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den symbolischen Hauptort der Karolingerreiche.
Zu den Angriffen von See her kam die Bedrohung
durch ungarische Reiterhorden, die noch bis zur Mit-
te des 10.Jahrhunderts in das Land einfielen. Auch
als der schrittweise Dynastiewechsel 911-918 von
den fränkischen Karolingern zu den sächsischen Liu-
dolfingern, den späteren Ottonen, erstaunlich glatt
verlaufen war, haben die sehr ernsten Streitigkeiten
innerhalb des liudolfingischen Hauses lange Zeit die
Konsolidierung behindert. Schließlich gelang es dem
seit 936 regierenden König Otto I. nicht nur, die in-
neren Verhältnisse im zukünftigen Deutschland zu
stabilisieren und die Ungarn zu vertreiben, sondern
auch Lothringen und Italien an das Reich zu bin-
den und 962 sogar die Kaiserkrone zu gewinnen.
Die ottonische Kunst wird zwar wie die karo-
lingische nach einer Dynastie benannt, die frühot-
tonische Epoche beginnt aber für die Buch- und
Bildkunst nicht 918, sondern, vor allem bedingt
durch diese historischen Umstände, erst zur Mitte
des 10.Jahrhunderts. Dieser Umstand zeigt, wie
wichtig für die Buchmalerei die Förderung durch
König, Episkopat und Hochadel gewesen ist, bei
denen in den Jahrzehnten davor entweder keine In-
teressen an solchen Dingen oder schlichtweg keine
Ressourcen bestanden. Obwohl manche Klöster
wie Corvey (heute zu Höxter), Fulda, Sankt Gallen
und Reichenau als autonome Orte der Buchherstel-
lung in begrenztem Umfang weiterarbeiten konn-
ten, wurde auch hier der Buchschmuck ab spätes-
tens 900 fast nur noch auf einfachstem Niveau und
mit günstigen Materialien gepflegt. Sehr sporadi-
sche Wiederaufnahmen, insbesondere in Sankt Gal-
len und Corvey, erinnerten immerhin im Ostfrän-
kisch-Deutschen Reich gelegentlich an die großen
karolingischen Traditionen.
Im Westfrankenreich, dem späteren Frankreich,
sollte die Wiederherstellung der Zentralgewalt noch
langsamer vonstattengehen, da viele regionale Adli-
ge ihre Macht bis hin zur faktischen Selbstständig-
keit hatten ausbauen können und die geschwächte
Karolingerdynastie keine konstruktive Rolle mehr
zu spielen vermochte. Ohne eine dauerhafte Förde-
rung durch das Königshaus sind das 10. und 11.Jahr-
hundert keine große Zeit der Buchmalerei und über-
haupt der bildenden Kunst im Westreich gewesen.
Da half es offenbar wenig, dass hier mit den Schu-
len von Chartres und Reims und dem Kloster Fleu-
ry (Saint-Benoit-sur-Loire) intellektuelle Zentren
mit großer Strahlkraft entstanden.
Obwohl im Ostreich wie in karolingischer Zeit
die Könige und Kaiser als Auftraggeber für Buch-

malereien eine große Rolle spielten, scheint es in ot-
tonischer Zeit kein Hofskriptorium mit Buchmalern
gegeben zu haben. Das Netz der klösterlichen Skrip-
torien war nun wohl zu dicht, als dass eine solche
Einrichtung nötig gewesen wäre, und in den Klös-
tern beeilte man sich im Streben nach herrscherlicher
Aufmerksamkeit, den in der zweiten Jahrhundert-
hälfte steigenden Ansprüchen entgegenzukommen.
Daneben arbeitete man im wachsenden Maß auch
wieder für den eigenen Bedarf und in nicht geringem
Umfang für Bischöfe und Prälaten in gelegentlich
weit entfernten Kirchen. Die Bischöfe hatten dabei
insgesamt an Bedeutung gewonnen, weil sie in die
politische Ordnung des Ostreiches noch stärker ein-
gebunden waren als in die des Karolingerreiches.
Man spricht, leicht übertreibend, vom Reichskir-
chensystem: Der König besetzte dabei die Bistümer,
soweit sie nicht im Zugriffsbereich regionaler Fürs-
ten lagen, mit fähigen Klerikern aus seiner eigenen
Hofkapelle. Als Bischöfe hatten diese nun neben
dem Gebetsdienst für König und Reich auch welt-
lich-dienende Funktionen zu erfüllen, etwa dem
wandernden Hof Unterkunft zu geben oder Trup-
pen zu stellen. Man darf allerdings nicht vergessen,
dass auch so ausgesuchte Bischöfe selbstbewusste
Vertreter ihrer eigenen Kirche blieben, die die Gren-
zen ihrer Pflichten genau kannten.
Bischöfe als Wegbereiter
Erzbischof Egbert von Trier war einer der Bischöfe,
die vor ihrem Episkopat eine Zeitlang eine Funk-
tion in der Hofkapelle und darüber hinaus in der
Kanzlei des Königs erfüllt hatten. Es heißt, er sei
davor von Erzbischof Brun von Köln (gest. 965) un-
terrichtet worden, dem Bruder Kaiser Ottos I. Eg-
bert gab als Erzbischof ab 977 bemerkenswert wert-
volle Kunstwerke in Auftrag, die die ottonische
Dynastie und mehr noch die Bedeutung seines Bi-
schofstuhls verherrlichten. Neben den besten Gold-
schmiede- und Emailarbeiten der Zeit hat Egbert
auch Handschriften mit äußerst qualitätsvollen
Buchmalereien herstellen lassen. Dafür hat er zum
Teil Buchmaler von der Klosterinsel Reichenau be-
schäftigt, die für ihn einen Psalter mit den Bildern
der Trierer Bischöfe (Cividale, Museo Archeologico
Nazionale, Cod. CXXXVI), ein Epistolar (Berlin,
SB Preußischer Kulturbesitz, theol. lat. fol. 34) so-
wie die meisten Bilder des berühmten Egbert-Co-
dex (Trier, StB, Cod.24) schufen. Der Egbert-Codex
ist ein Evangelistar, in dem die Evangelienlesungen
des Kirchenjahrs mit immerhin 52 Miniaturen aus
dem Leben Christi versehen sind - der erste große

67 2. Ottonische Buchkunst —
Prachthandschriften
für Herrscher und
Kirchen
 
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