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Die Kunst-Halle — 9.1904

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Nummer 12
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Knorr, E.: Ein ernstes Wort an alle Berufsgenossen
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Harrach, Max: Neue kunstgewerbliche Techniken
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Die Aunst-Halle.

Nr. s2


geringe Veranlassung genügen, Alles aus's Spiel zu
setzen. Ein Nervenchoc wird, wenn er milde Folgen
hat, theilweise lähmen, andernfalls tödten, den Geist
zerrütten, oder auch zu langsamer Zersetzung führen.
Somit hängt fetzt Alles davon ab, den Kranken vor
Erregung zu bewahren, denn wenn das nicht gelingt,
so geht er wahrscheinlich seinen Genossen und seiner
Kunst körperlich oder geistig verloren. Die Heilung ist
schon dann fraglich, wenn ihn nur das mildeste von
Allem, eine theilweise Lähmung trifft. Es wird sehr-
schwer sein, die durchaus nothwendige Seelenruhe
für den Kranken zu erreichen. Sein Arzt kann nur langsam
Einfluß auf ihn gewinnen, und so wird es lange dauern, bis
die quälenden Traumbilder wirklichen: Schlaf weichen,
die Bewegungen an Gezwungenheit nachlassen, die
Zuckungen unter dem galvanischen Strom zunehmen,
die nach dem Nervenchoc zusammengefallenen Muskeln
sich wieder zu schwellen beginnen; und wenn dann
nach weiteren Monaten die ärztliche Behandlung aus-
hören kann, so bleibt noch eine bedenkliche Schwäche
in der Hand, die bei der ersten Ueberanstrengung alles
Erreichte zunichte machen kann. Der Genesende darf
noch für Jahre nicht an dauerndes Zeichnen oder
Malen denken, nicht nur wegen der Schwäche der Hand;
auch die Muthlosigkeit wird wiederkehren. Es wird
noch lange ein Schatten über ihm liegen, ein Schatten,
den nur sehr wenige überwinden werden, diejenige::,
welche eine gesunde Seele, eine starke Konstitution, eine
volle moralische Kraft besitzen, willenlose, ja auch nur
Willensschwäche werden diese Krankheit nie überwinden.
Die naturgemäßen Folgen der Arbeitsbedingungen:
Mangel an starker, körperlicher Bewegung, dauernde
Benutzung nur eines Gliedes, Ueberreizung der Nerven,
fortgesetzte seelische Erregung bilden oder fördern wie
gesagt diese Berufserkrankung, sie droht Allen, deren
Körper oder Psyche die nothwendige Widerstandskraft
fehlt — das ist eine sehr ernste Sorge.
Nun ist die ärztliche Behandlung nichts als ein
systematisches Ausgleichen alles dessen, was in der
Berufsarbeit verfehlt wurde, denn sie besteht zuerst
einmal in dem seelischen Einfluß des Arztes auf seinen
Kranken, seinem Beruhigen, Ermuntern, Trösten; dann
in täglichen sorgsam überwachten Turnübungen nut
steigenden Gewichten, in Massagen, elektrischen Sitzungen
und, als Hauptsache, im heranziehen und Neben beider
Hände. Die genau vorgeschriebenen und jedesmal
kontrollirten Schrift- und Zeichenübungen muß die
rechte Hand sowohl, wie die linke machen, beide müssen
auch die Turnübung verrichten, dieselbe Zahl der
Schwingungen leisten, nur das Massiren und Llektrisiren
trifft allein das gelähmte Glied. Daß außerdem das
Fieber energisch unterdrückt werden muß, die Lebens-
bedingungen überwacht, viel Bewegung in frischer
Luft verlangt wird, ist selbstverständlich.
Kann nun aber eine so gefährliche, Leib und Seele
aufs Spiel setzende Krankheit allein durch die Ein-
wirkung naturwidriger Arbeit entstehen, so darf man

wohl annehmen, daß manche Kraft unserer Kunst er-
halten, die Arbeitsfähigkeit Anderer verlängert werden
würde, wenn die Gefahren des Berufes den jungen
Anfängern bewußter gemacht, sie darauf hingewiesen
würden, welche Unnatur es ist, seine ganze Berufs-
arbeit Tag ein Tag aus ein einziges Glied verrichten
zu lassen, und wie doppelt wichtig gerade für sie jede
kräftigende Körperübung ist. Einige wenige möchten
sich so wohl beeinflußen lassen: die verständigen, die sich
durch die Erfahrungen Anderer warnen lassen, ehe sie
selbst den Schaden spüren.
L. Knorr.
W
fleue kunrtgeverbliclie Leckmlcen.
von Mar harrach-Frankfurt a. M.

er treffende Ausspruch Hippolyte Taine's: „Das
Werk eines Künstlers ist niemals das leere Spiel
seiner Phantasie, nicht die zufällige Laune eines
glühenden Kopfes, sondern das Abbild der herrschende::
Kulturströmungen einer bestimmten Zeit" — dieses Wort
hat in besonderem Maße in: Hinblick aus den gegen-
wärtigen Entwicklungsgang des Kunstgewerbes Gel-
tung. Zn unseren Tagen des kulturellen Fortschritts,
der Erfindungen und der Neuerungssucht giebt sich in
analoger Form auch in den angewandten und gewerb-
lichen Künsten ein Hang für neue Erzeugnisse und
neue Techniken kund. Allerdings können diese kunst-
gewerblichen Neuheiten nur in den wenigsten Fällen als
wirkliche Neuheiten gelten. Meist sind sie nichts weiter
als altbewährte Techniken, die in früheren Jahrhunderten
ihre Blüthezeit hatten, dann von den Stilwandlungen
verdrängt wurden und erst durch die Geschmacks-
evolution der modernen Zeit zu neuem Leben erweckt
wurden. Die Zntarsiakunst, das Nitzllo, das Email,
die Kunstmajoliken, die Gobelinstickerei haben bereits in
den Zeiten des (Quattrocento ihre Blüthezeit gehabt
und sind heute wieder „in Mode" gekommen. Zn das
Gebiet der neuen Techniken zählen dagegen die mannig-
fachen Erzeugnisse der Kunstglasindustrie, der Keramik
und der Metallkunst.
Lange Zahrzehnte hindurch hatte das gegen jede
fabrikmäßige Massenfabrikation schöner Stücke so spröde
Glas in den Erzeugnissen des venetianischen Krystalls
seine künstlerischen Musterstücke. Zn den Meistern
Köpping, Gallö, Tiffany, Zsoluay und ihren Nach-
ahmern haben die Muranoer Glasbläser gefähliche Kon-
kurrenten erhalten. Köpping's Kelche mit ihren feinen
Formen und den zarten Farbenreizen, Galle's Ziergläser
mit ihrer metallisch glänzenden Zris und dem aparten
Ueberfangschmelz und die allerdings weniger be-
deutenden amerikanischen Erzeugnisse der ^ittäuy (Kass
auä Dtzeoratins- Oompany stellen einen wirklichen Fort-
schritt der kunstgewerblichen Technik dar. Auch im
Glasmosaik, das den so schwierig zu behandelnden
Glasfluß in Verwerthung bringt, hat sich in neuerer
Zeit eine neue Behandlungsart herausgebildet. Für
wetterbeständige Wandmalereien großen Stils ist in
letzter Zeit an Monumentalbauten Münchens, Berlins,
Frankfurts, Faris' und anderwärts die Glasmosaik-
technik zu neuer Blüthe gelangt.
 
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