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Die Kunst-Halle — 9.1904

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Nummer 8
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Gagliardi, Ernst: "Ara pacis Augustae"
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Zimmern, Helen: Ueber die moderne toskanische Malerei
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Nr. 8

Die Kunst-Halle.

zur Wiederherstellung des ganzen Denkmals an Ort
und Stelle beizntragen.
Lin schöneres Zeichen für die friedlichen Gefühle,
die die Herzen der Völker erfüllen, als die gemeinsame
Betheiligung Deutschlands, Frankreichs und Italiens
an der Vollendung einer derartigen Kulturarbeit, läßt
sich kaum denken.
Diesem Gedanken gab der neuernannte Minister
für öffentliche Arbeiten, Todesco, jüngst gelegentlich der
Gründung eines Schützenvereins in Nom in beredten
Worten Ausdruck. Lr sagte: „Ich besuchte vor einigen
Tagen die Ausgrabungen für die Aufdeckung der „s'l.ra
vaoi8", und in den finsteren Gängen und Stollen
dieser Fundgrube unvergänglicher Schönheit sah ich im
Geiste das herrliche Monument wieder aufgerichtet,
und mich durchdrang das Gefühl seiner historischen Be-
deutung, die der ästhetischen nicht nachsteht, wie die
feierliche Bestätigung, daß Nom die Aera der Welt-
kämpfe abschließend, unter den Fittichen eines ruhm-
reichen Friedens eine neue Kulturepoche eröffnete."
M
lieber Sie moberne torksnisclie MIerei.
von Helen Zimmern, Florenz.
^^enen lokalen Sondergeist, der im politischen Leben
Italiens unausrottbar ist und eine wirkliche
nationale Linigkeit nicht aufkommen läßt, sehen
wir nicht minder stark auf dem Gebiet der Kunst aus-
geprägt. In recht markanter weise ist diese Thatsache
bei Gelegenheit der diesjährigen Internationalen in
Venedig zur Anschauung gekommen, da inan dort den
verschiedenen Provinzen eigene Säle zuertheilt hatte,
wie die künstlerischen Erzeugnisse des einen Landstriches
von denen des anderen in Ton und Auffassung wesent-
lich abweichen, und wie wenig daran die Zeit geändert
hat, konnte nicht schärfer hervorgehoben werden, als
durch diese Sonderung in Bezirks- oder vielmehr
Stammesgruppen. Dieselben charakteristischen Unter-
schiede, die wir an den altitalienischen Schulen kennen,
finden wir noch, trotz der jetzigen Verkehrserleichterungen,
die doch einer gegenseitigen Annäherung günstig sind,
bei der heutigen Generation eher verschärft, als ab-
geschwächt wieder, was uns nun speziell an der
toskanischen Malerei auffällt, ist deren Stimmung auf
einen Ton milder Heiterkeit und Nuhe. Die Toskaner
lieben das Sonnenlicht, wie es die Italiener alle lieben
und Jeder es lieben muß, der unter Italiens Himmel
lebt. Sie lieben und sie malen es aber so, wie sie es
in ihrer bevorzugten Heimathgegend sehen; nicht etwa
mit der intensiven Glut, die phöbos Apollo über dem
Süden erstrahlet: läßt, und die den Farben ihre höchste
Leuchtkraft verleibt, wenn der Sonnengott die Hügel
< und Ebenen, die Weinberge und Olivenhaine Toskana's
küßt, erscheint die Natur in einem goldigen Schimmer,
der die Dinge in märchenhaften weichen Umrissen zeigt.
Auch das heiße Blut des Südländers ist im Toskaner
wenig zu spüren. Die kleinen Interessen, die kleinen
Freuden und Lebensgenüsse sagen seinem ruhigen


