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Die Kunst-Halle — 9.1904

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Nummer 20
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Zimmern, Helen: Die historische Ausstellung in Siena
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Neumann, Ernst: Was die Kunst in Paris sagt
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Nr. 20

Die Run st-Halle.

309

Italien auch mit Donatello und Michelangelo gleich-
stellt, wie er in Wahrheit der geistige Vater Michel-
angelo's ist. Der Name di Ouercia, „von der Eiche",
paßt vortrefflich für ihn; in der That ein Eichbaum,
dessen Wurzeln festen Grund gefaßt haben im Boden
des vorrömischen Etrurien, und dessen Zweige weit
hinausragen, nicht allein über seine eigene Generation,
sondern auch über die nächstfolgenden, indem er einen
Zug von Anmuth und Gefühl einführte, wie solcher
erst späteren Jahrhunderten eigen ist. In einer fünf
Statuen umfassenden Gruppe, die Jungfrau Maria
zwischen vier Heiligen, hat er die erhabenen Eigen-
schaften seines Könnens in charakteristischer Weise
entfaltet. Die Madonna, des Kindes Nacken lieb-
kosend, zeigt den Künstler im Darstellen zärtlicher Ge-
fühle; die Heiligen lassen ihn in der Strenge als Meister
erkennen. Die Zeit hat die ursprünglichen Vergoldungen
mit einer Patina überzogen, die ihnen einen Bronzeton
giebt, dessen harmonische Wirkung durch die Fresko-
malerei dahinter erhöht wird. Das daneben aufgestellte
Werk ist die sehr zart aufgefaßte knieende Figur eines
trauernden Johannes von Gazzarelli, Schüler Francesco
Giorgia's und Schöpfer des Meisterwerkes im plastischen
Gefühlsausdruck: „Die Beweinung Christi", das die
vor den Thoren Siena's gelegene Kirche der Observanten
schmückt, die wegen der Della Robbias, die sie auf-
zuweisen hat, von allen Touristen aufgesucht wird.
Wunderbar rührend muthet die büßende Magdalena
von Merroccio di Bartolomeo an, deren Hände zwar
zerbrochen sind und keine Gaben mehr halten können,
die aber doch in ihrem Schmerz so tief ergreifend
wirkt, daß sie nun, wo sie der bisherigen Vergessenheit
entzogen ist, ihren Schöpfer auf einen Ehrenplatz unter
den größten Bildhauern erhebt. Wo es nicht möglich
war, die Originale der von sienesischen Bildhauern
für andere Städte Italiens hergestellten Skulpturen
herbeizuschaffen, ist für Abgüsse gesorgt worden. Eine
besondere Erwähnung verdient hier das Grabmal des
Nechtsgelehrten und Dichters Tino da piftoja aus der
Kathedrale von pistoja, das von dem Sienaer Bild-
hauer Tellino di Nese herrührt. Es zeigt Lino auf
dem Lehrstuhl, zu achr Schülern sprechend, deren einer
Petrarca ist, jener Schüler, der dem gestorbenen Lehrer
das glänzende Sonett widmete, das der ganzen sienesischen
Kunst des (p Jahrhunderts als Grabschrift dienen
könnte, mit der darin harmonischen Vereinigung von
Geist und Gefühl:
„VikMAtzttz, äouutz, 60U voi PMUAL ÄNwre.
ViauAkts, LMLnti, per omseuu pg.686 . . . ."
Sodann ist auch eine Kopie des unvergleichlichen Grab-
mals aus der Kathedrale von Lucca vorhanden, durch
das Iacopo di Ouercia die Ilaria del Taretto un-
sterblich gemacht hat, jene anmuthige Dame, die nun
im Bilde für immer ihr holdseliges Lächeln zeigt,
während ein Kreis kleiner Genien die schlafende Schöne
im munteren Neigen umtanzt. Das Beste aber und
vielleicht das höchste Meisterwerk seiner Art in dieser
Ausstellung ist die wiedererstandene Fonte Gaja, deren
Original aus dem so. Jahrhundert stammt und jetzt
zusammengefügt wurde aus den 80 kostbaren Frag-
menten, die unbeachtet und in wüster Unordnung im
Opera del Duomo-Museum Herumlagen. Nun aber
wird das Werk erfreulicher weise für immer zur Er-
innerung an das künstlerische Ereigniß dieser Aus-
stellung in dem Palast verbleiben. Der Schöpfer dieser
Fontäne, die wirklich geeignet war, den muschelförmigen
Tampo, wo sie vi8-ü-vi8 dem majestätischen Palazzo
pubblico stand, einen heiteren Zug zu verleihen, ist
Iacopo di Auercia und ihr Vernichter, zu seiner

