Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Kunst-Halle — 9.1904

DOI Heft:
Nummer 2
DOI Artikel:
Rapsilber, M.: Der Schnellbetrieb der Kunst
Zitierlink: 
https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/kunst_halle1904/0033

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Die Kunst-Halle.

Nr. 2

nisten, an einem Beispiel aus der guten alten Zeit dar-
zuthun, unter welchen Umständen früher die großen
Werke der Kunst ins Leben traten. Am Ende des
15. Jahrhunderts beschloß der Rath von Vicenza den Um-
bau der alten Basilika. Schon aus dieser Zeit liegen
Entwürfe von Antonio Riccio und von Spaventa dafür
vor. Dann wurde 1536 Sansovino zu neuen Plänen
nach Vicenza berufen, drei Jahre später führte Serlio
ein Modell hierzu aus und 151-1 holte man San
Micheli's Rathschläge ein. Sie alle befriedigten den
Rath nicht, er berief deshalb Giulio Romano aus
Mantua. Doch auch seine Pläne fanden keinen Beifall.
Endlich im Jahre 1515 wurde die Angelegenheit durch
palladio aussichtsvoll gefördert, man zahlte ihm für
seine ersten vier Zeichnungen 50 Lire. Ein Jahr spater
wurde er beauftragt, ein Holzmodell anzufertigen, 151?
stellte er dieses unter den Gewölben der alten Basilika
zur Beurtheilung durch seine Mitbürger aus und im
Herbst 1518 entschloß mau sich zur Ausführung dieses
herrlichen Entwurfs. Bei solcher Arbeitsweise fand
der Künstler natürlich Zeit, für jede Einzelheit ein-
gehende Studien zu machen und die Lösung schwieriger
Fragen in verschiedener Weise sorgfältig zu erproben.
Die Bauausführung wurde ebenso sorgfältig behandelt,
palladio, der ein monatliches Honorar von 5 Scudi
bezog, hatte im Mai 1519 ein neues Holzmodell zum
unteren Geschoß fertiggestellt, dann reiste er in die
Steinbrüche von piovena,.um dort die Steinmaße an-
zugeben, hierauf holte er aus Padua, Verona und
Venedig Steinmetze herbei. Im August 1519 begann
man mit den Erdarbeiten, ein Jahr später war der
erste Bogen des Erdgeschosses fertiggestellt, 10 Monate
darauf der zweite und 1558 war die Hälfte des Erd-
geschosses vollendet. Nun aber kam der Rath von
Vicenza auf den Gedanken, es sei nicht zweifelhaft, daß
der Palast an Schönheit keinem anderen öffentlichen
Gebäude Italiens nachstehe und daß er immer voll-
kommener sich zeige. Man müsse deshalb bei der Aus-
führung jede Sorgfalt darauf verwenden, daß er, wenn
möglich, ewig erhalten bleibe. Mit nur geringen Unter-
brechungen wurden die Arbeiten fortgesetzt. Im Jahre
1611, also 65 Jahre nach Beginn der Ausführung war
der Hallenbau bis auf 15 der oberen Statuen fertig-
gestellt. palladio war 51 Jahre früher gestorben, er
hatte die Vollendung seines ersten und größten Werkes,
wie so mancher anderer Bauten nicht erlebt.
Nun hat sich seit jener langwierigen Haupt- und
Staatsaktion in Vicenza gewiß vieles geändert, vor-
nehmlich die Technik des Ausführens. Ein Bogen, zu
dessen Vollführung man ehedem zehn Monate gebrauchte,
wird heute in wenigen Tagen nach allen Regeln der
Kunst ins Werk gesetzt. Aber was sich seitdem nicht
geändert hat und niemals ändern wird, ist das ent-
werfende Genie der Künstler, also die Hauptsache.
Und nun kommen die Herren vom grünen Tisch und
beklagen sich, daß die Bauausführung des Märkischen
Museums länger als vier Jahre beanspruche. Es

scheint so, als ob man heute den Maßstab für die
Möglichkeiten im Kunstschaffen verloren habe und als
ob die Kunst mehr nach (Quantitäten als nach (Qualitäten
erfaßt werde. An den Künstlern selber wird es liegen,
ob nun auch in Zukunft der Laie als maßgebender
Faktor unseren Kunstbetrieb beherrschen soll. Es fehlt
uns eine höhere Instanz, an die in zweifelhaften Fällen
zu appelliren wäre, an eine Organisation von Berufs-
genossen, welche über die Rechte und Pflichten der
Künstler zu wachen hätte. Auch das soeben enthüllte
Wagner-Denkmal liefert einen Beitrag zu dem falschen
System, an welchen! die heutige Kunst krankt. Als der
Preis zuerkannt und der Auftrag zur Ausführung nicht
mehr zweifelhaft war, sprach es das Komitee selber
offenherzig aus, daß leider, was das Denkmal betreffe,
ein dem Genie Richard Wagners kongenialer Bildhauer
nicht gefunden oder gewonnen sei. Diese sehr richtige
Lrkenntniß hätte nun doch zur Folge haben müssen,
daß das Komitee die Angelegenheit für einstweilen
sistirte und es einer näheren oder ferneren Zukunft
überließe, für die große Aufgabe den großen Künstler
zu entdecken oder zu erziehen. Genau so, wie es die
guten und wählerischen Rathsherren von Vicenza gethan
haben. Aber in Berlin fand man es für gut, die
bessere Meinung dem üblichen Schnellbetrieb zu opfern.
Das sollte schlechterdings unmöglich sein. Das Standes-
bewußtsein der Künstler müßte daraus dringen, daß in
öffentlichen Kunstdingen eine Autorität geschaffen würde,
vorläufig mit dein Veto-Recht begabt, daß in allen
staatlichen und städtischen Parlamenten neben so vielen
anderen Kommissionen auch eine Künstlerabordnung zur
Hand sei, die in strittigen Fällen bindende Verdikte ab-
zugeben hätte. Wenn vorläufig eine solche Thätigkeit
nur aus die Abwehr von Uebelständen ausliese, so
würde der Uebergang zu einem positiven Schaffen sehr
bald zu finden sein. In der Münchner Kunstkommission,
die der Prinzregent vor zwei Jahren berufen, und in
einer ähnlichen Vereinigung, die der Berliner Behörde
in Angelegenheit einer neuzugestaltenden Schmuckanlage
auf den Plätzen mit Rath und That behülflich sein soll,
liegen bereits die Anfänge zu einer Organisation vor,
die, wenn man sie verallgemeinerte, zur Gewissens-
stimme unseres Kunstschaffens werden könnte. Vor Allem
gälte es, daß in Kunstsachen nur der Künstler und be-
rufene Kunstgelehrte, nicht aber der juristische Herr vom
grünen Tisch das entscheidende Wort führe. Man be-
handelt in der That heute den Künstler als ein un-
mündiges Wesen. Aber kein Gott wird dem Künstler
helfen können, wenn er sich nicht selbst zu seinem guten
Recht verhilft.
 
Annotationen