Temperament mehr zu, als stürmische Gefühle und
Leidenschaften, was er darzustellen liebt, ist das Ein-
fache, rein Menschliche, äußerst selten schwingt er sich
zum Heroischen oder Noinantischerl auf. während einer
kurzen Periode zu Anfang des verflossenen Jahrhunderts
war die toskanische Kunst auf schlechte Bahnen ge-
rathen. Line Befreiung aus den akademischen Fesseln
durch Zurückführen auf realistische Anschauungen wurde
um die Mitte des Jahrhunderts von Telemaoo
Sig norini und dessen Anhängern versucht. Von gutem
Erfolg aber erwiesen diese Neformbestrebungen sich nur
da, wo sie eitlen fruchtbaren Boden fanden. Falsch
aufgefaßt, führte die Bewegung zu jenen Verirrungen,
die der italienischen Kunst im internationalen Wettbewerb
deil Hohn des Auslandes eintrugen, wer jedoch in
der voll Licht und Schönheit erfüllteil Stadt Floren;
lebt und hier Umschau hält in dell Ateliers der züngeren
Generation, dem kann nicht verborgen bleiben, daß
unter deil toskanischen Malern, wie überhaupt Italiens,
so etwas, wie Individualismus in der Kunst hervor
bricht. Ich spreche hier nicht vom Individualismus in
Bezug auf die Erfindung, was ich meine, ist die
individualistische Auffassung. Dies mag theilweise auf
dell Einfluß zurückzuführen sein, deil die zeitgenössische
nordisch-teutonische Philosophie des Egoismus allmählich
ill Italien gewinnt. Ich will nicht behaupten, daß
alle Künstler hier ihren Nietzsche gründlich kennen oder
voil Mar Stirner etwas gehört, geschweige ihn gelesen
haben. Aber durchgesickert ist denn doch Manches von
Nietzsche's ästhetischen Theorien, wenn auch nur infolge
kritischer Besprechungen ill Journalen, und es hat
sich daraus die individualistische Denkweise, deil Künstlern
selber vielleicht unbewußt, bei ihnen ausgebildet. Ein
anderes Moment, wohl noch bedeutsamer für deil Zug
der Individualität, ist die überaus reiche Fülle von
künstlerischem Bildungsmaterial, das den Modernen
zugänglich ist. vermittelst der Photographie — um nur
beispielsweise eines der vielen Hilfsmittel anzuführen —
kann sich der junge Künstler mit allen Meistern der Ver-
gangenheit bekanilt macheil, während ihm zugleich die
neuereil kunstgeschichtlichen Werke und Kunstzeitschriften
Aufschlüsse über die seelischen Vorgänge geben, die für die
Schaffenden vor und während der Entstehung ihrer
Schöpfungen bestimmend waren. Hat der junge Künstler
das persönliche aber erst als deil Impuls seiner Vor-
bilder erkannt, so wird er im eigenen Können auch erst
dann Gellüge finden, wenn er für sich den persönlichen
Ausdruck erstrebt. Für Italien ist dies eine äußerst
heilsame Neaktion gegen die zum Glück beinahe über
wundene vulgär realistische Genremalerei, der wir bald
eine hochgeschürzte Wasserträgerin, bald einen wein
seligen, feisteil alten Klosterbruder verdanken, oder einen
Lseljungen, der Fliegen vom Nücken seines geduldigen
Gefährten jagt, und was man sollst noch an derlei
italienischen Motiven in deil europäischen Ausstellungeil
und Kunstläden zum Ueberdruß sah.
Jetzt ist das anders geworden. Es hat sich ein
künstlerisches Gewisseil herausgebildet, freilich erst nach
manchem tollen Anlauf knabenhafter Begeisterung und
darauf folgender Entmuthigung. Und das Ergebnis
dieser Gährung und Klärung ist ein determinirtes
wollen, darauf gerichtet, das Leben so zu schildern,
wie es irgendwo in unserer vielgeltaltigeil Kulturwelt
zu finden ist, oder wenigstens, wenn selbst das Motiv
der Vergangenheit entnommen ist, dieses so aufzufasten,
daß es geistig im Zusammenhang mit unserer ^eit
steht. Das künstlerische Gewisseil und die Vndividualitat
in der Konzeption sind die wesentlichen Faktoren, die
bestimmend auf die Niehlung jedes Einzelnen einwirken.
 
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