Schande sei es gesagt, Tito Serrocchi, dem (868 die
Sienaer Stadtväter aus mißverstandenem Anstandsgefühl
gestatteten, das von der Zeit beschädigte Kunstwerk
durch eine freie, handwerksmäßige Kopie seiner eigenen
Mache zu ersetzen.
(Schluß folgt.)


Vsr öle Aunrt in ragt.
Von Ernst Neumann, Paris.

I. Ausstellung der Kostete Rationale äe8 Lss,ux-^rt8.
(Schluß.)
oldini, der alte Routinier und Kenner, bietet uns
zwei Frauengestalten, verschieden in Bewegung und
Farbenumgebung und doch so ähnlich. Die Bilder
sind von enormer Größe und hängen Nahmen an Rahmen.
Das eine nennt er „Porträt der Prinzessin H ..." Ls
zeigt eine Dame, gekleidet ä Ig, Duuog.u, aber von
eleganten, scharfgeschnittenen Formen. In kühner, bei-
nahe unfaßbarer Pose ruht sie halb sitzend, halb liegend
auf einem Löwenkörper, den Arm gestützt, und die Hand
in den zottigen Hals des Thieres vergraben. Alles in
frischem Grau gehalten, bildet das goldbraune Löwen-
thier den einzigen, aber sehr energischen Farben- und
Stoffkontrast des Ganzen. Donnerwetter, ist das eine
Symbolik, und mit welcher Kühnheit ausgeführt! Das
andere Bild stellt eine stolze Frau dar, welche mit weit
ausholender Bewegung sich eine schwarze Federboa um
den Hals zieht. Anscheinend sitzt diese Frau auf einem
Stuhl, in Wirklichkeit fliegt das ganze Bild, wenigstens
war der pinsel des Künstlers vom Sturm gepeitscht,
als er ihr dieses blaue Gewand um die Hüsten, Schenkel,
Knie und Waden warf. Dies Gewand, von großen
silbernen Sternen und fast kopfgroßen rothen Rosen
überwuchert, ist so eng und nach dem Körper modellirt,
daß eine Nacktheit eine Nonnenkutte dagegen erscheint.
Zwei Bilder von einem verwegenen Temperament und
fabelhaftem zeichnerischen Können diktirt.
Daneben erscheinen die beiden Porträts von Aman
Jean, zwei Klosterfrauen, welche sorgfältig das zu
verstecken suchen, was sie nicht verheimlichen können,
nämlich ihren Charakter. Da das Ganze in vornehmen
Bewegungen und stumpfen, dezenten Farben gehalten
ist, sind allein die Köpfe auffallend. Ein eigen-
tümlich mokanter Zug, der unter den Backen scharfe
Einziehungen hervorruft und an den spitz auslaufenden
Lippen endigt, giebt diesen beiden Frauen ein Gepräge,
das der Beschauer nicht so leicht vergessen wird. Die
beiden Damen geben in der Ausstellung durch die
Bilder eine Visitenkarte ab, welche niemand wagen
wird hinter den Spiegel zu stecken.
Anglada Tama rasa, welcher ein Sechstett von
wenigen umfangreichen Bildern zur Ausstellung ge-
bracht hat, arbeitet mit ganz entgegengesetzten Mitteln.
Seine Bilder sind phantasmagorien in theils glühen-
den, theils giftig kalten Farbenxolstern. Sie ver-
rathen ebensowohl den Spanier, wie ein merkwürdig
bizarr gährendes Temperament. Eines dieser be-
ängstigenden Bilder ist mir besonders im Gedächtniß
geblieben, er nennt es „ckLräiu Ooueert". Von einem
Konzert ist allerdings auf den ersten Blick nichts zu
 
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