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Die Kunst-Halle — 9.1904

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Nummer 2
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Gagliardi, Ernesto: Zur Vollendung von Sta. Maria del Fiore, I.
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20

Die Run st-Halle.

Nr. 2

Zur VollenSung
von 5lu. Muriu Sei Flore.
von Ernesto Gagliardi.

I.
om Ausland fast unbemerkt hat sich in Florenz
ein Akt abgespielt, der berechtigt ist, einen
Ehrenplatz in der Kunstgeschichte einzunehmen.
In Gegenwart des italienischen Rönigspaares und
aller Koryphäen der Kunst und Wissenschaft Italiens
ist die kunstvolle Thür am Hauptportal des Florentiner
Doms feierlichft eingeweiht worden. Insofern es sich
nicht um Arbeiten für Instandhaltung des Bauwerks
handelt, bedeutet dieser anscheinend so geringfügige
Umstand, daß nach fast acht Jahrhunderten opfer-
freudigen Schaffens allen Handwerken, welcher Art sie
auch sein mögen, der offizielle Abschied ertheilt, der Zu-
tritt zu diesen: schönsten Tempel der Thristenheit ge-
sperrt wurde, vor dem geistigen Auge aller derjenigen,
die das Glück hatten, diesem weihevollen Akt beiwohnen
zu dürfen, erstand — der anmuthigen toskanischen
Landschaft vergleichbar, über die in dem glühenden
Sonnenschein Schwärme von Tauben pfeilschnell dahin-
schossen — ein Bild so mannigfaltigen Lebens, so
zielbewußter Ausdauer, daß das geräumige Gotteshaus
zu klein erscheint den Geist zu fassen, den es herauf-
beschwört. —
Es war am 8. September, dem Geburtstag
Unserer lieben Frau, des Jahres s2H6, als der Kardinal
Pietro valeriano da Piperno, als Legat des hart-
erprobten Bonifazius VIII. bei der Grundsteinlegung
des Florentiner Doms den apostolischen Segen er-
theilte. Der Gedenkstein dieser kirchlichen Feier, auf
dem noch heute, gleich einem Taufschein aus
Granit und Erz, links vom Tampanile zu lesen steht-.
„Istmä ab Vrnulto tsmplum tuit ollillealnm", läßt keinen
Zweifel über die Persönlichkeit seines Urhebers. Arnolfo
da Tambio, der Kirchenbaumeister, starb nach vierzehn-
jährigem unermüdlichen Schaffen (s3sO). Giotto, von
dem edlen Ehrgeiz beseelt, seiner Vaterstadt einen un-
vergänglichen Beweis seines Könnens auch als Architekt
zu hinterlassen, nahm den leergewordenen Platz ein.
Noch im Juli jenes Jahres legte er unter voller Ent-
faltung des üblichen kirchlichen Prunkes den Grund-
stein zu dem Tampanile, der von seiner Höhe auf alle
seine Genossen wie ein Niese auf Pygmäen herabzu-
blicken scheint. Als Giotto in noch ungebrochener
Schaffenskraft und jugendlichem Eifer in seinem siebzigsten
Lebensjahr nach kurzer Krankheit im Januar s337
dahingerafft wurde, stand von dem Dom kaum mehr
als die Grundrißmauer und von dem Tampanile, der
seinen Namen unsterblich machen sollte, nicht viel mehr
als ein vielversprechender Rumpf. Seine Stelle fiel
wiederum einem Künstler von bahnbrechender Genialität,
Niccolo Pisano, zu. Leider hat es den Anschein, als

ob diese Ehrung für die Auserwählten immer zum
verhängniß werden sollte. Auch ihm war es nur ver-
hältnißmäßig kurze Zeit vergönnt, an dem großen
Werke weiter zu schaffen. Ihn lösten zwei seiner
Schüler, Andrea Orcagna und Alberto Arnoldi, ab.
Diesen wieder folgten Giovanni di Lapo Lhini, Taddeo
Taddir und Francesco Talenti, der eigentliche Erbauer
des Doms.
Im Jahre s387 wurde der Tampanile, nachdem
man auf die Anbringung einer hohen Spitze, „weil zu
sehr an die nordische Art erinnernd", verzichtet hatte,
so zum Abschluß gebracht, wie wir ihn noch heute be-
wundern. Im Verlauf der Jahre hatte der Mangel
an Spezien der Weiterführung des Baues starken
Abbruch gethan. Die Signoria schreckte aber selbst
vor den äußersten Mitteln zur Herbeischaffung des Geldes
nicht zurück Um wenigstens auf eine bestimmte Bqu-
summe jährlich mit Sicherheit rechnen zu können, legte
sie jedem eingetragenen Bürger nicht nur der Stabt,
sondern des ganzen florentinischen Gebiets, eine Steuer
auf; jeder, ber ein Testament machte, hatte eine be-
stimmte Abgabe zu machen, ja selbst alle öffentlichen
Beamten mußten sich eine Steuer von Heller auf
jede Lira! gefallen lassen. Die Geistlichkeit, die im
allgemeinen dem Grundsatz zu huldigen pflegte, daß
nehmen seliger als geben sei, legte sich in edlem Wett-
streit selbst eine beträchtliche Abgabe auf. Die römische
Kurie überließ ein Drittel aller durch die Inquisition
wegen Ketzerei oder Gotteslästerei eingegangenen Geld-
strafen dem Baufonds. In den Läden und Speichern
der ätzlla biLNL", der Zunft der Wollarbeiter, der
Florenz einen Wohlstand verdankte, von dem uns
Guicciardini und selbst Macaulay Märchenhaftes zu be-
richten wissen, waren Büchsen für freiwillige Gaben
zum Bau der Kathedrale angebracht. Der Papst wies
dem Fonds jährlich 3000 Goldzechinen aus den un-
redlich erworbenen Geldern zu, die Wucherer zum Heil
ihrer Seele letztwillig mildthätigen Zwecken zuwendeten
oder ihren unglücklichen Opfern aus Furcht vor der
Hölle zurückerstatteten. Fast heiter stimmt es uns, wenn
wir heute lesen, wie die weit und breit berühmte
Signoria von Florenz für die Vollendung eines so
stolzen Baues im Jahr s30^ eine Beisteuer von —
300 Lire lieferte. Allerdings beläuft sie sich im nächste::
Jahr schon auf 2000 und im darauffolgenden gar auf
2^00, die in zweimonatlichen Raten ausgezahlt werden.
Im ganzen ist der gewaltige Dom jedoch die Schöpfung
des Volkes, dem seine öffentlichen Prachtbauten jeden
Komfort, wie wir ihn verstehen, ersetzten. Die Zünfte,
die gesammte Bürgerschaft betrachteten die Vollendung
des Wunderbaues als eine Ehrenpflicht. Die einfach-
sten Handwerker rechneten es sich zur Ehre, Hand an
die Ergänzung und Ausschmückung des Heiligthums
legen zu dürfen. Es entspricht vollkommen der Wahr-
heit, wenn behauptet wird, daß das Ganze weit eher
ein Werk der Liebe als eine Schöpfung käuflicher
Hände gewesen ist.
 
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