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Die Kunst-Halle — 9.1904

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Nummer 22
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Thomas, Bertha: Die Londoner Ausstellungen
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Die Kunst-Halle.

Nr. 22

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übermittelt, wie der Maler selbst sie der Natur ab-
gelauscht hat.
Ls scheint, daß bei unseren Künstlerinnen mit
der durch Beseitigung der alten Beschränkungen und
vorurtheile seitens der Akademie ihnen eingeräumten
besseren Position keine Verbesserung der Leistungen ein-
getreten ist. Miß Kemp welch aber zeigt sich ganz
auf der Höhe ihres bewährten Könnens in „Holz-
schleifen im New Forest": eine charakteristische Kom-
position, in welcher namentlich die Aktion der fünf
robusten Gäule, welche die gefällten Baumstämme
ziehen, meisterhaft zur Anschauung gebracht ist. T. w.
Furse hat ein ähnliches Motiv in einem prächtigen
Bilde behandelt, ausgestellt im New Lnglish Art Tlub,
das vielleicht noch vornehmer und malerischer wirkt
und einen feineren koloristischen Neiz besitzt. An Frei-
heit und Lebendigkeit des Entwurfs läßt aber die Dar-
stellung von weiblicher Hand nichts zu wünschen.
Obwohl ich Eingangs Watts unter den Malern
der Vergangenheit erwähnte, ist er docb selten so
hervorragend an den Ausstellungen betheiligt gewesen,
wie in dieser Saison. Im äußeren Hofe des Burling-
ton-Hauses hat seine kolossale Neiterstatue „RbyZioal
KuorKy" (Körperkraft) Aufstellung gefunden. Die
Idee ist ausgedrückt durch einen Mann in primitiver
Nacktheit, auf einem sich bäumenden Rosse reitend.
Das Bildwerk fesselt durch den imponirenden Entwurf
und die edle Auffassung in schöner, wenn auch nicht
tadelloser Ausführung. Außerdem sandte er ein
schönes Porträt, genannt „Lilian", das ein junges
Mädchen im Freien mit einem Blumenkörbe darstellt.
Der New Gallery sandte er fünf Werke von Be-
deutung. An seinem „?roZ-rs8s" (Fortschritt) können
seine jüngeren Kunstgenossen studiren, wie ein ernstes
allegorisches Sujet dargestellt werden muß — nämlich
so, daß der Hauptgedanke klar zu erkennen, Anderes
aber nur so viel angedeutet ist, um des Beschauers
Phantasie anzuregen, ihm die weitere Erklärung selbst
überlassend. „Eine Fuge" ist ein seltsamer, um nicht
zu sagen schrullenhafter Streifzug dieses fruchtbarsten
Malers in das Gebiet der französischen dekorativen
Kunst des (8. Jahrhunderts — ein aufrecht spiral-
förmiges Gewinde aus ungeflügelten Amoretten und
Blumen um den Schaft einer Säule — ein geschickt
gemaltes Stück, dessen solide Technik aber nicht recht
zu dem graziösen, leichten Genre paßt. Sein „woher?
Wohin?" ist eine leicht zu fassende Allegorie. Das er-
weckte Leben ist personisizirt durch ein nacktes Knäblem,
das sich plötzlich der weiten Welt gegenüber sieht.
Just dieselbe Idee führt uns der interessante junge
Maler Peacock in der Royal Academy vor, und der
Gegensatz zwischen den beiden Auffassungen ist charakte-
ristisch. Watts' kleiner Findling ist dein Meer ent-
stiegen und rennt in vollem Lauf den sandigen Strand
hinan, das Antlitz von fragender Verwunderung belebt,
peacock's Baby sitzt gemüthlich auf einer grünbe-
wachsenen Anhöhe, wie vom Himmel herabgefallen,
inmitten einer poetisch schönen Gebirgsgegend, und
wendet dem Beschauer ein schelmisch selbstzufriedenes
Kindergesicht zu. Ls ist keine klassische Kinderfigur,
nur ein Sprößling der heutigen Welt, mit jenem un-
bezwinglichen Trieb und willen zum Leben im Antlitz
ausgedrückt, wie sich dies bei Watts in der körperlichen
Bewegung kundgiebt. Zu den hervorragendsten Bildern
der Akademie gehört auch der von Orchardson be-
wundernswerth gemalte Kopf des Sir S. Montagne,
worin Kraft mit Zartheit vereint ist. Professor
Hubert He rkomer hat sein starkes Können an ein
Porträt Lhamberlain's gesetzt, dessen schwer zu ent-

