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Die Kunst-Halle — 9.1904

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Nummer 5
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Gigliardi, Ernesto: Zur Vollendung von Sta. Maria dle Fiore, II.
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Die Kunst-Halle.

Nr. 5

67

Zur Vollendung
von 5tu. Mrjg del Flore.
Von Ernesto Gagliardi.*)
II.
^E^rie provisorische Fassade von Giotto wurde, um
v?/ einer würdigeren Platz zu machen, zu der Lorenzo
il Magnifico ein Preisausschreiben erließ, schon
im Jahre so87 wieder eingerissen. Einige Bildwerke dieser
alten Fassade haben am Eingang der prächtigen Allee
von Porta Romana nach dem poggio Imperiale und im
Hofe des Palazzo Riccardi Aufstellung gefunden, ohne
daß die Mehrzahl der Vorübergehenden ihr hohes
Alter oder ihren kunstgeschichtlichen Werth auch nur
ahnt. Vierhundert Jahre mußten vergehen, bevor der
schöne plan in die That umgesetzt wurde. Erst König
Viktor Emanuel II. war es vorbehalten, am 22. April
(866, den Grundstein zu der neuen Fassade zu legen.
Dem flüchtigen Beobachter stört vielleicht zunächst das
Bunte, Glitzernde, Unruhige des neuen Baues, das mit
der ernsten und doch anmuthigen Erhabenheit der
älteren Theile, mit dem matten Marmorglanz des Cam-
panile und des Battisterio nicht recht harmoniren will.
Dringt man aber bei genauerem Studium in die Ab-
sichten des Schöpfers ein und behält man den Zeit-
abstand zwischen der Entstehung des Campanile und
der neuen Fassade im Auge, so wird man allmählich
den neuen Bau als eine feinsinnig durchdachte und
technisch vorzüglich durchgeführte Leistung schätzen lernen.
Ihr Erbauer Emilio de Fabris, — auch er durfte nicht
das Ende seines Werkes schauen — trat bei der Aus-
schmückung der Fassade freiwillig hinter seinen be-
jahrten, hochverehrten, als Philosoph, Theologe und
Künstler gleich bedeutenden Mitbürger Augusto Conti
zurück. Da der Dom bekanntlich der Mutter Gottes,
der holdseligen und milden, zu Ehren errichtet wurde
— die Florentiner haben ihm den süßen Beinamen
Santa Maria del Fiore gegeben — ließ sich
Augusto Conti von dem Grundgedanken leiten, die Ver-
herrlichung der Schutzherrin mit der ihr so ergebenen
Stadt zu verschmelzen. Er verfiel auf den sinnigen
Gedanken, die Geisteshelden, die am meisten zum Ruhme
der toskanischen Blumenstadt beigetragen hatten, in
luftiger Höhe, auf den Feldern der Fassade, huldigend
um die jungfräuliche Gottesmutter, der sie ihr ganzes
Leben hindurch mit kindlicher Vertrauensseligkeit ergeben
gewesen, zu schaaren. Auf dem mittleren Giebel thront
die RtzAinL ^.poLtoloruin nicht etwa, wie auf mittel-
alterlichen Fassaden umgeben,svon den üblichen Gestalten
der Apostel, sondern an Stelle der Apostel gruppircn
sich um sie herum die Gonfalonieri und Priori (auch
Dante war zu seinem Unheil kurze Zeit Prior), welche
in der Zeit vom (5. August bis zum (5. Oktober (2s>6
in der Florentinischen Republik die Herrschergewalt

*) vgl. Br. 2 der „Kuustchalle".

ausübten und als Vertreter der frommen Gemeinde
den Bau des Doms beschlossen. Rings um das kunst-
vollendete Standbild der Maria als Oonsolatrlx
^Itllotorum an einem derSeitengiebel sindwie auf einem
Altar die Bildnisse der vorzüglichsten Männer der Stadt
aufgestellt, gleichviel ob sie Geistliche oder Laien waren,
die sie mit all den weltbekannten müdthätigen Stiftungen,
Findelhäusern, Hospitälern, Siechenanstalten, Leihämtern
versorgten, die noch heute der Stolz der Stadt sind.
Derselben Ehre wurde — um mich an die namhaftesten
zu halten — Galileo, Americo Vespucci, Paolo Tos-
canelli unter den Gelehrten, Limabue, Fra Angelico,
Andrea del Sarto, Fra Bartolommeo unter den Malern
und Andrea Pisano, Donatello, Michelangelo, Civitali,
Orcagna, Luca della Nobbia unter den Bildhauern
theilhaftig. Die heilige Gelehrsamkeit, die Wissen-
schaften, die Kirchenmusik, die darstellenden Künste, alle
tragen zu der Verherrlichung der Madonna, der im
mittelalterlichen Italien allgemein als Gönnerin und
Förderin alles Schönen und Edelen verehrten Heiligen
bei. Gänzlich fehlen, und nicht zu Unrecht, die Fürstlich-
keiten, einschließlich der Medicäer; denn dem Urkern
des Florentiner Gemeinwesens steht das selbstherrliche
Herrscherthum diametral gegenüber. Und keines der
regierenden Häuser hat sich je um die Errichtung des
unvergleichlichen Meisterwerks sonderlich verdient ge-
macht.
Jede von den hundert und aber hundert Gruppen,
Figürchen, Mosaikbildern, Ornamenten löst sich rhythmisch
und schön aus dem Grundgedanken, wie die Melodie
aus dem Leitmotiv. Durch Verzicht auf die Ideal-
gestalten der Propheten und Heiligen mag die Fassade
etwas profanes bekommen haben, dafür aber hat sie
an Subjektivität und Originalität unendlich gewonnen.
Der Ausführung irgend eines Theils, einer hervor-
ragenden Einzelheit gingen während der achthundert-
jährigen Bauzeit jedesmal dramatisch bewegte Kon-
kurrenzen voraus.
Die Chroniken über diese unübersehbare Kette
künstlerischer Turniere lesen sich ebenso interessant wie
die Berichte Vasaris über den Verlauf der Wettkämpfe
für die ehernen Thüren des Baptisteriums oder für
die Kuppel, die es in so harmonischer weise überragt.
Immer sind es nur die begehrtesten Künstler, die sich
daran betheiligen und ihre besten Lebenskräfte daran
setzen, um ihren Namen bei dem Wunderbau verewigen
zu können. Mit den Thüren zu den drei vorderen
Eingängen des Doms dürfte die lange Reihe der
Konkurrenzen ihr Ende erreicht haben. Die Seitenthür
rechts vom Beschauer wurde Professor Giuseppe Cassioli,
die links vom Hauptportal Professor Augusto passaglia
zugesprochen, wie ein verkleinertes Gegenstück zu der
Gesammtfassade erklingt auch von der Thür des Haupt-
portals das Hohelied von der Jungfrau Maria. Die
Mittelfelder, die bedeutendsten, enthalten Verkündigung
und Krönung. Auch hier finden wir Hunderte und aber
Hunderte von Ornamenten, Bäumen, Gruppen von
 
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