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Die Kunst-Halle — 9.1904

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Nummer 12
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Thomas, Bertha: Londoner Kunstbericht
DOI Artikel:
Wolf, Georg Jacob: Von Münchner Kunst
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Die Run st-Halle.

(82

Nr. (2

der Rückseite sieht, den graziös ein wenig mngewandten
Kopf aber im Profil. Das Rosenroth des Kleides mit
dem Hintergrund in dunkel gehaltenem Goldgelb ist die
schönste Farbenstudie, die Whistler je gemalt hat. Sie
steht bedeutend höher, als seine ebenfalls unvollendet
gebliebene Studie „RouM et Koir", die in der letzten
Herbstausstellung der Porträtmaler ausgestellt war —
ein einfacher Kontrast, von dem die Nichtausführung
lange nicht so zu bedauern sein dürfte, wie von dem
ungleich schöneren „Rose et Or", das selbst so unfertig
wie es ist, den Stempel des Genies seines Schöpfers
unverkennbar aufweist. Unsere Whistler-Verehrer, die
bisher nur einige seiner Meisterwerke der Malerei zu
bewundern Gelegenheit hatten, konnten sich in diesem
Winter auch mit jenen Nadirungen von seiner Hand
bekannt machen, die ihm den höchsten Nuhm in den
vornehmsten Kunstkreisen Londons vor einigen dreißig
Jahren eintrugen. Seit seinem Tode sind verschiedene
Ausstellungen dieser Blätter veranstaltet worden. Sie
zählen nach Hunderten, behandeln alle möglichen Sujets
und geben in ihrer künstlerischen Vollkommenheit allen
denen eine heilsame Lektion, die sich Whistler nur als
den Typus eines flotten, launenhaften und genialen
virtuosen der Malerei gedacht haben. Für Kunstfreunde
und Lernbegierige boten sie einen wahren Genuß und
eine werthvolle (Quelle der Anregung und Inspiration.
In meiner Besprechung erwähnte ich den oppo-
sitionellen Standpunkt nicht, auf den sich die „Inter-
nationale" bei ihrer Gründung gegen die Akademie
stellte. Ls ist nämlich eine schwierige Sache für irgend
eine Künstlergemeinschaft, der Akademie den Krieg zu
erklären, da bekanntlich zum Streiten Zwei sein müssen.
Die Akademie hat mit ihren Gegnern nie Streit gehabt,
und jetzt, wo kaum noch Grund zum Beklagen über
sic besteht, ist ihr Prestige befestigter denn je. Linzelne
Fälle von Ungerechtigkeit und Vernachlässigung kommen
zweifellos vor, und da hat eine Gesellschaft, wie die
„Internationale" wohl einen bessernden und reformiren-
den Linfluß ausüben können. So hat sich der älteren,
festbegründeten Institution die Rivalin eher nützlich er-
wiesen, und von einer Revolution, die Manche vielleicht
erträumt hatten, ist nichts zu spüren. Auch die jetzige
Ausstellung wird hieran nichts ändern.


Von Mnckner Aunrt.

_cs „
Salon Heinemann bringt dieser 2.age
manches Neue, darunter einige recht beachtens-
werthe Kollektionen. Mit einer stattlichen Zahl
von Landschaften ist der Deutsch-Italiener Teodoro Wolf-
Ferrari aufgezogen. Ls sind Werke, die einen Linblick
in die Entwicklung des jungen Künstlers geben. In
den frühesten Arbeiten zeigt sich noch das Ringen um
künstlerische Individualität, das Tasten und Suchen, die
Werke der letzten Jahre zeigen uns den fertigen
Künstler, der sich seinen eigenen Stil geschaffen hat.
Künstlerisch fertig, fest in der Beherrschung der Technik
und jenseits aller geschmacklosen Entgleisungen, wolf-
Ferrari's Entwicklung ist typisch für jene Klasse von
Künstlern, die nicht Genies von Haus aus sind, denen
nicht glänzende Ideen von einem gütigen Geschick
mühelos in den Schoß geworfen werden, die aber

