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Die Kunst-Halle — 9.1904

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Nummer 23
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Seliger, Max: Künstler über Kunst
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Kisa, Anton Carel: Die internationale Kunstausstellung zu Düsseldorg
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Nr. 23

Die Kunst-Halle.

357

unnachbarliche ist. Dies ist bessere Erziehung des
Volkes für die Kunst, als das Linpauken kunstgeschicht-
licher, flüssiger Begriffe, Ziffern, Namen, Klassifikationen
u. s. w. Die Aufklärung des Volkes über gute und
schlechte Arbeit und Kunstarbeit läßt sich leicht erreichen,
wenn wir schon unsere Volksschulen mit jeglicher Art
vortrefflicher Arbeit und Kunstarbeit ausstatten. Die
Statue am Brunnen im Schulhof sei die beste in der
Stadt, vom besten Künstler der Stadt. Das Schloß
an der Hausthür mustergültiges Schlosserwerk, es sei
die höchste Empfehlung für den Meister. Die Klinke
zur Thür des Schuldirektors ein sogenanntes Museums-
stück, sein Stuhl sei reicher als die Uebrigen, aber so
gut wie Ausstellungsarbeit. Tische, Bänke und Fenster
seien in technischer und architektonischer Richtung Muster
von Einfachheit und Solidheit der Arbeit.
Man kann auch für wenig Geld eine maßvolle
und erfreuliche Kunst geben. Zn der schlichten echten
Arbeit, der schmucklosen, daher billigen und schnellen
gewerblichen Zweckform eines modernen, bequemen
Stuhles, dessen Hrofil dem Körper angexaßt ist, oder
eines modernen Schiffes, eines elektrischen Eisenbahn-
wagens oder der ausdrucksvollen Wand einer Fabrik,
ist mehr gesunde, praktische Aesthetik für das Volk, als
in der kunstgewerblichen, reichen, zugleich theuren, aber
unechten Form und Technik der meisten jetzigen Kunst-
gewerbeprodukte.
Jetzt, wo die viel zu vielen Künstler für die Kunst-
ausstellungen malen und modelliren, wäre ein Abfluß
der Kräfte in die Fabriken eine gute Politik. Aber der
Stolz der Herren und das Ueberansehen dieser Kunst-
arbeit und das verdiente Unteransehen der jetzigen
Fabrikarbeit hindern es. Wir müssen das Fabrikkunst-
werk heben, so wird ihm Ansehen und auch gesellschaft-
liche Ehre folgen. — Jetzt ist es auf der Kunstausstellung
der Regel nach ausgesperrt, nicht als Kunst anerkannt.
Die Technik der Maschine, die eine immer sichere
Meisterin ist, muß der Künstler nicht hassen, sondern
studiren. Er muß die Maschine im Sinne der Kunst
führen, verbessern."


Die internationale Aimrtsu5rtelllmg
rn DÜ55eliorj.
II. Die Schweizer Künstler.
Der Künste Thor
Tritt nie behaglich auf, wofern er nicht bequem
Gebahnte N)ege findet.
^^vkieses Wort Goethe's könnte man über den Eingang
W ) zur Ausstellung der Schweizer Künstler schreiben,
die, in einen bescheidenen Seitenraum verwiesen,
doch einen so wichtigen Bestandtheil der gegenwärtigen
Kunstströmungen darbieten. Verwirrt, rathlos steht
Mancher vor diesen Bildern, die nichts weniger als
dekorativ wirken. Wenn er aus der vornehmen Ruhe,
der gesättigten Atmosphäre Hollands und Groß-
britanniens kommend, diesen schmucklosen Saal betritt,
mag es ihm scheinen, als ob mitten im Frieden ihm
Kampfgetöse an die Ohren dringe, vielfach unbe-
friedigend, ja abstoßend, quälend ist diese Kunst des
Kampfes, und Loch möchte man sie nicht missen. Mit

