Menschen und der Sündenfall in elf Szenen darge-
stellt, die von oben nach unten die Bildzeilen - man
spricht von Registern - füllen. Zudem begleitet ein
erklärender Text auf den purpurfarbenen Streifen
das Geschehen.
Solche Lesebilder müssen dabei nicht einmal
immer erzählend sein, sie können auch die zweidi-
mensionale Erstreckung des Bildes nutzen, um In-
formationen mehrfach zu vernetzen, die die Schrift
nur in linearer Abfolge bringen kann. Das gilt etwa
für die wissenschaftliche Illustration, so das Frag-
ment einer karolingischen astronomischen Hand-
schrift, das in den Buchdeckel einer Darmstädter
Handschrift eingeklebt wurde (vgl. Abb. 7). Hier
sind es die Tierkreiszeichen, deren Beziehungen zur
Sonne schematisch dargestellt werden. Im Boethi-
us-Codex Hs2282 (vgl. Abb. 9) hält die Dialektik
ein pflanzlich gestaltetes Schema mit logischen Be-
griffen in der Hand und ist dabei gleichzeitig ein
allegorisches Bild für die Instrumente und die Wür-
de der Wissenschaft.
Als in der Folge der Kreuzzüge und vor allem
der Eroberung von Byzanz durch die Lateiner 1204
das wirkmächtige porträtartige Heiligenbild, die
„Ikone", im Westen weithin Schule machte, hat das
auch für die Malereien in den Büchern Auswirkun-
gen gehabt. In einem anderthalb Jahrhunderte dau-
ernden Prozess gelangte nun auf beinahe jeden Altar
ein Tafelbild (oder sogar eine Statue, vgl. Abb.4), das
mit dem Zelebranten und den Gläubigen eine Art
Zwiesprache hielt oder aber selbst in der Art von
Lesebildern aus der Erlösungsgeschichte erzählte.
Die Buchmalerei nahm die Kommunikationsform
der Ikone sogar hin und wieder auf (vgl. Abb.2),
und zwar schon seit den Anfängen des Mittelalters
(vgl. Abb.28); aber im Gegensatz zum großforma-
tigen Tafelbild war das Buch nicht der angemessene
Platz für solche Bilder. Zum Text und auf die Seiten,
die man umblättern konnte, passte eher das erzäh-
lende oder veranschaulichende Bild. Spätestens ab
dem 13.Jahrhundert musste sich also die Buchma-
lerei diese Stellung als erstes bildliches Leitmedium
mit dem anders strukturierten Altar- und Andachts-
bild teilen.
Deswegen ging ihre Bedeutung allerdings nicht
zurück, denn gleichzeitig dehnte sicli der Kreis der
Leser und Buchbesitzer auf die weltlichen Eliten
aus. Mit dem illustrierten Buch erhielten Fürsten
und wohlhabende Bürger die Möglichkeit zur Re-
präsentation von Reichtum und Macht. Heute mag
es etwas widersprüchlich wirken, dass auch bei den
Luxuswerken die religiösen Bücher im Vorder-
grund standen, den Zeitgenossen schien es aber
wohl selbstverständlich, außer nach Statusrepräsen-
tation nach einem privaten Zugang zum Heilswis-
sen zu streben.
2. Entstehungsumfeld
und Auftraggeber
In der langen Epoche des Mittelalters sind selbst-
verständlicli die Rahmenbedingungen der Buchher-
stellungen nicht immer die gleichen geblieben. Um
eine grobe Unterteilung zu geben, sind das frühe
und hohe Mittelalter vom Spätmittelalter abzugren-
zen, wobei man in diesem Fall als ungefähre Gren-
ze die Zeit um 1200 nehmen kann.
Im frühen und hohen Mittelalter sind Bücher
überwiegend in den Klöstern geschrieben worden.
