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Die Kunst-Halle — 1.1895/​1896

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Nr. 17
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Feld, Otto: Bei Boldini
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https://doi.org/10.11588/diglit.62512#0298
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258

Die Kunst-Halle. g>-o

Nr. f?

sehnsüchtiges Verlangen mit immer neuen Sensationen
immer neue Erregungen wachzurufen. Was ist diesen
Seelen fremd?! — In brünstiger Andacht erbeben sie
in der mystischen Dämmerung der Kirche, mit fliegen-
dem Athem folgen sie dein phantastischen Gedanken-
flug modernster Selbstsuchts-Apostel, umgeben von
raffinirtester Eleganz weckt ihnen die stille Reinheit
einer einfältig-keuschen Kunst ein krankhaftes Ver-
langen nach Einfachheit. Wagner begeistert sie, Mau-
passant bewundern sie, Botticelli entlockt ihnen Thränen
und dam: — fahren sie zu ihrer Schneiderin zu stunden-
langer Berathung über die Toilette zum Kramt prix
oder in eine „interessante" Gerichtsverhandlung. —
Und mit all' dem und trotz all' dem sind diese schönen,
eleganten Pariserinnen von einen: verführerischen Reiz,
den: künstlerisch empfindende Sinne sich nicht zu ent-
zieheu vermögen. Sie lächeln so süß, wenn sie den
Fuß auf den Nacken des besiegten Siegers setzen; es
träumt sich so gut von großen Thaten und von
Schönheit und Neichthum und Glück, wenn den
Willenlosen ein weicher Arn: umschlingt! Dämone,
die wir hassen müßten und die wir doch lieben, wie
man nur liebt die „Teufelinnen"! —
So fand ich von einem freundlichen Zufall zu
guter Stunde geleitet in der Werkstätte Boldini's eine
jener anmuthigen verführerisch-schönen Frauen wie sie
der Künstler in seinen Bildern uns schildert. Was
da ringsum :n den Bildern auf den Staffeleien, die
den großen Raun: füllen, lebt, was der Meister in
seinen Bildnissen so oft uns vorgeführt, hier be-
gegnete ich ihn: in der Wirklichkeit und im Ver-
gleichen mit dem lebendigen Vorbild war es nur
vergönnt, das geistreiche Schaffen des großen Por-
trätisten, der ein so unvergleichlicher Sittenschilderer,
ein so feiner Menschenkenner ist, einmal so recht von
Grund aus würdigen zu können.
Gewißlich muß, wer den Künstler recht verstehen
will, in des Künstlers Lande gehen, und wer die
ganze Kraft eines Porträtmalers abschätzen will, der
muß vertraut sein mit den: Geist jener Welt, in der
die Modelle des Meisters leben. Wer nie in Paris
gelebt, nie jene Kreise kennen gelernt, denen die Ori-
ginale der Boldiinschen Porträts entstammen, der
wird dem Werke des Meisters wohl kann: gerecht
werden können, kaum nachzuempfinden im Stande
sein, wie treu der Geist jenes anmuthigen, ver-
führerischen, nervösen Milieus in jenen Bildern lebendig
wird, die mit so vollendeter, künstlerischer Geschicklich-
keit uns diese schlanken Frauengestalten zeigen. —
„Sehen Sie selbst," sagte nur der Künstler, als
die schöne Frau nach einem köstlichen Plauderstünd-
chen sich entfernt hatte, in das die durch mich unter,
brochene Sitzung mit liebenswürdigster Bereitwillig-
keit gewandelt worden war, „sehen Sie selbst, wie
Unrecht es ist, wem: man draußen, wo man unsere
Frauen nicht kennt, manchmal nur vorwirft, ich über-
treibe, ich schmeichle! — Wie oft bin ich schon ge-

fragt worden, giebt es wirklich Frauen von dieser
Lebhaftigkeit und Anmuth der Bewegungen, mit solchen
Taillen, wie diesem eleganten Wuchs. Man kennt
die Pariserinnen nicht, die Frauen, die ich zumeist zu
malen habe, man kennt diese raffinirte Eleganz, diese
feinen nervösen Köpfchen, diese geistreichen Hände,
den ganzen eigenartigen Reiz in der Erscheinung
dieser Frauen nicht. Welche subtile Seelen?! Wie
schwer ist es in den Grenzen, die das Porträt uns
nun doch einmal steckt, das Alles auszudrücken, was
man da zu sagen hätte. Könnte man wenigstens
vor Beginn der Arbeit die zu malenden so ausgiebig
studiren, wie man es gern möchte. Jawohl, ich
kenne die Welt und die Menschei:, die ich zu schildern
versuche, genau, ich studire und beobachte sie seit
langen Jahren nun schon. Und doch, jede neue Er-
scheinung ist wieder ein neues Näthsel! Nun prüft
und wägt man freilich sorgsam, ehe die Arbeit be-
ginnt. In scheinbar zwangloser Plauderei suche ich
zu ergründen, was dort drinnen in dem kapriziösen
Köpfchen hinter der weißen Stirn stecken mag, ich
suche diese eine einzige charakteristische Haltung und
Gebehrde zu finden, die es für jeden Einzelnen giebt.
Aber die Menschen, mit denen ich es zu thun habe,
sind gewöhnt, von ihrem Innenleben wenig nach außen
zu verrathen. So wird man oft erst während der
Sitzung so eigentlich recht vertraut. Ein leicht hin-
geworfenes Wort, eine unbewachte Gebehrde verräth
dann mehr, als stundenlange Beobachtungen zu er-
gründen vermochten, eine zufällige Haltung erscheint
noch charakteristischer, noch reizvoller, als alle, die
man bisher beobachtet. Dann hilft's eben nichts,
dann fange ich einfach noch einmal von vorn an." —
Schaut man sich in dem Atelier des Meisters
um, dann sieht man ringsum an den Wänden und
auf den Staffeleien die Zeugnisse des Fleißes, mit
dem der Maler studirt. Es wäre gar reizvoll, ein
wenig davon zu berichten, aber ich habe versprechen
müssen, nichts von dem zu erzählen, was ich da der
Vollendung habe heranreifen sehen in dem schönen
Raum, der dem Künstler als Studio dient. —
Eine mächtige Halle, in die das Licht durch ein
breites Fenster hineinfluthet, füllt das Atelier fast den
ganzen Oberstock der zierlichen Villa, die der Künstler
am Boulevard Berthier bewohnt. Das Erdgeschoß des
Hauses enthält die Wohnräume des Junggesellen.
Das erste Stockwerk ist der Arbeit bestimmt. Außer
den Bildern und Studien ringsum bilden ein paar
Büsten und vor allem die schönen Möbel, die wir
auf den Bildern dieses Künstlers so oft wieder finden,
in geschmackvoller Zufälligkeit angeordnet, den ein-
zigen Schmuck des Ateliers. Ein herrlicher Gobelin
schließt es zum Theil gegen einen etwas kleineren
Nebenraum ab, den, durch zartfarbige Seiden-Gar-
dinen abgeblendet, ein gedämpftes Licht füllt. Nichts
von den: Raritätenplunder ringsum, mit den: auch
hier gar manche der Künstler noch ihr Studio
 
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