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Die Kunst-Halle — 9.1904

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Nummer 20
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Brieger, Lothar: Zur Entwicklung der russischen Malerei im 19. Jahrhundert
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Zimmern, Helen: Die historische Ausstellung in Siena
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Die Aun st-Halle.

308

Nr. 20

waldsen genommen, sein Körper von Overbeck. Die
Maria von Magdala ist eine Verballhornung Lorregios.
Die Landschaft selbst, in der sich der Vorgang abspielt,
ist das einzig wirklich eigene Iwanows und dem-
entsprechend tot, zerfahren, unnatürlich. Sein großes
Bild „Die Erscheinung Lhristi", an dem er zwanzig
Jahre arbeitete, hatte einen Erfolg wie „Der letzte Tag
Pompejis" Brjullows, und ist auch ähnlich zu bewerthen,
bloß daß es noch einige Stufen tiefer steht. Die
Komposition völlig zusammenhanglos, hier Gedränge,
dort leere Flächen. Die bewegteste Gruppe einfach aus
Raphaels „Verklärung" genommen. Die einzelnen
Figuren stehen ganz selbstständig im Raum, ohne sich
um die eigentliche Handlung zu kümmern. Lin an sich
recht guter Akt einfach um seiner selbst willen aufs
Störendste mitten hineingestellt. Die „Erscheinung" selbst
ist derart in den rechten Hintergrund gedrängt und
gänzlich belanglos, daß ohne den Titel des Bildes
niemand sie überhaupt für etwas anderes denn Neben-
werk halten würde. Die Farbe wie bei all diesen
Künstlern brutal und spröde, mit einem starken Einschlag
Overbecks.
Der einzige Künstler dieser Richtung, dein sich
echte Bedeutung zusprechen läßt, ist kV. D. poljenow
(geb. (8HH), von dessen Bilde „Lhristus und die Ehe-
brecherin" unserem vorigen Essay (Nr. (6) eine Repro-
duktion beilag. Hier ist ein außerordentlich beachtens-
werther und bewunderungswürdig geglückterversuch, eine
Handlung der Bibel zu russifiziren. Die Typen glänzend,
die Komposition konzentrirt und doch übersichtlich. Auch
eine erfreulich lebendige Farbe. Leider reichen die
sonstigen Gemälde des Meisters an dieses nicht heran,
von den weiteren Schülern Iwanows seien hier nur
noch der süßliche Thristusmaler Kramskoi und der auch
als Porträtist mit Recht geschätzte Ge genannt. Ge
(183s—9^) hat eine Anzahl Bilder gemalt, die wie sein
„Judas verläßt das heilige Abendmahl" durchaus über
das von Iwanow geleistete in Komposition und Farbe
hinausgehen, konnte indessen zu keinem eigenen Style
gelangen und ließ sich sogar von Alma Tadema stark
beeinflußen. Seine Porträts sind in Ausdruck und
Farbe vornehm, ohne indessen allzu tief zu gehen,
während seinen religiösen Bildern psychologischeProbleme
nicht fremd sind.
(Schluß folgt.)
W

Die kktorkclie Mrrtellung in 5ienn.
von Helen Zimmern, Florenz.

>(I^^ie große Ausstellung alt-sienesischer Kunst bietet
eine Sammlung heimischer Kunstschätze, wie
etwas Aehnliches selbst in dem an solchem Besitz
überreichen Italien noch nie zur Besichtigung gelangt
ist. Und hier ist einmal auch der Rahmen ein der
Schaustellung würdiger. Die Stadt Siena hat im
wahren Sinne des Wortes ihr Bestes gegeben. Die
Ausstellung ist in dem weltberühmten Palazzo pubblico
untergebracht, jener kunstgeheiligten warte bürgerlicher
Machtstellung, wo in den herrlichen Räumen noch heute
in fast unverminderter Farbenpracht die Fresken von
Spinells Aretino, Simone Memmi, Simone Martini,
Lorenzetti u. A. m. die wände bedecken; wahrlich eine

