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Die Kunst-Halle — 9.1904

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Nummer 16
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Brieger, Lothar: Zur Entwicklung der russischen Malerei im 19. Jahrhundert
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Galland, Georg: Grosse Berliner Kunstausstellung 1904
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Die Kunst-Halle.

2^6

Nr. (6

Aber wir wollen gerecht sein und erkennen, welch'
Ungeheures für die russische Malerei durch dieses noch
so unendlich primitive Nachstammeln der Natur geleistet
war. Und müssen wir daher Brjullow den Lorbeer
des Genies absprechen, so wollen wir ihn dafür mit
dem nicht minder schönen Neis eines großen Kunst-
reformators schmücken.

Zrorre Miner Runrtzurrtellung 1S04.

I.
^E^ie Frage, ob die großen Kunstausstellungen nur
die Kunst ohne Rücksicht auf die Künstler
da sind, wird immer wieder aufgeworfen, und
von denen, welche das sachliche über das persönliche
Interesse stellen, natürlich sofort bejaht. Bei näherem
Hinsehen erweisen sich aber die klugen Herren, die sich
sehr fortgeschritten vorkommen, gewöhnlich entweder als
Leute, die selber „nicht vom Bau" sind, die also, weil
ihnen hierbei jedes persönliche Interesse abgeht, es sehr
leicht haben, famos sachlich zu entscheiden — oder aber
als Künstler von edler Einbildung, die der Meinung
sind, daß sie allein die wirklich echte und große Kunst
erzeugen und daß man lediglich sie nöthig habe, um
Jahr für Jahr den Bedarf an „Elitekunst" für eine
ganze Sommerausstellung zu decken. Was gelten ihnen
all' die jammervollen Opfer von so und so vielen
künstlerisch arbeitenden Menschenexistenzen? I/art 1s vsut,
— und damit basta! . . Ein Weiser hat einmal ge-
sagt: Es kommt auf der schlechtesten der Welten nicht
so sehr auf die Wahrheit als darauf an, für jeden
Grad von Verrücktheit den äußeren Schein der Wahr-
heit zu finden; drangsalire Du die Menschen so viel
Du nur kannst, doch erwecke dabei den Anschein, als
seiest vielmehr Du der arme Drangsalirte. Ein köst-
licher Grundsatz, den sich in unseren Tagen die Sezession
so wundervoll anzueignen wußte, daß sie überall
Glaubensselige gewann. Sie sagt zwar l'ark Is vsut,
aber sie meint autokratischer als je ein Autokrat, daß
sie und die Sache eine Identität vorstellen. Soll man
sich zu den immer kecker auftretenden Glaubensseligen
gesellen: als ein Wissender oder, ehrlich gesagt, be-
trogener Betrüger? Wer vermag in diesem Dilemma
den rechten Weg zu finden, die oben gestellte Frage,
die heute die Kunstkreise in Athem hält und die Leiden-
schaften maßlos aufwühlt, so zu beantworten, daß alle
ernsthasten Gesichtspunkte berücksichtigt sind? Bevor
aber das Räthsel nicht gelöst ist, hat Niemand ein be-
gründetes Recht, die Ueberzeugung der anderen Seite,
so wie es leider täglich öffentlich geschieht, zu ver-
dächtigen. Einstweilen wird man wohl die Grundsätze
einer bedingten Toleranz nach links und rechts, wonach
— der Aussage Prof. Ernst Koerners entsprechend —
die Große Berliner Kunstausstellung verfährt, gelten
lassen dürfen. Mag sich dabei auch das künstlerische
Resultat dieser Ausstellungen nicht immer gleich günstig
gestalten.
Dieser Schluß beweist wohl, daß ich mir auch da,
wo ich vertheidigen will, nicht das Recht ungeschminkter
Kritik schmälern lasse. Zugleich sage ich mir aber, daß
es kein übles Resultat ist, wenn ich unter den (200 Ge-
mälden der Ausstellung vorweg etwa (00 gute Arbeiten
feststelle. Einige werden vielleicht weniger, Andere weit

