verdanken: die Beethoven-Bücher von
August Hahn*), von Romain Rolland (von dem bisher erst ein Band**)
vorliegt) und von Richard Specht, Die beiden letzten bezeugen
ausdrücklich, daß sie den Beethoven ihrer Generation gegen den
Beethoven der Gegenwart schützen wollen, dieser kraft der Em-
pörung, jener kraft der Entsagung gegenüber dem fremden Neuen;
und der erste von ihnen, August Halm, ist es ja eigentlich gewesen,
der die Problematik Beethovens am frühesten und am kühnsten
(damals war es eine Kühnheit) bezeichnet und der in dem Werke,
das sein letztes werden sollte, sie noch einmal mit einsichtiger und
abgewogener Ruhe, fern den frühen Härten, durchleuchtet hat. Er
ist zugleich der einzige unter den Neueren, der sich einen eigenen
Weg durch den Stoff bahnt, der nicht etwa den Triumphzug der
Symphonien entwickelt, sondern der sich irgendwo am Kleinsten
festbeißt und von hier aus sich zur Tiefe einbohrt, der von den
großen Werken, die die anderen beschreiben, kaum zu sprechen sich
gestattet und der den Diabelli-Variationen, die die anderen über-
gehen, ein Fünftel seines Buches widmet. Wenn diese drei, Halm,
Rolland und Specht, die sonst durch nichts verbunden sind, gemein-
sam aussprechen, daß das Bild Beethovens sich wandelt, so muß
etwas daran sein. Drei bedeutende Arbeiten, ausdrücklich aus Sorge
um ihren Helden geschrieben (denn auch Halm, der zwar das Problem
ursprünglich am gründlichsten aufgerollt hat, bangt nun um die
weitere Rolle Beethovens), verraten, daß etwas geschehen ist. Also
dämmert Beethoven doch?
Ja und nein. Nicht er selbst, nicht sein Werk dämmert. Aber es
dämmert das Bild, das sich das späte 19, Jahrhundert von diesem
*) Siehe Der Kreis, Jahrgang 6, Heft 3. Seite 183 f,
**) Siehe Der Kreis, Jahrgang 7. Heft 2, Seite 115 f.
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