durch zähen Fleiß, durch eifriges, nimmer ermüdendes
Studium es zu einer schönen Höhe erfolgreichen
Schaffens zu bringen vermögen. Man merkt recht
deutlich, daß es dem Künstler nicht so oben hin zu-
geflogen ist, was er kann, das ist erworben in heißem
Bemühen, wir thäten wahrhaftig unrecht, wollten
wir einen Künstler deswegen geringer einschätzen, und,
weiß Gott, nicht um Wolf-Ferrari herabzusetzen, sondern
um einen Blick in die Werkstatt eines fleißigen, tüch-
tigen Malers thun zu lassen, habe ich seine Entwick-
lung mit diesen Worten zu charakterisiren versucht. —
Mit Liebe und Andacht steht Wolf-Ferrari vor der
Natur. Besonders sympathisch sind ihm die Gegenden
um Belluno und in der Mark Friaul, überhaupt die
ganze italienische Alxenseite. Einen Gebirgsweg, eine
steinerne bergansteigende Mauer, in die ein Madonnen-
bild und ein ewiges Licht eingelassen sind, erscheinen
ihm als würdiger Vorwurf für ein Gemälde. Und er
wird nicht müde, das immer wieder zu malen, jedesmal
von einem anderen Gesichtspunkt aus, bald im Morgen-
roth, bald im heißen Mittag des Hochsommers, bald im
blauen Dämmer der Mondnacht. Man merkt daran
das Gründliche Wolf-Ferrari's, das Deutsche seiner gern
erperimentirenden Kunst, was er uns sonst noch an
Landschaften zeigt (er liebt Kirchen auf sanften Hügeln
im Mondlicht, den sonnendurchwärmten, gelb-, roth-,
grünleuchtenden Laubwald, das Thaos wilder Fels-
blöcke), das zeigt uns seine brave Begabung, sein
ernstes wollen und schönes Können. Wolf-Ferrari ist
kein großer Künstler, aber eines jener sympathischen
Talente, die einem eine stille, heitere Freude bereiten
und mit denen man gern ein Stück des Weges geht.
Neben Wolf-Ferrari steht einer, den man wenigstens
seiner Geburt nach, aber vielleicht auch noch aus
anderen, tieferen Gründen, auch einen Deutsch-Italiener
nennen möchte: Giovanni Segantini. Bei Heine-
mann sieht man augenblicklich eine Reihe seiner selt-
samen Zeichnungen. Flott hingesetzt und voll eigen-
artiger Mystik. In manchen webt eine merkwürdige
Bizarrerie des Gedankens, die sich in der Eigenart der
Darstellung ausdrückt. Am liebsten freilich sind mir
jene Zeichnungen, in denen klare Gedanken wunderbar
plastischen Ausdruck gefunden haben, wie etwa in der
farbigen Zeichnung: Sonnenuntergang im Gebirg. wie
Segantini die schneebedeckten Alpen darstellt mit leicht-
bewölktem Himmel darüber, das ist ja so bekannt, daß es
blos eines Hinweises bedarf. Nie genug aber kann die
schwärmerische, sehnsüchtige Stimmung, die über
Segantinis Bildern schwebt, die so grundverschieden ist
von der koketten, buntscheckig aufgezäumten Seichtheit
der meisten modernen Italiener, betont werden. Das
ist das Germanische, das Tief-Sinnende, die nordische
Melancholie, die einem mit romanischem Temperament
begnadeten Künstler zum kostbaren Eigenthum wurde.
Außer den beiden Künstlern kommt noch ein dritter
zum Wort, der deutsch ist bis auf die Knochen: Edmund
Step pes. Das ist die Poesie des deutschen Waldes und
der köstlich weiten Auen, durch die sich leise dahin-
rauschende Flüsse schlängeln, die verträumte Schwermuth
toter Binnenseen, die erdfrohe Heiterkeit laubwald-
bestandener Mittelgebirge. Edmund Steppes steht nicht
als naiver Betrachter vor einer Landschaft, sondern als
sentimentaler Stilist, was ihm an einer Landschaft als
typische Schönheit erscheint, das unterstreicht er. Er
freut sich einer geraden, schlanken Fichte und malt sie
auf seinem Bild noch gerader, noch schlanker. Es ist
ein gewisser ornamentaler Eindruck, der dadurch in
uns erweckt wird, wir freuen uns dieser Stilisirung, ob-
wohl wir wissen, daß sie der Natur zuwider läuft. E5
 
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