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Die Kunst-Halle — 9.1904

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Nummer 22
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Künstler über Kunst
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Thomas, Bertha: Die Londoner Ausstellungen
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Z-^2 Vie Kunst-Halle^ Nr. 22

wendet, nicht der Allgemeinheit zu gute kommt, sondern
sich speziell auf sein Finanzobjekt beschränkt. In diesem
Falle hat die Individualität mehr die Bedeutung einer
Fabrikmarke, als daß sie einen künstlerischen Vorzug
repräsentirt.
Der Künstler kann die starke Betonung seiner In-
dividualität gebrauchen als technisches Mittel, um seinem
verschiedenartigen Material ein einheitliches Gepräge
aufzudrücken. Der Zusammenhang ist jedoch nur dann
ein organischer, wenn er aus dem inneren Mesen der
Bestandtheile hervorgeht oder ihnen zum wenigsten ent-
spricht." ...

Nie Londoner Mrtellungen.
von Bertha Thomas, London.

hat immer sein Mißliches, über eine große und
umfassende Ausstellung ein Gesammturtheil zu
fällen. Solche Verdikte sind meist oberflächlich
und unbillig. Indessen möchte ich doch meine in der
Boy al Academy gewonnenen Eindrücke kurz zu-
sammenfassen. Mir war nämlich beim verlassen der
Säle zu Muthe, als käme ich aus einem großen Kon-
fitürenbazar. Da waren Süßigkeiten von guter und
sehr guter Qualität, in reichster Auswahl, leichte waare
und schwerere, Früchte und Spezereien. Die wenigen
bemerkenswerthen Bilder aber, die nicht in diese Kate-
gorie gehören, sind keineswegs so überwältigend, daß
sie dem Grundcharakter der ganzen Ausstellung entgegen-
zuwirken vermöchten. Im Auf und Ab des Laufes der
Zeiten ist augenblicklich Frohsinn die herrschende Stim-
mung im Lande, und die Kunst reflektirt diesen Zustand.
Gewiß kein übles Zeichen, nur darf hinter dem opti-
mistischen Treiben nicht senile Scheu vor dem Neuen
oder starken Leidenschaften stecken.
In der Technik mag ein noch höheres Durchschnitts-
niveau als bisher erreicht sein. Dahingegen macht sich
ein offenbarer Mangel an höherer künstlerischer In-
telligenz bemerkbar. Millais, Leighton, Burne Jones,
Holman Hunt, Watts bekundeten — Jeder auf seine
weise — die freie Initiative, den unabhängigen weiten
Blick, die tiefgreifende Einsicht und die Kraft der Phan-
tasie, kurz, alle Eigenschaften, die den Führer in der
Kunst ausmachen, von unseren lebenden Künstlern
unter sechzig Jahren ist Sargent der Einzige, dem diese
Gaben nachzurühmen sind. Drei oder vier recht tüchtige
Maler, die mit anspruchsvollen großen allegorischen
Bildern in der Royal Academy vertreten sind, haben
die Wahl solch' hoher Motive keineswegs durch an-
gemessene Wiedergabe gerechtfertigt. Sie verfügen
eben nicht über jene Meisterschaft, die selbst das Banale
annehmbar zu machen versteht. So berührt S. Goetze's
„verachtet und verworfen von den Menschen", obwohl
vortrefflich ausgeführt, unangenehm prätentiös. Die
Komposition zeigt Christus mit der Dornenkrone an
eine erhöhte Säule gebunden, um deren Postament eine
bunte Menge moderner Klassentypen in ihrem Thun
und Treiben dargestellt sind. Der Realismus darin ist
grob, der Idealismus unwahr, die Tendenz ist auf-
dringlich, viel zu stark accentuirt, da bleibt nichts der
Suggestion vorbehalten. Die für ein symbolisches Motiv
unerläßliche Vornehmheit und Subtilität, ohne die ein
solches Werk höchstens einen Augenblickserfolg haben
kann, fehlen sowohl diesem, wie den ihm verwandten