Lohnschreiber, ob Weltkleriker, Mönche oder Lai-
en hat es vermutlich immer wieder gegeben, doch
sind sie anscheinend die meiste Zeit nur als zusätz-
liche Kräfte oder wegen ihrer besonderen Fähigkeit
in den Skriptoriumsbetrieb integriert worden. Dass
sich das Kloster am Übergang von der Antike zum
Mittelalter als der ideale Ort erwiesen hat, um Bü-
cher zu kopieren und in Bibliotheken zu bewahren,
lag allerdings nicht in der Absicht der frühen Mön-
che und Eremiten begründet. Entscheidend war
vielmehr der Umstand, dass in der Völkerwande-
rungszeit die antike Welt um die Klöster herum und
mit ihr der Buchhandel und die Bibliotheken, die
Schulen und die Bildungsideale zugrunde gegangen
waren. Selbst als die Klosterregel des Benedikt von
Nursia (ca. 480-560) verfasst wurde, waren Lesen
und Schreiben noch so weit verbreitet und Bücher
noch so leicht verfügbar, dass in der Benediktregel
weder eine Schule noch die Verpflichtung zum Bü-
cherkopieren vorkommt: Beides war gar nicht nö-
tig. Gleichzeitig setzte das Klosterleben jedoch
Mönche voraus, die zumindest den Psalter lesen
konnten, aber noch besser die heiligen Schriften
studieren wollten. Zudem waren die Klöster per-
sonell stabile und per se autarke oder zumindest
beinahe autarke Einrichtungen. Cassiodor (ca.
485- 580) hat dies verstanden und nicht nur in sei-
nem Kloster Vivarium eine Bibliothek und ein
Skriptorium eingerichtet, sondern auch mit den
„Institutiones divinarum et saecularium litterarum"
ein umfassendes Bildungsprogramm hinterlassen.
Die mönchische Buchtradition ist aber mögli-
cherweise erst dann zur Hochblüte gekommen, als
die katholische Kirche und die Klöster sich in Regi-
IBuch und
14
• Bild im
Mittelalter
stellt, die von oben nach unten die Bildzeilen - man
spricht von Registern - füllen. Zudem begleitet ein
erklärender Text auf den purpurfarbenen Streifen
das Geschehen.
Solche Lesebilder müssen dabei nicht einmal
immer erzählend sein, sie können auch die zweidi-
mensionale Erstreckung des Bildes nutzen, um In-
formationen mehrfach zu vernetzen, die die Schrift
nur in linearer Abfolge bringen kann. Das gilt etwa
für die wissenschaftliche Illustration, so das Frag-
ment einer karolingischen astronomischen Hand-
schrift, das in den Buchdeckel einer Darmstädter
Handschrift eingeklebt wurde (vgl. Abb. 7). Hier
sind es die Tierkreiszeichen, deren Beziehungen zur
Sonne schematisch dargestellt werden. Im Boethi-
us-Codex Hs2282 (vgl. Abb. 9) hält die Dialektik
ein pflanzlich gestaltetes Schema mit logischen Be-
griffen in der Hand und ist dabei gleichzeitig ein
allegorisches Bild für die Instrumente und die Wür-
de der Wissenschaft.
Als in der Folge der Kreuzzüge und vor allem
der Eroberung von Byzanz durch die Lateiner 1204
das wirkmächtige porträtartige Heiligenbild, die
„Ikone", im Westen weithin Schule machte, hat das
auch für die Malereien in den Büchern Auswirkun-
gen gehabt. In einem anderthalb Jahrhunderte dau-
ernden Prozess gelangte nun auf beinahe jeden Altar
ein Tafelbild (oder sogar eine Statue, vgl. Abb.4), das
mit dem Zelebranten und den Gläubigen eine Art
Zwiesprache hielt oder aber selbst in der Art von
Lesebildern aus der Erlösungsgeschichte erzählte.
