Das Fragment zeigt einen Kaiser Otto, höchstwahr-
scheinlich Otto II. (973-983), dem die Länder Eu-
ropas huldigen. Meister des Registrum Gregorii,
Trier, am 984 (?). Chantilly, Musee Conde, Ms. 14
bis (heute nur noch 27 x 19,8 cm).
Leben-Christi-Zyklus der Ottonenzeit und wohl
der umfangreichste des Frühmittelalters. Der Eg-
bert-Codex ist jedoch von Trierer Schreibern ge-
schrieben worden, und sieben der Evangelienszenen
hat jener immer noch anonyme Meister des Regist-
rum Gregorii geschaffen, der vor allem in Trier
gewirkt hat. Wie von Hartmut Hoffmann erkannt
worden ist, taucht die Hand dieses begabtesten
Malers der Zeit zuerst auf der Prachturkunde für
die zukünftige Gattin Ottos II., die byzantinische
Prinzessin Theophanu auf (Wolfenbüttel, Nieder-
sächsisches Staatsarchiv, 6 Urk. 11). Der Registrum-
Meister war damit gegen 972 am Hof Ottos I. aktiv,
der sich damals in Italien aufhielt. Egbert war zu
diesem Zeitpunkt noch selbst Kapellan am Hof,
doch er konnte den herausragenden Maler offen-
sichtlich bald nach seiner Berufung nach Trier ho-
len. Dort hat er nicht nur für Trier gearbeitet, son-
dern sicher auch für das Kloster Lorsch, aus dem
ein Sakramentar mit Initialen und einem Kanonbild
von ihm stammt (Chantilly, Musee Conde, Ms. 40).
Im Jahr 983, als Kaiser Otto II. in Italien zu
Tode kam, ließ Egbert gerade in Trier eine Samm-
lung der Briefe Gregors des Großen, ein „Regist-
rum Gregorii" abschreiben und mit Miniaturen
und einem goldenen Einband versehen. Erhalten
haben sicli davon zumindest eine feierliche Incipit-
Seite, eine Zierseite mit einem Widmungsgedicht
und das Bild Papst Gregors des Großen (Trier, StB,
Cod. 171/1226a), nach dem der Maler seinen Not-
namen erhalten hat. Ein Bild Kaiser Ottos II. von
der Hand des Registrum-Meisters (Chantilly, Mu-
see Conde, Ms. 14 bis) gehörte mit hoher Sicherheit
ebenfalls zu diesem Codex; es zeigt den thronenden
Herrscher, dem die Reiche Europas huldigen
(Abb.33). Dass ein Herrscherbild mit einem Bild
des diktierenden Papstes Gregor kombiniert wird,
ist im Frühmittelalter nichts Ungewöhnliches, eine
Variante ist die Verbindung mit dem Bild des Bibel-
übersetzers Hieronymus. Die Botschaft dieser Bil-
derpaare ist klar: Wie Gregor oder Hieronymus ist
der ideale Herrscher eine Quelle der christlichen
Lehre. Er ist es, weil er die Verbreitung und Pflege
der Texte der rechtgläubigen Autoren direkt und
indirekt fördert und weil er ihre Lehren im Land
beschützt und durchsetzt. Obwohl das „Registrum
Gregorii" im Mittelalter vermutlich nirgendwo
sonst eine so prächtige Ausschmückung (und Um-
hüllung!) gefunden hat wie hier, ist es geradezu ein
idealer Ort, um diese Rolle des Herrschers zu ver-
bildlichen: Die Briefe Gregors geben Einblick in
die pastorale wie auch politische Amtsführung die-
ses Papstes und bilden damit Leitlinien für die Bi-
schöfe, die der König seinerseits fördert, beschützt
und beaufsichtigt. Durch die tragischen Umstände
ist allerdings aus diesem Bild eines gelehrten Len-
kers von Kirche und Reich in Chantilly ein Erinne-
rungsbild für einen verstorbenen Gönner gewor-
den. Das Widmungsgedicht des „Registrum" be-
zeugt das, ist es doch eine Totenklage auf den in
Rom bestatteten Kaiser.
Die Frage nach der Porträthaftigkeit von Herr-
scherbildern ist im Frühmittelalter nicht sinnvoll zu
stellen. Sicher konnte man sich auch damals vorstel-
mBuchkunst
• im Spiegel
der Zeiten
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