Bildern. Briton Riviere's „Jugend" wird sie trotz
Nasenrümpfens der Kritik über das simple, altfränkische
Sujet wahrscheinlich überleben. Das Bild zeigt einen
hübschen Edelknaben zu Pferde in der Tracht des fünf-
zehnten Jahrhunderts mit seiner Meute auf der Falken-
beize, der so vom Interesse an dem Vogel auf seiner
Faust und der durch ihn erlangten Beute absorbirt ist,
daß er den Abgrund nicht sieht, vor dem sein Roß —
ein glänzend gemaltes Thier — angstvoll zurückscheut,
während auch die Hunde sich vorsichtig um den Rand
herum versammeln. Hier finden wir wenigstens Schön-
heit der Zeichnung mit malerischem Reiz vereint, und
das verhältniß des Menschen zu seinen vierfüßigen
Freunden und Dienern ist trefflich angedeutet, ob vom
Maler gewollt oder unbeabsichtigt, mag dahingestellt
sein. Zur allgemeinen Enttäuschung der Ausstellungs-
besucher ist L. Alma Tadema mit seiner großen
Komposition „pharao's Tochter, sich des ausgesetzten
Moses annehmend" nicht fertig geworden. Indessen
hat er ein kleines Meisterwerk geschickt „Der immer
neue Horizont": ein aus den einfachsten Elementen be-
stehendes Motiv, ohne komplizirtes Detail, in milden
Farben gehalten, Entwurf und Ausführung gleich schön
und fesselnd, von den dargestellten drei jungen Mädchen,
die über eine Marmorballustrade nach dem Meere
hinausblicken, zeigt jede ein anderes Temperament, das
sich in ihrer besonderen Art des Schauens und ihrer
Stellung dabei bekundet — die Eine nachdenklich er-
wartungsvoll, die Zweite kühl beobachtend, die Dritte
sehr lebhaft und eifrig. Ein Bild voll der feinsten
Stimmungsnuancen und von aumuthiger Würde.
Seit einer Reihe von Jahren steht unter den inter-
essanten Bildnißmalern Sargent obenan, und er scheint
diesen Platz auch fernerhin behaupten zu wollen, ob-
gleich in einigen riesigen offiziellen Paradebildnissen, die
hier von ihm ausgestellt sind, seinen höchsten Gaben
kein freier Spielraum gewährt war. Andere Porträts,
in denen er sein außergewöhnliches und vielseitiges
Können als Tharakterschilderer zeigen konnte, sind die
der Mrs. Wertheimer, des Mr. T. L. Devit, Präsident
der Schifffahrts - Föderation, und der Herzogin von
Sutherland. So verschieden diese sozialen Typen, so
gleich vollendet sind sie wiedergegeben, jeder in seiner
weise. T. w. Furse, das neue Mitglied (Associate)
der Akademie, hat in der Zeichnung und Farbengebung
Glänzendes geleistet mit seiner „Diana ot tlls Dplanä"
(Diana des Hochlands). Das so betitelte Bild ist das
lebensgroße Porträt einer Dame, die bei starkem wind
über ein Hochmoor schreitet, zwei große schöne Wind-
hunde an einer Leine zügelnd. Die Ausführung mag
nicht einwandsfrei sein, aber die Komposition ist prächtig
originell, natürlich und voller Leben, wie auch malerisch
wirksam. Es ist das beste Bild dieses Malers, der
seinen weg gemacht hat und noch weiter machen wird.
David Farquarson hat einen starken Erfolg mit
seinem „Vollmond und Springflut" erzielt; eine Land-
schaft von jenem Umfang, der ein Uebersehenwerden
ausschließt, wenn auch der Eindruck nicht immer ein
nachhaltiger ist. In diesem Fall jedoch ist ein groß-
artiges Naturschauspiel, die vom Mond beleuchtete
brandende See, mit der Kraft des Genies erfaßt und
wiedergegeben. Die Landschaftsmalerei ist im Ganzen
nicht besonders würdig in dieser Gallerte vertreten.
Edmund Stott's kleines Werk „Die alte Barke", eine
Studie der hereinbrechenden Abenddämmerung, während
an einem Marsch- oder Kanalufer ein Boot von einem
Pferde geschleppt wird, steht fast einzig da als Lrzeugniß
jener Kunst, die eine aus bestimmten Bedingungen sich
ergebende Stimmung einer Landschaft uns wirklich so
 
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