mehr finden. Und dazu bedarf es eben einer gewissen
Vollzähligkeit der ernsthaften Produktion des Jahres,
daß den Kunstfreunden Gelegenheit geboten werde,
das Annehmbare selbständig zu eruiren. Hat die Per-
sönlichkeit des Künstlers ein Recht, warum nicht auch
die des Kunstliebhabers? Die rigorose Jury behandelt
doch eigentlich die Kunstkonsumenten wie unmündige
Kinder, indem sie jene zwingen möchte, nur das zu
goutiren und zu kaufen, was sie für gut befindet. . . .
Da freue ich mich über ein Damenbildniß von Erich
LItze-Lharlottenburg. Niemals habe ich bisher von
dem Autor, dessen Studien auf Paris hinwiesen, gehört.
Seine jugendliche Frauenfigur steht lebendig, kraftvoll
im Goldtone des lufterfüllten Raumes, neben ihr zur
Linken ein Stück ihres Spiegelbildes und rechts eine
ältere Dame, zur Hälfte wie mit dem Radirgummi
weggewischt. Ich kann mir leicht vorstellen, daß eine
auf die Gelecktheit Kiesel'scher Porträts eingeschworene
Jury auch die beiden, etwas schwärzlich gerathenen
Schwesternköpfe von Eltze hätte abweisen können; und
das wäre doch gewiß ein Verlust gewesen.
An gut getroffenen, sauber gezeichneten und hübsch
gemalten Bildnissen ist dagegen kein Mangel selbst in
der Berliner Abtheilung dieser Ausstellung. Ist doch
sogar einem neuen heimischen Talent, Alfred Schwarz,
der besonders der hohen Geschmackskultur eines van
Dyck und Sargent Manches entlehnte, der Vorzug eines
eigenen Saales gewährt worden. Den vornehm
graziösen Stil von Sargent, freilich ohne dessen Geist
und Pinselführung, besitzt zumal das Vollbild von Frau
May Mayer, die im Federhut und weißen Mantel auf
grünem Kanapö sitzt. Sorgsam und frisch gemalt wirkt
das frontale Kniestück eines Fräulein Agathe M. Auch
einige andere Frauenbildnisse des Saales fallen durch
die Geschicklichkeit dieses Malers und die Schönheit
seiner Modelle angenehm auf; an den Männerxorträts
ist dagegen nichts erwähnenswerth. Auf annähernd
gleich beträchtlichem Niveau stehen übrigens auch die
Porträtarbeiten von Fritz Greve (Kindergrupxe im
Freien), Johannes Tillack (Damenbrustbild in Aquarell),
die physiognomisch feinen Herrenbildnisse von Ernst
Hildebrandt, H. Hellhoff, H. Albrecht, Hugo Vogel,
G. L. Meyn, R. Schulte im Hofe und Renowitzky.
Vor Allem aber muß als der Erfolgreichste in dieser
Gruppe Hanns Fechner mit mehreren Konterfeien
politischer Größen, des Reichskanzlers von Bülow rc.,
sowie fürstlicher Personen, darunter die blau unifor-
mirte Halbfigur des Prinz-Regenten Luitpold von
Bayern und eine Pastellstudie des edlen Kopfes der
jugendlichen Großherzogin von Hessen, genannt werden;
er weiß das Repräsentative seiner Bildnisse der ge-
gebenen Tharakteristik oft glücklich unterzuordnen. Max
Fabian huldigt in der Vollfigur eines jungen Malers
einer auffällig schlichten, wuchtigen und großflächigen
Behandlung, die hier indeß nicht sonderlich reizvoll
wirkt. Unter den kleinen Arbeiten muß vor allem das
überaus anspruchslos aufgefaßte Selbstbildniß des ver-
ehrten Altmeisters L. Knaus erwähnt werden. Neben
diesem offenbar älteren Werke fesseln noch besonders
ein intimes Zimmer-Interieur, in das Tarl Bennewitz
von Loefen jr. das frische Embonpoint seiner Mutter
hineinsetzte, ein blasser, interessanter Frauenkopf auf
dunklem Grunde von Marie von Eickhof-Reitzenstein
und das mehr genreartig behandelte, fein beleuchtete
und ausdrucksvolle Doppelbildniß eines jungen Künstler-
paares von G. L. Meyn.
Die Berliner Landschafter bereiten dem Publikum
noch weniger Ueberraschung als die Porträtmaler. In
der Bewilligung ganzer Räume für geschlossene Samm-
 
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