Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 58.1907-1908

DOI Artikel:
Gmelin, Ludwig: Beschauliches und Unerbauliches aus Architektur und Kunstgewerbe
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.9043#0034
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Richard Berndl's Neubau des Ejotels „Union" in München.

wenn es ihn drängt, einmal
die kritische Sonde einerseits
an gewisse Erscheinungen
dieser neuen Kunst selbst,
anderseits aber und vor allem
an die oft sehr unerfreu-
liche Literatur darüber anzu-
legen".

Es ist offenkundig eine
'Kampfschrift gegen zahlreiche
Auswüchse mancher Ergeb-
nisse moderner Sachkunst —

Architektur und Kunstgewerbe
— und deren Beurteilung
und Bewertung in der Lite-
ratur; aber auf welchem
Standpunkt man auch stehe,
es wird jeder die Broschüre
mit Vorteil lesen und sich
durch sie zum Nachdenken
über allerlei „Unerbauliches"
angeregt fühlen. Die Bro-
schüre ist namentlich solchen
zu empfehlen, die von der
Entwickelung der Architektur
weniger Kenntnis haben und
grundsätzlich die Verwendung
älterer formen von sich wei-
sen, die nicht wissen, daß
sich die Baukünstler allezeit
des Formenschatzes ihrer Vor-
läufer bedient haben, — am
augenfälligsten in der Re-
naissancezeit —■ und die in
jeglicher Anlehnung an alte
Vorbilder ein Verbrechen
gegen die Selbständigkeit un-
serer Zeit erblicken, während
doch nur die sinn- und ge-
schmacklose, protzige Art der
Verwendung so widerlich

wirkt. „-es gibt in

der Tat nichts, was uns ge-
wisse Erzeugnisse der letzten
Jahrzehnte und oft ganze
Straßenbilder so ungenieß-
bar erscheinen läßt, als die
Häufung von Säulen, Ge-
simsen, Ornamenten und
allen möglichen sonstigen
formen." Daß man aber alles, was sich alter
Formen bediente, mit dem Vorwurf der Imitation
brandmarken zu dürfen glaubt, ist „darauf zurück-

zuführen, daß man die Ar-
chitektur ausschließlich
nach ein paar Säulen-
ordnungen, Profilen und
Ornamenten beurteilt
und nicht daran denkt,
daß damit die Aufgabe
des Architekten doch nicht
erschöpft ist und er ganz
unwillkürlich und unbe-
wußt, ja vielleicht gegen
seinen Willen einem mo-
dernen Bauwerk immer
wieder doch einen Tha-
rakter geben wird, der
es als ein Werk seiner
Zeit kennzeichnen und
von früheren unterschei-
den wird/")

Alit gutem Grunde
widerlegt der Verfasser das
Schlagwort, als ob aus der
Verschiedenheit unserer An-
forderungen mit denen der
Vorzeit ein völliges Bei-
seiteschieben der älteren Ar-
chitekturformen sich mit Not-
wendigkeit ergeben müsse,
während doch „a lle Grund-
elemente der Baukunst,
— und es find deren so
wenige, daß man sie fast
an den Fingern herzäh-
len kann, — genau die-
selben sind und heute
genau demselben Zwecke
zu dienen haben, wie das
schon vor Jahrzehn-
ten, Jahrhunderten und
Jahrtausenden der Fall
war." Am ja nicht in den
Verdacht des Zmitierens zu
geraten, verzichtet man heut-
zutage vielfach auf künst-
lerischen Ausdruck und be-
schränkt sich auf das soge-
nannte Sachliche, also das
rein Technische und Kon-
struktive, und meint, man
hätte „einen neuen Stil ge-
schaffen". — Die Forderung des Sachlichen hat man

') Was von den zitierten Worten gesperrt ist, ist es auch
im Driginal.

so. Lüster im Frühstückszimmer (s. Abb. 8).
Ausführung von Stein ick en & Lohr,
München. (1/12 d. wirkt. Größe.)


 
Annotationen