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Die Kunst-Halle — 6.1900/​1901

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Nummer 3
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Neues zur Kunstgeschichte
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https://doi.org/10.11588/diglit.65263#0049
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Nr. 3

Die Aunst-Halle

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3. Rubens in der Albertina.
Im Wiener Fremdenblatt schreibt Ludwig Hevesi
über die kürzlich in der Albertina aus den Beständen
dieser hervorragenden Sammlung zusammengesetzten
Ausstellung von Handzeichnungen des H. H. Rubens:
Diese wundersame Sammlung ist überhaupt, wie schon
Waagen „mit Freuden" notirte, sehr reich an Zeich-
nungen von Rubens und Rembrandt. Nur weint Waagen
bittere Thränen wegen der Reberzeichnungen und
Ilebermalungen, denen viele dieser Blätter zum Opfer
gefallen. Herzog Albert von Sachsen-Teschen, der be-
kanntlich 84 Jahre alt wurde, war zuletzt sehr schwach-
sichtig geworden, da er aber als echter Kunstfreund
seine Zeichnungen doch weiter genießen wollte, hatte
sein Inspektor Francois de Fevre die Idee, sie,
namentlich in den Schattenstrichen, mit Kreide oder
Feder in oft sehr grober weise zu verstärken. Ganz
besonders betrauert er das in seiner stürmischen
Atmosphärik noch fetzt so gewaltige Blatt der „Nieder-
lage des Sennacherib", das durch „Ueberarbeitung
mit mageren Bisterstrichen entstellt sei, so daß man
von Rubens uur noch die geistreichen Umrisse mit der
Feder und die breite Hinselanlage in Sepia erkenne."
Auch die zwölf Apostel für den Grafen Lerma seien
„so stark übergangen, daß sie den ursprünglichen
Charakter fast ganz eingebüßt haben". Graf Lerma
war der Minister in Madrid, dessen Gunst der Herzog
von Mantua (602 durch Geschenke zu gewinnen
suchte, deren Ueberbringer Rubens war; darunter
Kopien nach Raffael, die der Herzog flottweg für die
Originale hielt. Jene Apostel haben übrigens in der
Albertina auch den Christus an ihrer Spitze, der in
Madrid, wo die ausgeführten Bilder sich befinden,
verloren gegangen ist.
Trotz solcher einzelner Scbäden ist aber der
Rubensschatz der Albertina eine Ouelle echten Genusses.
Man begreift es, daß der Künstler selbst einen hohen
Werth auf seine Handzeichnungen legte. Sind es doch
die unmittelbarsten Aufblitze und Ausbrüche seiner
Schöpferkraft, der Naturkraft selbst, deren Gefäß und
Werkzeug er war. In jenem merkwürdig umständ-
lichen, Alles bedenkenden Testament, das er drei Tage
vor seinem Tode (Mai (640) ausfertigte, sind seine
Handzeichnungen achtzehn Jahre lang gebunden, für
denjenigen seiner Söhne oder eventuellen Schwieger-
söhne, der ein namhafter Maler werden würde. Erst
(639 wurden sie verkauft und alle reichen Kabinete
Europas schmückten sich mit ihnen. Ganz wunderbar
sind namentlich die hier ausgestellten Horträtstudien.
Mit einem Nichts an Farbenton in schwarzer und
rother Kreide weiß der Meister einen Schein von
Leben auf das Hapier zu hauchen, daß man selbst in
diesen oft allerflüchtigsten, aber immer höchst charak-
teristischen Aufnahmen das „Blut" zu sehen glaubt,
mit dem er, nach einem Worte Guido Renis, seine
Farben angemacht haben müsse. Das köstlichste dieser
Horträts ist das der Maria von Medicis, Wittwe
Heinrich's IV., für die er bekanntlich eine ganze
Gallerie biographisch-allegorischer Szenen gemalt hat.
Der hiesige Kopf ist in Hrofil, das zurückgestrichene
und aufgesteckte blonde Haar schon angegraut, Mund
und Kinn stark vordringend, was der Meister selbst
in den Bildnissen en taes (eines im Louvre ganz dem
hiesigen entsprechend) so perspektivisch zu treffen wußte.
Die leise Hointirung mit Röthel und Weiß, das feine
Gleichgewicht in dieser ganzen Farbenhaltung ohne
Farbe, in der die einzige sichtbare Hupille der einzige
dunkle Hunkt ist, sind ebenso bewunderungswürdig,
als das Hersönliche der ganzen Erscheinung. Noch