rätselnder Persönlichkeit keines Malers Kunst ge-
wachsen scheint, vermuthlich, weil schon eine oberfläch-
liche täuschende Aehnlichkeit mit wenig Mühe zu erzielen
ist. Mehr als ein solcher Anschein von treuer Wieder-
gabe bei recht einseitiger Auffassung ist selbst den be-
rühmtesten Porträtisten nicht gelungen, und in diesem
neuesten Fall ist keine Ausnahme zu konstatiren.
Klassische Motive, die man jetzt gemeinhin „aka-
demisch" zu benennen pflegt, sind noch nie so außer
Mode gewesen, wie jetzt. Doch Herbert Draper's
„Goldenes Fließ" ist ein ebenso wohl mit Liebe, wie
mit künstlerischem Geschick gemaltes Bild, dem un-
bedingtes Lob zu zollen ist. Der Entwurf zeigt Medea,
wie sie zu Schiff mit ihrer Beute entflieht, und, vom
Fahrzeug ihres Vaters verfolgt, ihren jungen Bruder-
unbarmherzig über Bord wirft, damit der König durch
das Bemühen, des Sohnes Leiche zu bergen, von der
Verfolgung zurückgehalten werde. Die glänzende Be-
handlung der Medea-Gestalt, wie die malerische Schön-
heit der Komposition lassen uns das Unmenschliche des
Sujets vergessen. Auch hat der Maler im richtigen
Gefühl für die inne zu haltenden Grenzen der Kunst
das Element des Grauenhaften nicht stark betont, was
für den Erfolg von wesentlicher Bedeutung ist.
Außer den Werken von Watts hat die New Gallery
nichts besonders Hervorragendes aufzuweisen. Lines
der besten Porträts daselbst ist Lavery's lebensgroße
Darstellung des Leutnants Freiherr von Neimans in
blauer Uniform, eine in ihrer ruhigen Vornehmheit
wirksame und dabei markant charakteristische Wieder-
gabe, ohne Pose oder Grimasse, und ganz frei von
Manier, wenn dasselbe nicht von Mancini's Bild-
niß des Barons Taccamisi zu sagen ist, so müssen wir
doch diesen Künstler — einen der wenigen Ausländer
unter den diesmaligen Ausstellern — wegen seiner
Kraft und Sicherheit im Individualismen rühmen,
wodurch er hier, wo diese Gaben unter den Porträtisten
etwas so Seltenes sind, die Aufmerksamkeit unbedingt
fesselt. „Kn Voyao-6» ebenfalls ein Bildniß, das er in
der Akademie hat, ist ein weit angenehmeres Werk
Mancini's und, obwohl diskret behandelt, wird auch
dies nicht leicht übersehen werden.
Die „Royal Looioty ok ^Vator Oolour ?rrlist8"
hat in diesem Jahr ihr (OOjähriges Stiftungsfest ge-
feiert, was ein Ereigniß in der Kunstwelt bedeutet.
England hat von jeher in der Aquarellmalerei einen
ehrenvollen Platz behauptet. So ist auch die genannte
Gesellschaft in ihrer Zentenar-Ausstellung in bekannter
Vortrefflichkeit durch ausnahmslos gute Erzeugnisse
vertreten. Ueber dem gewohnten Niveau aber steht
das jüngst als Associate aufgenommene Mitglied
I. S. Sargent, dessen fünf Skizzen die interessantesten
Bilder der Sammlung sind. Sie überstrahlen durch
Lebendigkeit und Kraft die ganze Ausstellung und sind
so glänzend gemalt, daß sie zwischen den übrigen Bei-
trägen aussehen, wie frischgepflückte Blumen im
Magazin einer Blumenfabrik, deren Erzeugnisse ^war
in ihrer Art künstlerisch vollendet und der Natur-
täuschend ähnlich hergestellt sind, doch nur so lange
täuschen, wie Einem keine lebenden Blumen daneben
gezeigt werden.
Die schon erwähnte vorzügliche kleine Ausstellung
des „Rov Kußflisll Olud" enthält außer Steer's
bedeutender Landschaft „Richmond Tastle" zwei Ge-
mälde Rothensiein's, die geeignet sind, Interesse zu
erregen. Beider Schauplatz ist die „Talmudschule";
ein Interieur mit einer Gruppe von Rabbinern, die
in ihr Studium vertieft, theils vom schwindenden
Tageslicht, theils von Kerzenschein beleuchtet sind. Die
 
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