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Die Kunst-Halle — 9.1904

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Nummer 23
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Harrach, Max: Das Studium des Nackten in der Kunst
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Seliger, Max: Künstler über Kunst
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Nr. 23

Die Aun st-Halle.

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liegen, zeigen die Bestrebungen einzelner Privatschulen,
die dem zungen Plastiker die klassischen Vorbilder aus-
schließlich durch das lebende Modell ersetzen zu können
glauben. Den läuternden Einfluß der Antike auf den
Kunstjünger hat man im offiziellen akademischen Kunst-
studium längst erkannt. Und wie die humanistischen
Gymnasien nie durch die Reformgymnasien zu ersetzen
sind, wird auch das Kunststudium nach der Antike
niemals durch ein einseitiges Modellstudium ausgeschaltet
werden können. Aber die Einsicht von der eminenten
Wichtigkeit des Aktstudiums auch für den „fertigen"
Künstler möge sich immer mehr befestigen; in ihm liegen
die wurzeln einer gesunden und kraftvollen Kunst.


RünLtler über Aunrt.
M. Seliger.

^/^si^er Direktor der Leipziger Königlichen Akademie
/ für graphische Künste und Buchgewerbe, also
einer höheren Anstalt, welcher wichtige Auf-
gaben für die Volkskunst unserer Zeit obliegen, hat
sich neuerdings in der Jahres - Hauptversammlung des
Verkehrs - Vereins zu Leipzig, von seiner Stelle aus,
darüber geäußert: wie er sich „unser Leben mit der
bildenden Kunst wünsche". Einleitend spricht Professor
Seliger Meinungen aus, die schon von anderer Seite
ziemlich übereinstimmend betont und dabei oft tiefer
begründet wurden. Einige Sätze aus diesem ersten
Abschnitt seien als Beispiele zitirt: „Wie die Kunst eine
Blüthe der Kultur ist, so ist sie auch ein vorzügliches
Mittel, die Kultur zu fördern." „Der Reichthum hat
auch die Pflicht, die Kunst zu fördern und dadurch die
Kulturformen höher zu entwickeln. Wenn es in guter
Gesinnung durch Einführung der bildenden Kunst in
unser Volksleben geschieht, so wohnt dem Reichthum
eine hervorragende erzieherische (?) und versöhnende
Kraft inne." „Wo Kunst ist, da sammelt sich das Volk,
dahin strömt es. Und wo das Volk ist, da ist auch
Kauf und Auftrag, da blüht der Handel."
Ungleich bedeutungsvoller und eigenartiger erscheint
uns das folgende Kapitel des gedruckt vorliegenden
Vortrags*): Ueber unsere Gewerbe- und Kunst-
gewerbearbeit. Es sei uns daher gestattet, einige
wichtige Abschnitte aus diesem Kapitel wiederzugeben.
„Wir müssen — sagt Prof. Seliger — Kunst
möglichst bei aller unserer Arbeit, die wir für die ge-
ringsten und höchsten Bedürfnisse unseres Lebens, also
für den Handel und Verkehr erzeugen, anwenden und
müssen die Kunst unserem arbeitsreichen Leben so nahe
als möglich bringen. Hier liegt der Schwerpunkt
meiner Auffassung von der Anwendung der bildenden
Kunst. Anders gesagt, mehr Künstler gehören in unsere
Fabriken, in unsere Werkstätten. Dabei sei zuerst die
(Qualität, dann die Schönheit der Arbeit unser Ziel.
Wir haben nicht genug gute wohlfeile Arbeit für
unser deutsches Volk und für den Kampf im Welt-
*) Unsere Arbeit und Kunstarbeit im Dienste des Verkehrs.
Vortrag von Pros. N. Seliger. Verlag: Verkehrsverein-Leipzig.
Druck von poeschel 6c Trepte, Leipzig.