summarischer ist übrigens das Ehepaar Bücking,
Ham hingeschrieben. Das Bild der Herzogin ist wieder
ein Kleinod an Feinheit, ganz blaß in der Kreide-
mit einem zarten rosigen Strich durch den Mund und
ganz durchsichtigen wasserblauen Augen; ein Nasen-
loch, eine Augenbraue, jede Einzelheit eine delikate
Hikanterie Für sich. Aehnlich wie der Herzog von
Buckingham ist der Minister Hhilipps IV., Don Diego
de Leganös, behandelt.
Auch aus der eigenen Familie des Meisters sind
kostbare Horträtstudien vorhanden. Dor Allen:Susanne
Fourment, die ältere Schwester seiner zweiten Frau,
jener schönen Helena, die in der kaiserlichen Gallerie
im schwarzen Sammtpelz zu Bade schreitet und in
Berlin als „Andromeda" selbst ohne diese letzte Hülle,
hoch ausgerichtet, die Arme über ihren: Kopfe ange-
kettet, das Seeungeheuer erwartet. Susanne sieht ihr
ähnlich, ist aber nicht so schön; die Stirne breit und
viereckig, die Züge schon scharf. In der Londoner
Nationalgallerie hängt ihr wundervolles Horträt, „ls
ellapean äs poil" genannt, wegen des Filzhutes. Sehr
interessant sind hier ferner mehrere Aufnahmen seines
zweiten Sohnes Niklas (aus der ersten Ehe mit Isabella
Brant), der an seinen: hängenden Nasenflügel leicht
zu erkennen ist. Ein ausgesprochenes Rubensgesicht.
Dagegen hält man jetzt den gewaltigen Decius Mus-
Zyklus dieser Gallerie für eine Malerei Dan Dyck's,
nach Rubensschen Entwürfen. Die Bilder fallen auch
gerade in die drei Jahre, die Dan Dyck in Rubens
Atelier verbrachte. Wilhelm Bode hat Rubens sogar
alle in diese drei Jahre sollenden Horträts zu Gunsten
Van Dyck's abgesprochen, wird aber von Emile
Michel in seiner diesen Winter erschienenen großen
Rubens-Biographie widerlegt. Und gerade wieder-
ein Liechtensteinsches Bild aus dieser Zeit, das männ-
lich gediegene Horträt Ian Vermoelens, das mit der
Jahreszahl (6(6 bezeichnet ist, dient als Hauptgegen-
beweis. In diesem Jahre war nämlich Dan Dyck
erst (7 Jahre alt, konnte also unmöglich schon diese
Reife der Auffassung, Charakteristik und Technik haben.
Mit diesen: Bilde aber fallen eine ganze Reihe Horträts
von gleichem Charakter wiederum Rubens zu. Zum
Decius-Zyklus enthält übrigens die Ausstellung ein
überaus werthvolles Blatt von Rubens' Hand, die
aquarellirte Szene Decius mit seinen Hauptleuten.
Es würde uns zu weit führen, alle ausgehängten
Blätter so im Einzelnen zu betrachten. lieber den
Modellstudien hängen immer die großen Originalstiche
der wohlbekannten Rubensstecher. So kann inan be-
quem die Gedanken Rubens' verfolgen, von: ersten
Linsall bis zur letzten Endgiltigkeit. Man begegnet
da einigen seiner Lieblingsmodelle, unter Anderen
jenem weiß umwogten Greisenhaupt, das als Boreas
in unserer akademischen Gallerie aus der Wand heraus-
pustet und auch manchem berauschten Silen zu gute
gekommen ist. Daran schließe«: interessante Kostüm-
studien, architektonische und dekorative Entwürfe, Vor-
zeichnungei: für den Kupferstich z. B. zu den Fronti-
spizen, die der rastlose Künstler „nur an Feiertagen"
zu mache«: pflegte, für deren jedes man ihm aber ei«:
halbes Jahr Zeit lasse«: mußte. Zum bessere«: Ver-
ständniß des Kupferstiches griff er auch selbst zum
Grabstichel. Es sind aber nur zwei oder drei Blätter
vo«: ihm sicher. Eins hat die Albertina ausgestellt, eine
Hl. Katharina in de«: Wolken, mit gewaltig bewegten«
Gewand, eine Gestalt von großartigem Zug. Auch
die Grabstichelarbeit daran, in energische«: einsach
gekreuzte«: Schraffen, ist die einer ganz groß gewöhnten
Hand, die sich in keine Finesse«: eingeübt hat. An-
 
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