Sammlung des Prinzen zu Wied gibt ein anschauliches Bild dieser Kunst. Das
Tier ist nicht in so naturhafter Art erschaut und gestaltet wie bei den Paläo-
lithikern und Buschmännern, aber im Vergleich zu den stark stilisierten Schöp-
fungen der seßhaften Indianer ist es durchaus sensorisch. Der große, mächtige
Körper, die Hörner und die kurzen, dünnen Beine beweisen auch hier genaue
Beobachtung. Sehr interessant ist die Darstellung der Hufe. Es sind in Wirk-
lichkeit Fußspuren, die den Prärieindianer am meisten beeindruckten. In der
Seitenansicht, in der das ganze Tier dargestellt ist, würden die Hufe anders
aussehen, Koch-Grünberg nennt diese Art, Körperteile darzustellen, die nicht
gesehen werden können, die der Erinnerung nach aber vorhanden sind, „Röntgen-
aufnahme“. Die Farbe, in der das Tier wiedergegeben ist, ist braun und gelb-
lich, und es entspricht diesem Nomadentum, das doch schon viele Züge der
seßhaften Art mitträgt, daß dieFarben hart gegeneinanderstehen. Eine Trennungs-
linie quer über den Körper teilt die beiden Farben ab. Ebenso haben auch hier
wieder die Umrisse die Kraft, das Lineare beherrscht die Form, auf ihm ruht
die Gestaltung des Gegenstandes. Es entspricht ganz der ökonomisch und geistig
höher entwickelten Form, wenn hier ebenso wie im Neolithikum, bei den
Arktikern und später bei den Buschmännern Gruppen vonTieren in der Malerei
auftreten.
Aus dieser Art der Darstellung mußte sich ebenso wie bei den Arktikern
eine Art Bilderschrift entwickeln. Die Dakota geben in ihren „Wintercounts“
fortlaufende Aufzeichnungen, in denen die Ereignisse jedes Jahres durch eine
Reihe von Bildern wiedergegeben werden.
Neben diesen sensorischen Darstellungen haben die Prärieindianer in merk-
würdigem Gegensatz dazu rein geometrische Formen in den auf gemalten und
aufgestickten Verzierungen ihrer Parfleches, der Ledertaschen und Mokassins.
Das Ornament hat so den geometrischen Charakter aus der imaginativen Kunst
der symbiotischen Völker übernommen — das Ornament ist immer das Ein-
fallstor der neuen Kunst —, der Einfluß war wohl so groß, daß er die Rand-
teile der Kunst gleichsam verändern konnte, den Grundcharakter aber, das
eigentlich Bildhafte, vermochte er nicht zu wandeln, das freie, unruhige,
parasitische Leben war zu stark, als daß die naturhafte Kunst hätte verdrängt
werden können.
Ganz ähnlich so liegen die Dinge in Südamerika. Die meisten parasitisch
lebenden Stämme haben hier gar kein Kunstbedürfnis. Die Feuerländer, zu
denen die Yahgan, die Alikuluf und die Tschono gehören, haben weder Klei-
dung noch Hütten oder Häuser, sie haben auch keine Kunst. Die Reiterstämme
100
Tier ist nicht in so naturhafter Art erschaut und gestaltet wie bei den Paläo-
lithikern und Buschmännern, aber im Vergleich zu den stark stilisierten Schöp-
fungen der seßhaften Indianer ist es durchaus sensorisch. Der große, mächtige
Körper, die Hörner und die kurzen, dünnen Beine beweisen auch hier genaue
Beobachtung. Sehr interessant ist die Darstellung der Hufe. Es sind in Wirk-
lichkeit Fußspuren, die den Prärieindianer am meisten beeindruckten. In der
Seitenansicht, in der das ganze Tier dargestellt ist, würden die Hufe anders
aussehen, Koch-Grünberg nennt diese Art, Körperteile darzustellen, die nicht
gesehen werden können, die der Erinnerung nach aber vorhanden sind, „Röntgen-
aufnahme“. Die Farbe, in der das Tier wiedergegeben ist, ist braun und gelb-
lich, und es entspricht diesem Nomadentum, das doch schon viele Züge der
seßhaften Art mitträgt, daß dieFarben hart gegeneinanderstehen. Eine Trennungs-
linie quer über den Körper teilt die beiden Farben ab. Ebenso haben auch hier
wieder die Umrisse die Kraft, das Lineare beherrscht die Form, auf ihm ruht
die Gestaltung des Gegenstandes. Es entspricht ganz der ökonomisch und geistig
höher entwickelten Form, wenn hier ebenso wie im Neolithikum, bei den
Arktikern und später bei den Buschmännern Gruppen vonTieren in der Malerei
auftreten.
Aus dieser Art der Darstellung mußte sich ebenso wie bei den Arktikern
eine Art Bilderschrift entwickeln. Die Dakota geben in ihren „Wintercounts“
fortlaufende Aufzeichnungen, in denen die Ereignisse jedes Jahres durch eine
Reihe von Bildern wiedergegeben werden.
Neben diesen sensorischen Darstellungen haben die Prärieindianer in merk-
würdigem Gegensatz dazu rein geometrische Formen in den auf gemalten und
aufgestickten Verzierungen ihrer Parfleches, der Ledertaschen und Mokassins.
Das Ornament hat so den geometrischen Charakter aus der imaginativen Kunst
der symbiotischen Völker übernommen — das Ornament ist immer das Ein-
fallstor der neuen Kunst —, der Einfluß war wohl so groß, daß er die Rand-
teile der Kunst gleichsam verändern konnte, den Grundcharakter aber, das
eigentlich Bildhafte, vermochte er nicht zu wandeln, das freie, unruhige,
parasitische Leben war zu stark, als daß die naturhafte Kunst hätte verdrängt
werden können.
Ganz ähnlich so liegen die Dinge in Südamerika. Die meisten parasitisch
lebenden Stämme haben hier gar kein Kunstbedürfnis. Die Feuerländer, zu
denen die Yahgan, die Alikuluf und die Tschono gehören, haben weder Klei-
dung noch Hütten oder Häuser, sie haben auch keine Kunst. Die Reiterstämme
100