der koketten Bizarrerie der Wiener Sezession hat sie
nicht das Geringste gemein, wer mit dieser nicht ein-
verstanden war, konnte sich von ihr mit einem ver-
gnügten Lächeln losmachen. Ueber die Schweizer
Sezession lächelt Niemand, sie verblüfft, reißt hin oder
entrüstet. Bei Franzosen, Reichsdeutschen, Engländern,
sehen wir die Ruhe nach dem Kampfe, die Genug-
thuung über das in langen Mühen Errungene, oder
sie machen es wie der Vogel Strauß, stecken die Augen
und den ganzen Kopf in den Sand, um nicht gestört
zu werden im süßen Behagen gefälligen Herkommens.
Die Schweizer sind die einzigen, die nicht gefallen
wollen, die vor aller Welt den Kampf um die neue
Naturanschauung führen, unbekümmert darum, etwa
Barbaren gescholten zu werden. So verschieden die
Wege auch sind, welche die Einzelnen einschlagen, eines
ist Allen gemeinsam, die Freiheit und Unabhängigkeit
von dem Althergebrachten, das Bedürfniß, dem Neu-
erschauten, Neuerfaßten, auf geradem Wege beizu-
kommen.
Nicht Aller Ziele liegen klar vor Augen. Einige
machen es uns schwer, ihnen zu folgen, besonders solche,
die, wie Ferdinand Hodler, über die bloße Nach-
ahmung der Natur hinaus nach einem neuen, idealen
Stile, nach einem monumentalen Ausdrucke philo-
sophischer Gedanken suchen. Viele Leute werden mit
ihm bald fertig sein. Schlechte Zeichnung, unmögliche
Stellungen und Verkürzungen, eine scheußliche Farbe,
völlige Unfähigkeit, eine Handlung, eine Idee darzu-
stellen, — solche und noch schärfere Urtheile kann man
jeden Tag hören. Und diese Urtheile sind nicht ganz
unberechtigt. Trotzdem halte ich Hodler für einen
Künstler, dessen ruhige Konsequenz auch Jenem Achtung
einflößt, der nicht weiß, wo er hinaus will. Einen
Künstler, der es ernst meint, lernt man bald von dem
Faiseur, der blos auffallen will, unterscheiden. Un-
streitig ist Hodler von der Nichtigkeit seiner Sache, von
ihrer innerlichen Berechtigung überzeugt. Ich habe
mich — wie es die Hflicht eines jeden Menschen gegen-
über dem Künstler ist — bemüht, ihn verstehen zu
lernen, und muß leider gestehen, daß es mir nicht ge-
lungen ist. Der Fehler liegt natürlich nicht bei Hodler,
sondern bei mir. Dagegen ist es nicht schwer, zu er-
kennen, daß Andere sich hauptsächlich bemühen, die
glühenden Farben des Sonnenlichtes in möglichst un-
gebrochener Stärke wiederzugeben. Dabei ziehen sie
in Betracht, daß das Auge unwillkürlich die eine Farbe
durch die komplementäre ergänzt und daß es, durch die
starken Reflexe von den mächtigen Felswänden geblendet,
nicht plastische Formen, sondern farbige Flächen sieht.
Sie kommen dadurch zu Ergebnissen, welche in vollem
Widerspruche zu den früheren Anschauungen von Schön-
heit der Lokalfarben, Harmonie und Geschlossenheit der
Stimmung sind. Sie kommen zu einer Vereinfachung
der Form in Umrissen und Modellirung, zu einer ge-
waltigen Steigerung der Intensität von Farbe und
Licht, wie man sie früher nicht erkannte und daher
auch nicht darzustellen vermochte, weil man die Natur
mehr durch die Brillen seiner Vorgänger sah und den
eigenen Augen nicht recht traute. So gelangt Eduard
Boß zu einer bilderbogenhaften Einfachheit, indem er
zugleich in dem Kopfe eines Sämannes zeigt, wie fest
er beobachtet und zeichnet. Amiet und Giacometti
malen im grellsten Sonnenlichte des Alpensommers,
dieser, indem er die ungebrochenen Farben in Streifen
und Flecken in der Art Segantini's aneinander fügt.
Auch Jacques Ruch folgt den Spuren seines berühmten
Landsmannes, von dem in anderen Abteilungen der
Ausstellung Bilder zu sehen sind, besonders in dein
 
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