handel. Es handelt sich hierbei wesentlich um das
Massenwerk der Fabrikarbeit. Alle, die künstlerisch ge-
meinte Masseuwerke erzeugen dürfen, sollten bedenken,
daß sie mit guter Arbeit das Volk bessern, sein Ansehen
auf dem Weltball stärken, mit schlechter unser Volk
und seinen. Ruf machtvoll verderben, weil die Wirkung
ihrer vervielfältigten Arbeit durch gleichzeitiges Er-
scheinen an vielen Stellen sich potenzirt. Der Erzeuger
des Linzelwerkes hat nicht so große Linflußmöglichkeit
und darum nicht so große Verantwortung.
Um das Ziel einer deutschen Volkskunst und einer
besseren Handelserportkunst zu erreichen, empfiehlt sich
zuerst die Austilgung der scharfen Grenzen und des
einseitigen Interesses gegenüber der Kunst- und der
Nutzarbeit. Wir schätzen und fördern hinfort als gleich
unentbehrlich hohe und niedere, freie und angewandte,
reiche und maßvolle Arbeit und Kunstarbeit. Von dem
Spatenstich des Gärtners, der Grasflächen kunstvoll
ebnet, oder von der Arbeit eines Mannes, der Marmor
oder Holz polirt, bis zu den Blumendekorationen oder
den Gartenanlagen des Kunstgärtners und Architekten.
Oder von der Arbeit, die ein glattes Stuhlbein für
die Stube des Lastträgers darstellt, bis zu der kunst-
reichen Arbeit, die der Thronsessel des Königs fordert,
oder bis zu der Aufgabe, die der Künstler sich selber
stellt, etwa wie Klinger, als er Beethoven's Denkmal
schuf, und ihm den bezüglichen, xhantasiereichen Sessel
kunstreich arbeitete. Das W i e der Arbeit spielt die
Hauptrolle. Die Kunst braucht nicht Luxus oder Zucker-
brot zu sein, sie kann Volksnahrung werden. Wesentlich
von der letzteren rede ich.
Zuerst ist von Nöthen eine Wandlung der üblichen
engherzigen Auffassung von der Aufgabe der Kunst
und eine Wandlung der Begriffe über Kunstarbeit.
Die Ueberproduktion au Künstlern und Halbkünstlern
durch befugten und unbefugten Unterricht ohne Prüfung
und Kontrolle hat Zustände, die nicht bleiben können,
heraufgebracht, hat die Kunstbegriffe und -Ziele verwirrt.
Jeder wird bei uns als Sachverständiger in Kunst-
fragen geboren. Wird über juristische oder ärztliche
Dinge gesprochen, so wird der Iustizrath und der
Sanitätsrath respektirt. In Kunstsachen, wo ebenso
tausend Dinge gewußt und nochmal tausend gekonnt
werden müssen, wo oft gerade nur der, der machen
lernte, das tiefe, richtige Wissen erwerben konnte, giebt
in Deutschland, im Land der Bescheidenheit und
Gründlichkeit, jeder ein entscheidendes Urtheil ab.
Wo Kunst anfängt, ist schwer zu ermessen und
nicht kurz auszusprechen. Sie ist sehr nahe und nur
da anzutreffen, wo die Arbeit gesund, gut, echt und
ehrlich ist. Sie ist fern und abwesend, wo in ver-
logener, unechter, imitirter Technik gearbeitet ist, wo
man mehr scheinen möchte, als man wirklich ist, wo
man den Schein erwecken möchte, mehr gegeben zu
haben, als man gab.
Wie es in dem Geschäftsleben gute Sitten giebt,
so auch im Gewerbe, im Kunstgewerbe und im Kunst-
leben. Es giebt auch deu Gentleman in der Kunst-
arbeit und Arbeit, und es giebt unreelle Arbeiter. Die
in unserem Leben jetzt üblichen Kunstformen, z. B. die
noch durchschnittlich in und an unseren Häusern an-
gewandten, sind geeignet, uns als unehrlich und un-
solide erscheinen zu lassen. Sollte man nicht eigentlich
Bedenken tragen, für Jemand zu bürgen, dessen Haus-
wand überladen ist mit werthlosen Kunstformen aus
Gips oder „Vorwerkstoff", dessen Treppenhaus imitirte
Bronzen aus Gips in fürstlichem Formenreichthum
zeigt u. s. w.I
 
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