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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Editor]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 54.1903-1904

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Berlepsch-Valendas, Hans E. von: Volkskunst, Volksbildung, Volks-Museen, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7291#0079
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Volkskunst, volksbilduug, Volksmuseen.

und geistlose Uopieren von Vorlagen der niedrigsten
Sorte, wie es z. 23. noch an deutschen Gymnasien,
sogar an Aunstgewerbeschulen stark im Schwünge
ist, kennt man an den Schulen drüben überhaupt
nicht. Von welch eminentem Ginflusse dies ist, wird
man da, wo bei uns heute noch ganz veraltete
Unterrichtsmaximen zu Recht bestehen, eines Tags
in sehr fühlbarer Weise zu spüren bekommen. Der
Gmanzipationsprozeß Nordamerikas von europäischen:
Wesen wird dadurch nur beschleunigt, und man wird
einen Maßstab für das Unterlassene dann anlegen,
wenn es zu spät ist, um Verlorenes einzuholen.

Goethe, darüber befragt, wieso er seine Aus-
drucksweise künstlerisch geformt habe, antwortete:
„Zch habe die Dinge auf mich wirken lassen."
Darin beruht das große Geheimnis des Grkennens,
und dennoch rückt man ihm nur langsam und zögernd
näher! Ach — es ginge ja soviel unbezahlbare
'Kathederweisheit verloren, wenn man die Menschen
daran gewöhnen wollte, immer die Dinge eher auf
sich wirken zu lassen als die besten Abhandlungen
und Vorträge, freilich muß man sehen gelernt
haben. Mit diesem Problem befassen sich unsere
Lehranstalten vorerst nur in recht platonischer Weise
oder auch — gar nicht.

Selbstverständlicherweise ist das Vortragswesen,
das mit den von morgens bis abends unentgeltlich
geöffneten, im Winter natürlich auch wohl durch-
wärmten Museen im engsten Zusammenhangs steht,
hoch entwickelt. Beispiele: Das Museum für Natur-
geschichte in New pork ist in \2 Abteilungen geteilt.
Die erste und oberste ist bezeichnenderweise jene für
öffentlichen Unterricht. Der Leiter dieser Abteilung
verfügt zu jeder Zeit über zirka q-00 Vorträge über 200
verschiedene Themata. Zn: Zahre ss>02 wurden unter
ausgiebigster Benutzung der Sammlungen vor 27 000
Personen Y0 Vorträge gehalten. Das Znstitut für
Künste und Wissenschaften in Brooklyn veranstaltet
jährlich zirka H000 Meetings mit Vorträgen, Vor-
führungen und Unterricht für über 250000 Personen.
Die wissenschaftlichen Angelegenheiten der Anstalt
werden dadurch in keiner Weise berührt, da deren
Abwickelung durch ganz andere Beamte bewerk-
stelligt wird. k)and in ksand damit gehen die Publi-
kationen der Museen; sic verfolgen genau das vor-
gezeichnete Ziel und suchen immer in einer Art und
Meise zu belehren, die allgemein verständlich ist und die
Erkenntnis der umgebenden Welt zu fördern sucht.
Die beigegebenen Abbildungen werden in vorzüglicher
Weise hergestellt, alles minderwertige Zllustrations
material vermieden und so die Leute ganz von selbst
auf ein Niveau geführt, demgegenüber Minder-
wertiges nicht aufzutreten vermag. Der Preis dieser

Publikationen ist außerordentlich niedrig, kurzum es
geschieht alles, um der Allgemeinheit Gebiete zu-
gänglich zu machen, die den Menschen ganz von
selbst wegziehen vom Tauinel des gemeinen Ver-
gnügens.

Für England hat John Ruskin mit dem in
Meersbrookpark bei Sheffield errichteten „Museum
für die Bildung des Volkes" einen Typus bester
Art geschaffen. Er vereinigte in demselben künst-
lerische Arbeiten hervorragender Art mit Gebilden
der Natur und sucht durch beides zu wirken, in
erster Linie auf die Handwerker, dann aber auch
durch die enge Verbindung mit den Schulen der
Stadt. Den Elementarunterricht, wie er seitens der
amerikanischen Museen gepflegt wird, schloß er
nicht mit in seine Bestrebungen ein, vielmehr setzte
er für die Besucher und Benutzer der äußerst vielseitigen
Sammlungen schon eine gewisse Vorschulung in den
grundlegenden Fächern voraus. Entstanden ist das
Ganze in der Hauptsache aus den Materialien, die
Ruskin selbst in einer langen Reihe von Zähren
zusammengebracht hat, weiter aus den Mitteln der
von ihm begründeten »Ouilcl of St. George«, die
sich das Ziel gesteckt hat, mit allen in ihrem Ver-
mögen stehenden Nutteln die Lage der arbeitenden
Klaffe zu verbessern, Leben und Lehren zu befördern,
wie sie sich für England als zweckdienlich erwiesen.
Ruskin sagt von den in einem solchen Museum
unterzubringenden Gegenständen, daß sie „in der
Ausführung wie im Entwurf Sorgfalt und Geschick-
lichkeit und eine hohe Lebens- wie Gemütsstimmung
aufweisen sollen. Wenn wir Zeichner heranbilden
wollen, die diesen Namen verdienen, so müssen wir
sie init den besten und auserlesensten Kunstwerken,
die zuin Studiuiii erworben werde:: können, umgeben
und alles, was voi: mittelmäßiger und dürftiger
Art ist, eiüfernen. Die Sammlungen brauchen nicht
notwendigerweise sehr umfangreich zu sein, aber sie
dürfen nur das allerbeste eiithalten. Mancher Stu-
dierende der Neuzeit hat unter den: ungünstigen
Umstande zu leiden, daß ihn in Galerien :u:d
Museen eine Masse von Gegenständen verschiedeiister
Art umgeben. Die Betrachtung von Kunstgegen-
ständen ohne Verständnis erschöpft bloß seine Fähig-
keiten ::i:d unterjocht seine:: Verstand. Sein Geist
wird verwirrt durch die Znkonsequenzen der ver-
schiedene:: Vorzüge und durch seine eigene Vorliebe
für das Unschöne in Werken zweite:: und dritten
Ranges." Die Säle enthalten Gegenstände der
Naturwissenschaft, der Architektur, des Zeichnens,
Malens, Gravierens und Handschriften, wobei die
Gegenstände in der Reihenfolge so angeordnet sind,
daß sie einen Begriff der Entwicklung geben. Unter

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