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Die Kunst-Halle — 9.1904

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Nummer 12
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Gagliardi, Ernesto: Neues von Michetti
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Thomas, Bertha: Londoner Kunstbericht
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Nr. (2

Die A u n st - H a l l e.


lange Zeit. Die Skizze war fertig. Ich betrachtete
sie und war verzweifelt. Sie entsprach in keiner Weise
dem Original. Ls war mir durchaus nicht gelungen,
alle die Perspektiven wiederzugeben, die die Schönheit
dieses wundervollen und natürlichen Menschenbildes
ausmachten. Ich begann darüber nachzudenken, in
welcher weise meinem Unvermögen am besten nach-
zuhelfen wäre. Schon nach ein paar Tagen stand für
mich außer Zweifel, daß durch Anwendung von Spiegeln
an Stelle der Linsen beim Stereoskop der Zweck zu
erreichen sei. Dank der Spiegel ist man im Stande,
große Flächen, große Bilder, große, auch halbkreis-
förmige Veduten zu überblicken. Zn dieser weise
kann man ein ganzes Rundpanorama mit all seinen
natürlichen Ansichten photographisch aufnehmen und
durch das Stereoskop wiedergeben. So werden unsere
Bilder von einer Naturwahrheit werden, von der sich
unsere Schulweisheit bisher nichts träumen ließ. Diese
Anwendung der Photographie wird eine ungeheure
Bedeutung erlangen, vielleicht eine Umwälzung in der
Kunst Hervorrufen."
Von Michetti ist im Augenblick auch aus einem
andern Grund viel die Rede. Zhm ist der Auftrag
geworden, den Lntwurf für die neuen Briefmarken
herzustellen, die demnächst gleichzeitig mit der Herab-
setzung des Portos für gewöhnliche Briefe von 20 auf
lö Tentefimi eingeführt werden sollen. Das von dem
Künstler gelieferte Modell weicht völlig von dem Her-
kömmlichen ab. Lr hat seine Motive der Beschaffen-
heit, der Vergangenheit, den natürlichen Neichthümern
der Heimath entnommen. So zeigt die Briefmarke zu
l Tentesimo, der Grundstein der ganzen Serie, einen
mächtigen Strom, der ein Mühlrad, das erste Arbeits-
werkzeug, durch das der Mensch sich die Naturkräfte
dienstbar machte, in Bewegung setzt; im Hintergrund
leuchten, als Huldigung für Volta, eine Anzahl elektrischer
Funken. Auf der nächstwerthigeu Marke wird das-
selbe Motiv weitergeführt: Herrsche Wellen weben
ihren geheinuüßvollen Neigen in: Weltenraum zwischen
den Gestirnen; von einer Telegraphenstange hängen
— eine Huldigung für Marconi zerrissene Drähte
herab. Der phantasiereiche Künstler, der nut allen
Fasern seines Herzens an seiner Heimath hängt, hat
damit auf die große industrielle Zukunft hindeuten
wollen, die Ztalien Dank seinen: Neichthum an Wasser
und den Fortschritten der Llektrotechnik vorbehalten ist.
Auf einer dritten schwebt die Erdkugel in: Weltenraum,
vom Thierkreis umgeben, und über sie hinweg fliegen
Schwalbenschwärme als Träger froher Botschaften.
(Zu der Briefmarke zu sö Teutesimi, der National-
briefmarke par 6xe6lltzU66, hat der Künstler sich die
Anregung von seinem Busenfreund Gabriele d'Annunzio
geholt. Da Viktor Lmanuel von der tragischen Bot-
schaft der Lrmordung seines Vaters nach langem ver-
geblichen Suchen auf hohen: Meer eingeholt wurde,
nannte ihn damals der Dichter, ihn nut einen: jungen
Meergott vergleichend, den meerenlstiegenen König.

Michetti hat nun den männlichen Zügen des Königs
das Meer — auf einer andern die Alpen — zum
Hintergrund gegeben, das dem größten Theile Italiens
als Grenze dient.
Streng genommen darf man die bunten Papier-
streifen, die unseren Missiven freies Geleit sichern, zu
den: Papiergeld rechnen. Unserm Herzen jedoch stehen
sie unvergleichlich näher. Ihnen vertrauen wir unsere
geheimsten Interessen, unsere Sorgen, unsere Freuden an.
Die Wahl eines Künstlers wie Michetti für eine
solche Aufgabe zeugt dafür, daß auch die Behörden
bestrebt sind, sich den Wandlungen des modernen Ge-
schmacks anzupassen, die selbst den geringfügigsten
Gegenständen ein fesselndes und anregendes Gepräge
verleihen.
L. Gagliardi.


londoner Aunstberickt.
Von Bertha Thomas, London.

(Schluß.)
(^I^as von britischen Malern vorgeführt wird, ist in:
Ganzen recht gut, aber auch uicht mehr. An: vor-
theilhaftesten sind die beiden berühmten schottischen
Bildnißmaler Lavery und Sir James Guthrie ver-
treten ; Letzterer jetzt Präsident der Schottischen Akademie.
Daß in zwei Fällen eine starke Reminiszenz an bekannte
Meisterwerke Whistlers zu spüren ist, gereicht den be-
treffenden Leistungen keineswegs zum Schaden, denn beide
Künstler haben trotz ihres hohen Könnens noch von
schöpferischer Kraft nicht viel gezeigt, weshalb wir alle
ihre Porträts in derselben Manier behandelt finden.
Bewundernswerth ist des interessanten Künstlers T. H.
Shannon „Bei der Toilette", dem sich in Vornehm-
heit und technischer Vollendung das andere von ihn:
ausgestellte Werk „Dame mit einer Feder" würdig an
die Seite stellen läßt. Lntgegen der herrschenden
Neigung, mittelst billiger Effekte leichte Erfolge zu er-
zielen, pflegt dieser Künstler fast übertriebene An-
forderungen an seine Kunst zu stellen; als ob er stets
über das Erreichbare hinausstrebeu möchte, wie er
aber seine Aufgaben zu lösen weiß, das läßt seinen
hohen Standpunkt gerechtfertigt erscheinen und müßte
ihn:, falls er sich auf demselben dauernd behauptet,
eine Stellung unter den Besten seiner Zeit sichern.
Mit reinsten: Wohlgefallen verweilt der Kunstfreund
bei drei Werken des verstorbenen Präsidenten Whistler,
die grundverschieden zwar, an unnachahmlichem Neiz
einander gleich sind. Eines ist die berühmte „Symphonie
in weiß", (schon (867 zum ersten Mal ausgestellt in
der Royal ^eaclomy). Auch „Valparaiso" ist ein be-
kanntes Bild; ein wundervoll gemaltes Seestück mit
Schiffen, darunter Segler, auf ruhigen: Meer unter
etwas trübem Himmel. Das dritte ist ein unvollendetes,
aber hochinteressantes weibliches Porträt, in Lebens-
größe, ganze Figur, unter dem Titel: „lto86 ot Or:
la Tnlipo". Tharakteristisch für des Künstlers spätere
Manier ist die etwas exzentrische Pose des Modells.
Die Dame steht nut auf dem Rücken ineinandergelegten
Händen, so daß der Beschauer die Figur nur von
 
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