Die Buchmalerei nahm die Kommunikationsform
der Ikone sogar hin und wieder auf (vgl. Abb.2),
und zwar schon seit den Anfängen des Mittelalters
(vgl. Abb.28); aber im Gegensatz zum großforma-
tigen Tafelbild war das Buch nicht der angemessene
Platz für solche Bilder. Zum Text und auf die Seiten,
die man umblättern konnte, passte eher das erzäh-
lende oder veranschaulichende Bild. Spätestens ab
dem 13.Jahrhundert musste sich also die Buchma-
lerei diese Stellung als erstes bildliches Leitmedium
mit dem anders strukturierten Altar- und Andachts-
bild teilen.
Deswegen ging ihre Bedeutung allerdings nicht
zurück, denn gleichzeitig dehnte sicli der Kreis der
Leser und Buchbesitzer auf die weltlichen Eliten
aus. Mit dem illustrierten Buch erhielten Fürsten
und wohlhabende Bürger die Möglichkeit zur Re-
präsentation von Reichtum und Macht. Heute mag
es etwas widersprüchlich wirken, dass auch bei den
Luxuswerken die religiösen Bücher im Vorder-
grund standen, den Zeitgenossen schien es aber
wohl selbstverständlich, außer nach Statusrepräsen-
tation nach einem privaten Zugang zum Heilswis-
sen zu streben.
2. Entstehungsumfeld
und Auftraggeber
In der langen Epoche des Mittelalters sind selbst-
verständlicli die Rahmenbedingungen der Buchher-
stellungen nicht immer die gleichen geblieben. Um
eine grobe Unterteilung zu geben, sind das frühe
und hohe Mittelalter vom Spätmittelalter abzugren-
zen, wobei man in diesem Fall als ungefähre Gren-
ze die Zeit um 1200 nehmen kann.
Im frühen und hohen Mittelalter sind Bücher
überwiegend in den Klöstern geschrieben worden.
Lohnschreiber, ob Weltkleriker, Mönche oder Lai-
en hat es vermutlich immer wieder gegeben, doch
sind sie anscheinend die meiste Zeit nur als zusätz-
liche Kräfte oder wegen ihrer besonderen Fähigkeit
in den Skriptoriumsbetrieb integriert worden. Dass
sich das Kloster am Übergang von der Antike zum
Mittelalter als der ideale Ort erwiesen hat, um Bü-
cher zu kopieren und in Bibliotheken zu bewahren,
lag allerdings nicht in der Absicht der frühen Mön-
che und Eremiten begründet. Entscheidend war
vielmehr der Umstand, dass in der Völkerwande-
rungszeit die antike Welt um die Klöster herum und
mit ihr der Buchhandel und die Bibliotheken, die
Schulen und die Bildungsideale zugrunde gegangen
waren. Selbst als die Klosterregel des Benedikt von
Nursia (ca. 480-560) verfasst wurde, waren Lesen
und Schreiben noch so weit verbreitet und Bücher
noch so leicht verfügbar, dass in der Benediktregel
weder eine Schule noch die Verpflichtung zum Bü-
cherkopieren vorkommt: Beides war gar nicht nö-
tig. Gleichzeitig setzte das Klosterleben jedoch
Mönche voraus, die zumindest den Psalter lesen
konnten, aber noch besser die heiligen Schriften
studieren wollten. Zudem waren die Klöster per-
sonell stabile und per se autarke oder zumindest
beinahe autarke Einrichtungen. Cassiodor (ca.
485- 580) hat dies verstanden und nicht nur in sei-
nem Kloster Vivarium eine Bibliothek und ein
Skriptorium eingerichtet, sondern auch mit den
„Institutiones divinarum et saecularium litterarum"
ein umfassendes Bildungsprogramm hinterlassen.
Die mönchische Buchtradition ist aber mögli-
cherweise erst dann zur Hochblüte gekommen, als
die katholische Kirche und die Klöster sich in Regi-
IBuch und
14
• Bild im
Mittelalter