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XIII.

DIE KUNST VON BENIN
Eines der merkwürdigsten Phänomene in der Geschichte der außereuropäi-
schen Kunst sind die Kunstwerke von Benin. Man hat so viel über sie ge-
schrieben, so viel über sie gesprochen, und noch immer ist ihr Geheimnis
nicht geklärt, noch immer geben sie Rätsel über Rätsel auf. Inmitten Afrikas,
unter einfachen, primitiven ackerbauenden Negerstämmen plötzlich diese hoch-
entwickelte, diese wunderbare, seltsame Kunst, nicht Holzschnitzerei, nicht
Malerei wie bei den Buschmännern, sondern Bronzeguß, vollendeter, bis ins
letzte durchgebildeter Guß von großen plastischen, überraschend sensorischen
Kunstwerken. Bis zum Jahre 1897 wußte man nichts von ihrer Existenz, bei
der Eroberung von Benin durch die Engländer kam die Kunst zutage und setzte
die Welt in das größte Erstaunen. Seit fast 100 Jahren hatte kein Europäer
Benin gesehen außer dem kühnen Sir Richard Burton. Man sprach davon, daß
der Weiße, der das Antlitz des Königs von Benin sähe, sterben müsse. Man
wußte aus Berichten des sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts, daß große
militärisch organisierte Staaten in Oberguinea beständen, aber man glaubte den
alten Erzählungen nicht mehr, man kannte sie wohl auch kaum, man vergaß
das Land, und weiße Flecke auf den Karten von Afrika deuteten an, daß hier
eine terra incognita sei. Die Neger selbst hatten das Land verschlossen. Die
europäische Kultur hatte auf sie wie ein zersetzendes Gift gewirkt. Sie hatten
die große Gefahr erkannt, die ihre Staaten allmählich zerstörte, ihre Frauen
raubte und die Männer in die Sklaverei nach Amerika entführte. Das große
mächtige Benin hatte sich am festesten abgeschlossen, und vielleicht wäre es
noch lange unbekannt geblieben, wenn nicht 1897 der englische Regierungs-
kommissar nahe an der Grenze von Benin niedergemetzelt worden wäre. Nach
dem britischen Weißbuch, Africa 6, 1897, war der Regierungskommissar und
stellvertretende Generalkonsul für das Niger-Coast-Protectorate, Mr. Phillips,
mit sechs britischen Beamten, zwei Kaufleuten, zwei Dolmetschern, einem
farbigen Beamten, elf Dienern und zweihundertfünfzehn Trägern von Sapele
aufgebrochen, um dem König von Benin einen halbamtlichen Besuch zu machen.
Der König hatte zwar mehrfach gegen den Besuch protestiert, aber Mr. Phillips
bestand darauf. Kurz vor dem Aufbruch traf noch einmal eine Nachricht des
Königs ein, er mache jetzt die Totenzeremonien für seinen Vater und könne
Mr. Phillips nicht empfangen. Ein den Engländern befreundeter Häuptling, Dore,

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