vornehme Folie für die von ihnen umgebenen Werke
kontemporärer Kunst. Mit ausgezeichneter Sorgfalt
und künstlerischem Feingefühl sind die HO Räumlich-
keiten so dem augenblicklichen Zweck angepaßt und
hergerichtet, daß eine jede Stelle wie eigens für das,
was sie an Schönheiten birgt, geschaffen erscheint. Schon
beim Aufstieg der breiten Treppe fesseln unsere Auf-
merksamkeit antike Thüren, Bruchstücke von Skulpturen,
Terrakotten, Darstellungen in Bronze und Marmor von
Wölfen (Wahrzeichen der Stadt Siena, wie von Nom).
Der erste Raum, den wir betreten, genannt Mappa-
mondo, enthält die große Freskoschilderung des Sieges
der Sienesen in der Fehde von (373, die liebliche
Madonna des Guido von Siena, die Heiligenbilder
Sodoma's, die mit den ausgestellten Herrlichkeiten um
unsere Bewunderung wetteifern. In Glasschränken
sehen wir hier kostbare gestickte Kirchensachen, Stücke
der Gewandwirkerei von fast blendender Pracht, deren
manche in kunstvoller Stickerei die Namen der Künstler
aufweisen, welche die Muster entworfen haben, wie
die Wappen und Namen der Familien, für die sie her-
gestellt oder von denen sie gespendet wurden. Und
vielen illustrer, Namen begegnen wir da, von den
Piccolomini bis zu den Lhigi. Doch wir dürfen hier
nicht lange verweilen, so sehr sie uns auch dazu ver-
locken, diese Meßgewänder, Altardecken und Thorröcke.
Ebenso müssen wir mit flüchtiger Umschau unter den
Spitzen uns begnügen, so herrlich die ausgestellten
Proben auch sind, von denen eine mir aber besonders
durch die Feinheit und Sorgfalt der Zeichnung auffiel,
die so kunstvoll gearbeitete Gestalten aufwies, daß selbst
die Augen derselben deutlich zu unterscheiden waren.
Der nächste Saal ist der Typographie gewidmet
und bietet einen vollständigen historischen Ueberblick
der alten Stadt Siena, wie ihrer unmittelbaren Um-
gebung. Alte Kupferstiche, Gemälde, Pläne und neue
Photographien geben in dieser Abtheilung reichhaltigen
und werthvollen Stoff zum Studium.
Der Saal mit den farbenprächtigen Fresken des
Domenico Beccafumi beherbergt heute eine wunder-
schöne Sammlung von Missalen, Thorbüchern und
illuminirten Urkunden. Außer kostbaren Handschriften
des werthvollen Sienaer Archivs, die mehr oder
weniger für Besucher desselben zugänglich sind, liegen
hier Gesetzbücher, die man sonst nicht so leicht zu sehen
bekommt, z. B. die von Giovacchino di Giovanni
Semboli für den Papst Piccolomini illuminirten, und
so auch der aus der ersten Hälfte des (5. Jahrhunderts
stammende römische Thoral, dessen reich kolorirte
Miniaturen dem Giovanni di Paolo zugeschrieben
werden. Und eine Bibel aus dem (2. Jahrhundert,
gesandt aus Montalcino, ist als ein Meisterwerk der
Mönchsschrift zu erwähnen, ebenso vier Gesangbücher
aus Thiusi. Bewunderswerth ist an allen die feine
Harmonie der Linien und der Farben, und immer von
Neuein muß man staunen über die Zartheit der Aus-
führung, wie die wunderbare Frische der Farben.
Die nächste Abtheilung ist wohl als Tlou der Auf-
stellung zu betrachten. Dieser Saal enthält nämlich die
reichhaltigste Sammlung, die je zusammengebracht
wurde, von bemalten und vergoldeten Holzstatuen, um
die sich ja neuerdings die Kunstsammler förmlich reißen.
Unter den HO Stücken sind nicht weniger als neun,
zweifellos echt beglaubigt, von Iacopo di Ouercia,
diesem großen Bildhauer, von dessen Werken das
Louvre eins, das South-Kensington-Museum ein anderes
und das Berliner Museum zwei (von zweifelhafter Echt-
heit) aufzuweisen hat. Don allen Holzbildhauern Siena's
war Iacopo di Ouercia unstreitig der größte, den
 
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